Der MONSANTO-Deal lässt sich für BAYER nicht gut an. Bereits elf Tage nach der offiziellen Übernahme des US-Konzerns begann der erste Prozess in Sachen „Glyphosat“, der noch dazu mit einem Schuldspruch endete. Das Geschworenen-Gericht gab dem Hausmeister DeWayne Johnson recht, der das Herbizid für seine Krebs-Erkrankung verantwortlich macht. Eine Strafe in Höhe von 289 Millionen Dollar verhängte der „San Francisco County Superior Court“. Und das ist erst der Anfang: Es stehen noch fast 9.000 Klagen an.
Von Jan Pehrke
„Wenn Du weißt, dass Du bald sterben musst, gibt dir das einen Extra-Push. Du kannst nicht einfach für nichts sterben“, mit diesen Worten reagierte DeWayne Johnson auf den positiven Ausgang seines Glyphosat-Entschädigungsprozesses. Der „San Francisco County Superior Court“ sah das Herbizid als Auslöser seiner Krebserkrankung an und verurteilte die BAYER-Tochter MONSANTO zu einer Zahlung von 289 Millionen Dollar – 250 Millionen Dollar Strafe plus 39 Millionen Dollar Schmerzensgeld. Ein Vergleichsangebot von Johnsons Anwalt Brent Wisner, das sich auf sechs Millionen Dollar belief, hatte das neudeutsche Unternehmen vorher ausgeschlagen. So ging die Sache dann vor Gericht, und während der Verhandlung trat die ganze kriminelle Energie MONSANTOs zu Tage. Aus diesem Grund erkannten Geschworenen einstimmig auf „vorsätzlichen Betrug“ – mit den entsprechenden finanziellen Folgen.
Johnson war als Schul-Hausmeister mit dem Gift in Berührung gekommen. Als im Jahr 2014 erste Haut-Veränderungen auftraten, hatte er sofort Glyphosat in Verdacht. Johnson setzte sich daraufhin mit MONSANTO in Verbindung. Rückrufe blieben aber trotz entsprechender Zusagen aus, stattdessen beschwichtigten die zuständigen Beschäftigten. „Sie haben ihm gesagt, man könne es quasi trinken, so ungefährlich sei es“, führte der Anwalt des 46-Jährigen vor Gericht aus. Ein paar Monate nach dem ersten Anruf erhielt der Familien-Vater dann die Diagnose: Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), eine Krebs-Form, welche die Lymph-Drüsen befällt.
„Es ist unethisch. Es ist falsch. Menschen verdienen so etwas nicht“, entrüstete DeWayne Johnson sich deshalb und hielt fest: „Hier geht es nicht nur um mich. Diese Sache wird nun hoffentlich die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient.“
Die Reaktionen
Und die bekam sie auch. Als einen „Weckruf“ bezeichnete die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast das Urteil. Den französischen Umweltminister Nicolas Hulot veranlasste es sogar zu einem Rundumschlag gegen die Agro-Industrie. Das Glyphosat, das den LandwirtInnen ob seiner Kahlschlag-Qualitäten das Pflügen und Eggen erspart, ist für ihn „zum Grundstein der produktivitätsorientierten Landwirtschaft geworden, die weiterhin zu großen Teilen unantastbar bleibt – obwohl die verursachten Schäden immer deutlicher sichtbar und immer besser dokumentiert sind“. Der Prozess legte dem – inzwischen zurückgetretenen – Politiker zufolge gnadenlos die Strategie der BAYER-Tochter offen, „die Nahrungsressourcen des Planeten zu schröpfen“. Dementsprechend frohlockte Hulot nach der Entscheidung des Superior Courts: „Das ist der Anfang vom Ende der Arroganz dieses verfluchten Paares MONSANTO-BAYER.“
Tatsächlich geriet ihr Verkaufsschlager gleich nach dem Richterinnen-Spruch massiv unter Druck. So appellierte Oliver Krischer, der Vize-Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, an die Bundesregierung, „das Geeiere endlich zu beenden und sich ohne Wenn und Aber für ein Verbot von Glyphosat einzusetzen“. Diese wollte aber lieber weitereiern. Ein Sprecher des Umweltministeriums verwies auf den Koalitionsvertrag, wonach die Anwendung des Ackergifts grundsätzlich innerhalb dieser Legislatur-Periode zu beenden sei und stellte klar, dass das US-Urteil keinen Einfluss auf den Terminplan habe. Die Entscheidung der Großen Koalition, das Mittel aus dem Verkehr zu ziehen, beruhe nämlich nicht auf seinen Risiken und Nebenwirkungen für die menschliche Gesundheit, sondern auf denen für die Artenvielfalt, erläuterte er. Die EU sah ebenfalls keinen erhöhten Handlungsbedarf und weigerte sich, die im Jahr 2017 bis zum Jahr 2022 verlängerte Zulassung in Frage zu stellen.
