Redebeitrag Dr. Klaus Schepker
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Dr. Klaus Schepker, ich bin Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Ulm und beschäftige mich mit der Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Ehemalige Heimkinder, einige von ihnen haben heute bereits zu Ihnen gesprochen, haben immer wieder berichtet, dass sie als Kinder und Jugendliche in den Anstalten und Heimen in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren monatelang, teilweise über Jahre, Psychopharmaka erhielten.
Große psychiatrische Anstalten, wie das Landeskrankenhaus Schleswig, waren damals für die Bayer AG vor und nach Markteinführung ihrer Psychopharmaka von großem Nutzen. Vor der Markteinführung von Produkten diente das Landeskrankenhaus als Versuchsfeld, war eine sogenannte „Prüfstelle“. Eine Megaphen®-Studie 1956 und die „klinische Erprobung“ einer „Megaphen-Kombination“ 1958 sind belegt. Diese ethisch fraglichen Medikamentenversuche an Kindern und Jugendlichen waren Industrie und Ärzten nur möglich durch den sehr großen gesetzlichen Spielraum, den Politik und Gesundheitsbehörden den Pharmaunternehmen und Ärzten vor 1978 einräumten. Ein neues Produkt musste lediglich registriert werden.
Bayer hat die gesetzlichen Spielräume maximal ausgenutzt. So hat Bayer seine Psychopharmaka bei Markteintritt gezielt für „pädagogische“ Indikationen angeboten ohne dass die „pädagogische“ Wirksamkeit durch Studien belegt war. Der dämpfende, sedierende Charakter z.B. von Aolept® sollte genutzt werden, um den Anstaltsalltag damit „effektiver“ zu gestalten, oder wie es in der Aolept® Werbung von Bayer formuliert wurde, die Dauermedikation „erleichtert das Zusammenleben“: das Ziel waren Anpassung, Ruhe und Schulfähigkeit.
Aolept® wurde „zur ambulanten Behandlung von Verhaltensstörungen bei Kindern, Jugendlichen“ empfohlen (Rote Liste 1969, S. 74). Psychopharmaka wurden trotz noch nicht genau bekannter Wirkung und noch völlig unbekannten Langzeitwirkungen, besonders bei den heranwachsenden Kindern, gezielt für den Heimeinsatz auf den Markt gebracht und beworben. Die Produkte wurden von Bayer marktgerecht für die Zielkundschaft in sogenannten „Anstaltspackungen“ verkauft, die laut Roter Liste 1969 zwischen „250 und 1000 Dragees“ enthielten.
Gemäß Bayer-Werbung wirkt Aolept® „emotional und affektiv ausgleichend, vermindert Impulsivität und Aggressivität, unterdrückt destruktive und asoziale Tendenzen, fördert die Anpassungsfähigkeit an Familie und Gemeinschaft“. Nur ganz nebenbei wird als „weitere Aolept-Indikation“ die „Dauertherapie aller Schizophrenieformen“ erwähnt.
Der Verkauf von BAYER-Produkten für nicht-medizinische, pädagogische Indikationen, zur Sedierung ist ethisch fragwürdig und eine monate-, sogar jahrelange Dauermedikation als Kind, mit quasi ungetesteten Medikamenten im Anstalts- und Heimalltag, lässt Folgeschäden zumindest möglich erscheinen.
Mein Fazit: Bayer ist ethisch mitverantwortlich für die massenhafte Dauersedierung von Heimkindern in den 50er- bis 70er- Jahren. Bayer hat dabei viel Geld verdient.
Meine Fragen:
Wird Bayer, anders als im Geschäftsjahr 2018, die Aufklärung jetzt aktiv unterstützen?
Wird Bayer sich für die Dauersedierung von Heimkindern bei den Betroffenen entschuldigen?
Wird Bayer sich an der Entschädigung der von Dauersedierung Betroffenen beteiligen?