Vergiftung von Verbrauchern wird voranschreiten
Junge Welt, 16. September 2016
Übernahme von Monsanto durch Bayer Gefahr für Artenvielfalt. Konzern kontrolliert weltweit fast alleine Saatgut und Pestizide. Gespräch mit Toni Michelmann
Interview: Ralf Wurzbacher
Toni Michelmann ist Chemiker und arbeitet in der Geschäftsstelle des industriekritischen Bündnisses »Coordination gegen Bayer-Gefahren«
Der Pharmariese Bayer übernimmt den US-Agroriesen Monsanto für 66 Milliarden Dollar. Am Mittwoch wurde die Einigung auf den Megadeal bekanntgegeben (jW berichtete). Könnten sich die Leverkusener an dem Brocken verschlucken?
Bayer setzt 59 Milliarden Euro auf ein Geschäftsmodell, das wegen seiner verheerenden Folgen für Mensch und Natur schon heute stark in der Kritik steht. Diese Fusion wird den Widerstand von Bauern, Verbrauchern und Umweltschützern ganz sicher weiter befeuern.
Womit sich der Sache auch etwas Gutes abgewinnen lässt?
Was wir tatsächlich positiv sehen, ist, dass Bayer mit dem Deal die Hosen runterlässt. Der Konzern schmückt sich ja gerne und völlig zu Unrecht mit dem Image eines Saubermanns. Dabei agiert er schon länger auf genau dem Geschäftsfeld, das Monsanto über Jahrzehnte Milliardenprofite, aber eben auch diesen schlechten Ruf beschert hat. Was Monsanto an genmanipuliertem Saatgut und Pestiziden offeriert hat, hat auch Bayer längst im Angebot. Dabei ist das Zeug zum Teil noch viel giftiger, etwa Glufosinat oder Neonicotinoide, die für massenhaftes Bienensterben mitverantwortlich sind. Aber Bayer hat noch viel mehr Dreck am Stecken: Der Konzern war an der Agent-Orange-Produktion für den Vietnamkrieg beteiligt, vertreibt bis heute lebensgefährliche Antibabypillen oder betreibt eine Giftgaspipeline durch bewohntes Gebiet von Dormagen nach Leverkusen.
Haben Sie Hoffnung, dass das Geschäft noch am Widerstand der Kartellbehörden scheitern könnte?
Nein. Wir erleben ja gerade drei Großfusionen im Kreis der zehn größten Pestizidhersteller, die 90 Prozent des Marktes unter sich aufteilen. Die Entwicklung zu noch mehr Konzentration und immer mächtigeren Monopolen ist seit Jahren im Gange, und das unter wohlwollender Beobachtung durch die Kartellbehörden.
Beilage Gewerkschaften
Ein Einschreiten der EU oder der Bundesregierung, wie es jetzt Umwelt- und Verbraucherschützer fordern, erscheint Ihnen also illusionär?
Natürlich schließen wir uns dem Appell an, aber mit mehr als kosmetischen Auflagen wie der Veräußerung einzelner Geschäftsfelder ist nicht zu rechnen. Diese würden am Ergebnis nichts ändern, dass nämlich demnächst ein Konzern fast die alleinige Kontrolle über das weltweite Geschäft mit Saatgut und Pestiziden ausübt. Damit liegen Schlüsselelemente der gesamten Nahrungsmittelkette in der Hand eines Players – mit schlimmsten Folgen: Die Populationen von Insekten, Vögeln und vielen anderen Arten werden weiter zurückgehen, die Sortenvielfalt bei Getreide, Gemüse und Früchten wird minimiert, Bauern werden noch abhängiger und durch steigende Preise in Armut gestürzt. Außerdem wird die systematische Vergiftung von Bauern und Verbrauchern weiter voranschreiten.
Was droht den Beschäftigten der beiden Konzerne?
Im Zuge der größten Fusionen im Pharmabereich haben in den vergangenen 15 Jahren 500.000 Menschen ihren Job verloren. Der Konzernumbau bei Bayer ist bereits mit Lohnkürzungen und Personalabbau einhergegangen. Mit dem Monsanto-Zukauf wird sich das verschärfen.
Wissen die Belegschaften, was auf sie zukommt?
Es gibt nicht wenige, die die Gefahren sehen und vor den verhängnisvollen Folgen, auch für die Beschäftigten warnen. Andere haben große Hoffnungen und schenken dem Betriebsrat und dessen Versprechungen Glauben, dass mit wachsender Wettbewerbsfähigkeit alle Arbeitsplätze sicher wären.
Monsantos Kassenschlager Glyphosat erhielt mit Ach und Krach eine Zulassungsverlängerung von 18 Monaten. Dabei hat auch Deutschland eine Rolle gespielt. Hat sich das erledigt, sobald Monsanto eingedeutscht ist?
Der Aufsichtsratsvorsitzende von Bayer pflegt enge Beziehungen zu Angela Merkel, die bei der Verlängerung der Glyphosat-Zulassung eine entscheidende Rolle gespielt hat. Nun setzt Bayer praktisch alles auf die Karte Gentechnik und Pestizide. Die EU ist einer der größten Agrarproduktionsstandorte der Welt. Diesen Markt will Bayer erschließen und ist deshalb wie Monsanto auch einer der stärksten Mitstreiter für das geplante Freihandelsabkommen TTIP.