Die BAYER-Reaktion auf das Votum der Geschworenen fiel wenig überraschend aus: Der Konzern steht nach wie vor in Treue fest zu der Agro-Chemikalie. „Ein Urteil von einer Jury ändert nichts an den wissenschaftlichen Fakten“, befand der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann zitierte 800 angebliche Entlastungsstudien herbei. Dem Unternehmen zufolge belegten diese, „dass Glyphosat bei sachgerechter Anwendung sicher ist und nicht das Non-Hodgkin-Lymphom verursacht“. Darum gibt Baumann sich kämpferisch: „Wir sind darauf eingestellt, dass Produkt energisch zu verteidigen.“ Die schiere Menge der anhängigen Verfahren – mittlerweile beläuft sie sich auf fast 9.000 – schreckt ihn dabei nicht ab. „Diese Zahl könnte über die Zeit steigen oder fallen, aber sie gibt keinen Aufschluss über die Substanz der Klagen“, meint er. Und Agro-Chef Liam Condon scheute sich nicht einmal, das lange Sündenregister des Leverkusener Multis zum Vorteil zu wenden. Er verwies auf die große Routine BAYERs im Umgang mit Produkthaftungsprozessen vor US-amerikanischen Gerichten und eine ähnliche Expertise bei MONSANTO: „Wenn man beide Mannschaften zusammenbringt, hat man mehr Erfahrung und Ideen.“
Die Dokumente
Ob das aber ausreicht, um diese juristischen Auseinandersetzungen zu überstehen, steht sehr in Frage. Die Beweise sind nämlich erdrückend, stammen sie doch vom Täter selbst. Die Anwälte Johnsons stützten sich in den fast acht Wochen dauernden Verhandlungen hauptsächlich auf interne Unterlagen MONSANTOS. Und diese lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. So informierte ein Beschäftigter die Toxikologin Donna Farmer über eine Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Glyphosat und dem Non-Hodgkin-Lymphom. „Die Fall-Kontroll-Studie ergibt ein Chancen-Verhältnis von 2,02 für Glyphosat-Exposition (eine zweifache Wahrscheinlichkeit, die Krankheit zu bekommen)“, heißt es in der Mail. Für Farmer war das nichts Neues. „Uns ist dieses Dokument schon seit einiger Zeit bekannt, und wir wussten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Aktivisten es aufgreifen“, antwortet sie und geht sofort zum Praktischen über: „Wie bekämpfen wir das?“ Nicht die Spur eines Zweifels lässt die Wissenschaftlerin daran, was sie als ihre vorrangige Aufgabe ansieht: „Das Ziel Nr. 1 ist es, das globale Glyphosat- und ROUNDUP-Geschäft zu verteidigen und zu erhalten.“
Ihr Kollege William Heydens wusste sogar schon genauer, wo sich bei dem Herbizid der neuralgische Punkt befindet. Er verortete ihn nicht in dem Wirkstoff Glyphosat selbst, sondern in der endgültigen, noch mit Wirkungsverstärkern und anderen Substanzen angereicherten Formulierung, die MONSANTO unter dem Namen ROUND-UP vermarktete. „Glyphosat ist OK, aber das formulierte Produkt verursacht den Schaden“, konstatierte er. Beispielsweise hat es negative Effekte auf das Erbgut. Als eine Auftragstudie in dieser Hinsicht nicht genug Entlastungsmaterial lieferte, sondern den Befund sogar noch zu bestätigen drohte, schlug Heydens einfach vor, sich willigere WissenschaftlerInnen zu suchen: „Wir müssen jemanden finden, der sich mit dem gen-toxischen Profil von Glyphosat wohlfühlt und einflussreich bei den Regulierungsbehörden ist.“
Schon die Zulassung Glyphosats im Jahr 1974 vollzog sich unter denkwürdigen Umständen. Die toxikologischen Gutachten, die INDUSTRIAL BIO-TEST (IBT) im Auftrag von MONSANTO anfertigte, warfen für die US-amerikanische Zulassungsbehörde EPA nämlich so einige Fragen auf. „Man tut sich schwer, an die Wissenschaftlichkeit einer Studie zu glauben, die männlichen Kaninchen Proben aus dem Uterus entnommen haben will“, schrieb ein Mitarbeiter. Eine 1977 einsetzende genauere Überprüfung ergab dann, dass IBT bei seinen Jobs für das Unternehmen aus St. Louis und andere Konzerne – jeweils mit dem Wissen der Firmen – systematisch Untersuchungsdaten fälschte. Die „Environment