Von: german-foreign-policy
22.09.2016
LEVERKUSEN/BERLIN
(Eigener Bericht) – Begleitet von wachsender Kritik treibt der Bayer-Konzern die Übernahme seines US-Konkurrenten Monsanto voran. Durch die Übernahme entstehe ein „Megakonzern“ auf dem Agrarsektor, der entscheidenden Einfluss auf „die Ernährung der Weltbevölkerung“ habe, hieß es gestern in einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Während die Kritik im Parlament folgenlos bleibt, fördert Berlin systematisch den Ausbau der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen, die durch den Bayer-Monsanto-Deal noch weiter gestärkt werden. Die Vereinigten Staaten sind der bedeutendste Investitionsstandort der deutschen Industrie und inzwischen auch ihr größter Absatzmarkt: Deutsche Firmen verkauften dort im vergangenen Jahr Waren im Wert von fast 114 Milliarden Euro; die 50 größten in den USA ansässigen deutschen Firmen steigerten ihre Jahresumsätze auf rund 400 Milliarden US-Dollar. Die Ausfuhren in die Vereinigten Staaten, die der deutschen Exportwirtschaft immense Profite bringen, sind allerdings zuletzt etwas zurückgegangen; der transatlantische Boom erhält leichte Risse. Auch bei Versuchen, mit US-Konzernen zu fusionieren, um auf dem Weltmarkt eine dominierende Stellung zu erlangen, verzeichneten deutsche Unternehmen zuletzt Rückschläge.
Boom
Die Monsanto-Übernahme durch Bayer erfolgt in einer Zeit, in der die zuletzt boomenden deutsch-US-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen in etwas rauere Gewässer geraten. In den vergangenen Jahren hatten die deutschen Exporte in die Vereinigten Staaten und die dortigen deutschen Investitionen deutlich zugenommen. Der saldierte Bestand unmittelbarer und mittelbarer deutscher Direktinvestitionen hatte 2015 mit – laut Angaben der Bundesbank – mehr als 271 Milliarden Euro einen neuen Höchstwert erreicht. Die 50 größten in den USA niedergelassenen deutschen Konzerne konnten ihre Umsätze im selben Jahr um zwei Prozent auf rund 400 Milliarden US-Dollar steigern; Bayer lag mit einem US-Umsatz von 14,1 Milliarden US-Dollar nur auf Rang sieben nach Daimler (46,5 Milliarden US-Dollar), Volkswagen (36,7 Milliarden), T-Mobile (32,1 Milliarden), BMW (20,2 Milliarden), BASF (17,4 Milliarden) und Siemens (16,9 Milliarden). Gingen im Jahr 2007 rund 7,6 Prozent der deutschen Ausfuhr in die Vereinigten Staaten, so waren es im Jahr 2015 schon mehr als 9,5 Prozent; mit Käufen im Wert von fast 114 Milliarden Euro lagen die USA damit erstmals seit 1959 wieder auf Platz eins der deutschen Exportrangliste.1
Erste Rückschläge
Inzwischen verzeichnen deutsche Unternehmen allerdings erste Rückschläge. Der deutsche Export in die Vereinigten Staaten ist nach dem Rekordergebnis des vergangenen Jahres im ersten Halbjahr 2016 um sieben Prozent gegenüber dem Vorjahreswert eingebrochen. Ursache ist allgemein die Abkühlung der US-Konjunktur; auch ist der Frackingboom, der eine Zeitlang dem deutschen Maschinen- und Anlagenbau außerordentlich starke Aufträge beschert hatte, mittlerweile – nicht zuletzt wegen des niedrigen Ölpreises – deutlich abgeflaut. Auf deutsche Lieferanten wirkte sich laut der bundeseigenen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (gtai) zudem speziell ein Rückgang der Nachfrage nach Kraftfahrzeugen aus.2 In den kommenden Monaten wird zwar mit einem leichten Aufschung der US-Konjunktur gerechnet; die deutschen Ausfuhrrekorde des vergangenen Jahres dürften aber dieses Jahr nicht mehr erreicht werden, heißt es bei gtai. Das gilt insbesondere für den Maschinen- und Anlagenbau, der seine Ausfuhren in die USA 2015 um 11,2 Prozent hatte steigern können; die „derzeitige Investitionsflaute im amerikanischen Industriesektor“ werde fortdauern und den Absatz deutscher Lieferanten schmälern, urteilt gtai.3 Darüber hinaus steht auch der Abschluss des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP, von dem sich die deutsche Industrie einen anhaltenden Aufschwung ihrer US-Geschäfte erhofft 4, in Frage.
Nummer eins weltweit
Gemischt ist auch die aktuelle Bilanz bei den Firmenübernahmen. Mit dem Kauf von Monsanto ist Bayer in der vergangenen Woche die größte Auslandsübernahme in der Geschichte der Bundesrepublik gelungen – ein Schritt, der globale Bedeutung hat. Der Leverkusener Konzern zahlt für seinen US-Konkurrenten 66 Milliarden US-Dollar und steigt damit zum weltgrößten Agrarkonzern auf. Insbesondere sichert er sich Schlüsseltechnologien im Bereich genmanipulierten Saatguts sowie beim „digital farming“, einem Zukunftsbereich der Agrarwirtschaft. Man könne langfristig auf überaus lukrative Geschäfte hoffen, heißt es bei Bayer, denn weltweit müssten bis 2050 vermutlich drei Milliarden Menschen mehr als heute ernährt werden. Zudem runde die Monsanto-Übernahme den Umbau des Konzerns „vom chemisch-pharmazeutischen Mischkonzern zum Spezialisten rund um die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze ab“.5 Letzteres verdankt Bayer ebenfalls einer Großübernahme in den USA: Vor zwei Jahren war es dem Unternehmen gelungen, seinen US-Pharma-Konkurrenten Merck zu erwerben. Der Kauf zählte mit einem Preis von 14,2 Milliarden US-Dollar zu den zehn größten bundesdeutschen Auslandsübernahmen überhaupt.