Protection Agency“ ordnete deshalb eine Wiederholung des Glyphosat-Tests an. Und was die MONSANTO-ForscherInnen da herausfanden, ließ sich nicht gut an: Die WissenschaftlerInnen machten bei Glyphosat ausgesetzten Versuchstieren ein signifikant erhöhtes Risiko aus, an Nierenkrebs zu erkranken – eine Erkenntnis, die ihnen auch schon bei purer Anschauung der chemischen Formel ohne die Labor-Quälereien hätte dämmern können. Die EPA reagierte 1985 und führte das Herbizid fortan als „potenziell krebserregend für Menschen“. Aber der US-Riese gab sich nicht geschlagen. Er behauptete, seinen Fachleuten seien bei dem Tierversuch Fehler unterlaufen und kam damit durch: Der Agro-Gigant hatte nämlich seine Leute in der Reagan-Administration sitzen. Diese übten erfolgreich Druck auf die Agency aus, die Krebs-Klassifikation rückgängig zu machen. Die EPA forderte MONSANTO zwar noch auf, eine dritte Studie durchzuführen, erhielt diese jedoch nie. Erst als das Thema Anfang des neues Jahrtausends erneut auf der Agenda stand, legte der Agro-Multi der EPA wieder etwas vor – allerdings inkognito. William Heydens hatte sich gemeinsam mit einem Kollegen als Ghostwriter einer Entlastungsstudie betätigt, die prompt das Placet der Behörde fand.
Die Dokumente geben einen erschütternden Einblick in das Innere MONSANTOs. Freimütig bekennt ein Angestellter in einer Mail, die Firma habe sich ein Spiel daraus gemacht, die staatlichen Einrichtungen in Sachen „Krebs-Gefahr“ hinters Licht zu führen. Und wenn einem Wissenschaftler einmal Zweifel kamen, erfolgte sofort der Ordnungsruf: „Hier geht es darum, Geld zu verdienen, das hast Du dir klarzumachen!“ Um die Profite zu sichern, hatte der Konzerne klare Strategien ausgearbeitet. Das Programm „Let nothing go“ etwa ging jeden Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin an, die es gewagt hatten, sich negativ über ein Produkt des Unternehmens zu äußern. Für die Belegschaft existierte derweil ein Manual, das sie im Umgang mit Kritik zu Glyphosat & Co. schulte. Es hielt bestimmte Textbausteine bereit und zeigte den Beschäftigten beispielsweise Wege auf, wie sie „von einer Frage, die die Öffentlichkeit stellt, zu der Antwort, die Du geben willst, gelangen“ können.
Die Rückstellungen
Einen Großteil dieser Dokumente hatte die Richterin Suzanne R. Bolanos als Beweismittel nicht zugelassen. Auch zeigte sie sich den MONSANTO-Beschäftigten gegenüber kulant und ersparte ihnen, im Gerichtssaal auftreten zu müssen. Bolanos erlaubte stattdessen Video-Aussagen. Dass das Gericht trotzdem eine so hohe Strafe verhängte, schockte die Aktien-Märkte und sorgte für einen massiven Kurs-Sturz des BAYER-Papiers, von dem es sich bis heute nicht erholt hat. 289 Millionen Dollar bei dem Auftakt-Prozess – angesichts der insgesamt fast 9.000 noch anstehenden Verfahren schwante den AnlegerInnen da Schlimmes.
Der Leverkusener Multi hingegen wiegelte ab. Er maß den Glyposat-Unterlagen seines Neuerwerbs keine große Beweiskraft zu und bezeichnete die während der Verhandlungen zitierten Aussagen als „aus dem Zusammenhang gerissen“. Im Übrigen zeigte der Konzern sich zuversichtlich, das Urteil in der zweiten Instanz zu Fall bringen oder zumindest das Strafmaß herabsetzen zu können, so wie es vor einiger Zeit der Tabak-Industrie in vergleichbaren juristischen Auseinandersetzungen gelungen war. Zudem nahm er skeptische Aussagen des Bundesrichters Vince Chhabria zu den Chancen der anstehenden Sammelklagen als gutes Omen. Auch erhofft der Global Player sich von Gerichten ohne Beteiligung von Geschworenen, die seiner Ansicht nach immer zu viel Anteil am Leid der KlägerInnen nehmen, weniger schmerzliche Entscheidungen. Selbst Johnsons Anwalt Brent Wisner glaubt nicht mehr an allzu viele ebenso kostspielige Verfahren für den Konzern. Er rechnet nur mit ein paar weiteren Prozessen, die dann den Finanzrahmen für Vergleichsverhandlungen vorgeben.
Das alles wirkte allerdings weder auf die Wirt-schaftsjournalistInnen noch auf die Finanzwelt beruhigend. Sie stellten BAYER stattdessen drängende Fragen nach Vorsorge-Maßnahmen. Diese beantwortete der Konzern jedoch nicht. Wegen bestimmter Auflagen des US-amerikanischen Justiz-Ministeriums hätte er vorerst nur begrenzten Zugang zu den MONSANTO-Unterlagen, führte der Leverkusener Multi zur Begründung an. Der Agro-Riese vertröstete stattdessen auf den 5. September – das Datum der Veröffentlichung des neuen Quartalsberichts – als Tag der Wahrheit. In der Zwischenzeit recherchierten die Zeitungen die vom bundesdeutschen Unternehmen und seiner Tochter-Gesellschaft gebildeten Rücklagen für Strafzahlungen: 393 Millionen Euro bzw. 218 Millionen Euro sowie die Höhe des Versicherungsschutzes von BAYER (drei Milliarden Euro) und machten dabei eine nicht unerhebliche Deckungslücke aus. Das Handelsblatt wusste sogar schon von Plänen des Vorstandes, eine Art BAYER-Bad-Bank für den Umgang mit den Glyphosat-Belastungen zu gründen.
Der Quartalsbericht konnte dann auch nur wenig zu einer Aufhellung der Stimmung beitragen. Als Rechtsrisiken MONSONTOS führte er zusätzlich zu den Klagen, die Glyphosat betreffen, noch diejenigen zu der Industrie-Chemikalie PCB auf und stellte fest: „Im Zusammenhang mit den oben genannten Verfahren ist MONSANTO in jeweils industrie-üblichem Umfang gegen gesetz-liche Produkthaftungsansprüche ver–sichert und hat auf Grundlage der derzeit vorliegenden Informationen angemessene bilanzielle Vorsorge-Maßnahmen für erwartete Verteidigungskosten getroffen.“ Für Verteidigungskosten – nicht aber für eventuell ins Haus stehende Milliarden-Zahlungen, und ebenso wenig hat die Konzern-Mutter dafür etwas zurückgelegt, wie Finanz-Vorstand Wolfgang Nickl einräumen musste.
„Haben die Führungsteams in Leverkusen das Wagnis der schlechten Reputation und der Vielzahl der schon anhängigen Klagen gegen den amerikanischen Saatgut-Riesen auf die leichte Schulter genommen“, fragte deshalb die FAZ. Und tatsächlich räumte Werner Baumann ein, es hätte „andere Zeiten“ geherrscht, als der Konzern sich vor zwei Jahren für die Übernahme entschied und Einsicht in die Geschäftsbücher von MONSANTO nahm. Zwar hätten die ManagerInnen damals auch schon die Rechtsstreitigkeiten im Blick gehabt, erläutert der Vorstandsvorsitzende, gibt jedoch zu bedenken: „Man muss aber auch sehen, dass zum damaligen Zeitpunkt der Umfang der Klagen, mit denen wir uns jetzt auseinandersetzen, noch gar nicht absehbar war.“ Ob das alle Investoren, die viel Geld mit ihren BAYER-Aktien versenkten – allein der rund vier Prozent der Unternehmensanteile haltende indonesische Staatsfonds TEMASEK verlor 1,2 Milliarden Dollar – einfach so akzeptieren, bleibt fraglich. Johnson-Anwalt Brent Wisner rechnet jedenfalls auch mit Klagen von dieser Seite. Damit nicht genug, droht mit DICAMBA zu allem Unglück noch ein weiteres Pestizid auf der Anklagebank zu landen, weil es in den Vereinigten Staaten massive Ernte-Schäden verursacht hat. Im Moment hat es also ganz den Anschein, als ob sich der Milliarden-Deal für BAYER zu einem Milliarden-Grab entwickeln würde. ⎜