Transatlantische Marktmacht
Dabei zeigt die Marktmacht, die Bayer durch die Monsanto-Übernahme erhält, exemplarisch das ökonomische Potenzial des transatlantischen Bündnisses. Gemeinsam halten die beiden Konzerne einen Anteil von rund 25 Prozent am Weltmarkt für Pestizide, einen Anteil von rund 30 Prozent am Weltmarkt für genveränderte und konventionelle Agrarfrüchte sowie einen Anteil von mehr als 90 Prozent am Weltmarkt für genmanipulierte Pflanzen.6 Zusammengenommen erzielten Bayer und Monsanto in der Agrarbranche zuletzt einen Jahresumsatz von 23,1 Milliarden US-Dollar; damit liegen sie deutlich vor ihrer gleichfalls fusionierten Konkurrenz. Chemchina hat kürzlich Syngenta aus der Schweiz übernommen; beide gemeinsam erzielten zuletzt einen Jahresumsatz von 14,8 Milliarden US-Dollar. Auf 14,6 Milliarden US-Dollar kamen die US-Riesen Dow Chemical sowie Dupont, die sich ebenfalls zusammenschließen. BASF, der letzte Konzern aus den Top 7 der globalen Agrarbranche, der noch keine Großübernahme vollzogen hat, liegt mit einem Agrarumsatz von 5,8 Milliarden US-Dollar im Jahr abgeschlagen zurück. Die Monsanto-Übernahme muss nun nur noch von Aktionären und Regulierungsbehörden genehmigt werden.
Gescheitert
Einen Rückschlag in puncto transatlantische Firmenübernahmen hat allerdings vor einigen Tagen die Münchner Linde AG hinnehmen müssen. Der Industriegaseproduzent – 18 Milliarden Euro Umsatz, 64.500 Mitarbeiter in rund 100 Ländern, Jahresgewinn: 1,15 Milliarden Euro – ist unlängst von seinem französischen Konkurrenten Air Liquide von Platz eins der Branchen-Weltrangliste verdrängt worden, nachdem Air Liquide das US-Unternehmen Airgas übernommen hatte. Daraufhin hat der deutsche Konzern sich um die Übernahme der US-Firma Praxair bemüht, deren Umsatz sich zwar nur auf 9,6 Milliarden Euro beläuft, die aber deutlich profitabler wirtschaftet und sogar 1,5 Milliarden Euro Gewinn erzielt. Das Geschäft scheiterte – nicht zuletzt, weil Linde nicht bereit war, seinen Hauptsitz aus Deutschland nach Großbritannien, Irland oder in die Niederlande zu verlegen. Auch bei den Industriegasen ist die globale Konzentration bereits weit vorangeschritten; wäre die Fusion geglückt, dann hätten lediglich drei Großkonzerne den Weltmarkt dominiert – unter Führung einer transatlantisch erweiterten Linde AG.7
Wind aus den Segeln
Wegen ihrer immensen Bedeutung fördert die Bundesregierung die deutsch-US-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen systematisch. Zuletzt waren die Vereinigten Staaten das Gastland der diesjährigen Hannover Messe; US-Präsident Barack Obama wertete die Veranstaltung mit einem Messerundgang in der niedersächsischen Landeshauptstadt auf.8 Kritik an der höchst profitablen Marktmacht, die einzelne Konzerne wie Bayer durch gewaltige Übernahmen wie diejenige von Monsanto anhäufen, muss gegenüber der Wirtschaftsförderung zurückstehen; sie wird deshalb in der Berliner Politik gewöhnlich nur von der Opposition, von Regierungsparteien wie aktuell der SPD lediglich in Ausnahmefällen und unter strikter Beschränkung auf verbale Äußerungen jenseits praktisch-politischer Bedeutung geübt. Verbalkritik allerdings ist, solange sie folgenlos bleibt, zuweilen sogar recht willkommen: Sie hilft, außerparlamentarische Proteste einzubinden und ihnen damit auf lange Sicht den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Mehr zur deutschen Wirtschaftsexpansion: Ostgeschäfte.
1 S. dazu Die Renaissance des Westens (III) und Billionenschwere Allzeitrekorde.
2 US-Importnachfrage lässt im 1. Halbjahr zu wünschen übrig. www.gtai.de 23.08.2016.
3 Martin Wiekert: Wirtschaftstrends Jahresmitte 2016 – USA. 03.06.2016.
4 S. dazu Ein Kick für TTIP.
5 Der 66-Milliarden-Dollar-Deal ist fix. www.handelsblatt.com 14.09.2016.
6 Jan Pehrke: Bad and ugly. konkret 7/2016.
7 Linde bricht Fusionsverhandlungen ab. www.handelsblatt.com 12.09.2016.
8 S. dazu Von Mittel und Zweck.