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[Duogynon] Hauptversammlung 2016

CBG Redaktion

Rede Bayer Hauptversammlung 2016
Andre Sommer zu Duogynon

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Andre Sommer und ich spreche zum Thema Duogynon, ein ehemaliger hormoneller Schwangerschaftstest von Schering. Wahrscheinlich kam es dadurch zu zahlreichen Abgängen in der Frühschwangerschaft, viele Kinder starben kurz nach der Geburt oder leben bis heute mit schweren Missbildungen.

Die Inhalte meiner Rede basieren auf internen Unterlagen von Schering. Diese Unterlagen müssen Bayer bekannt sein.

Schon Ende der 60er Jahre bemerkte Schering in Tierversuchen, dass dieses Medikament gefährlich war. So meldeten die eigenen Wissenschaftler ernsthafte Auffälligkeiten bei Tierversuchen. Was sagen Sie zu diesen Ergebnissen? Das muss Sie doch erschrecken.

Ein anerkannter Experte beriet Schering. Er sagte, dass man schon Ende der 60er Jahre Studien an Affen hätte machen sollen, da man da schon die embryonalen Effekte an Kaninchen und Ratten kannte. Es gäbe keinen Zweifel, dass Schering schuldig sei und zu wenig getan hätte, insbesondere nach dem Verdacht des teratogenen Potentials. Die einzige Chance in einem Prozess sei die Kausalitätsfrage, also ob Schering genug Zweifel säen könne! Dies verfolgt Bayer bis heute bzw. heutzutage verlässt sich Bayer auf die Verjährung und gewinnt so leider die Prozesse.

Scherings Strategie war es damals, dass man das Medikament in den verschiedenen Ländern nur vom Markt nahm, wenn die Gesundheitsbehörden in den Ländern Druck machten. So verkaufte Schering das Produkt noch mehr als zehn Jahre nach den beängstigenden Ergebnissen der eigenen Tierversuche weiter.

Auch die deutschen Behörden schauten lange nur zu. Sie wussten, dass die Umsatzzahlen über die Jahre hinweg fast gleich hoch blieben, auch nach Streichung der oralen Version als Schwangerschaftstest. Die Mitarbeiter des BGA bezeichneten sich selbst als Advokaten von Schering.

In einem offiziellen Schreiben des Ministeriums wird über die ursprüngliche dritte Indikation von Duogynon gesprochen. Dies sei die Unterbrechung einer frühen Schwangerschaft, also praktisch ein Abortmittel. Wussten Sie von dieser Indikation?

Ein Mitarbeiter der englischen Gesundheitsbehörde traf sich auf den Bermudas mit Schering. Er entschuldigte sich bei Schering für seine letzte Studie, denn da stellte er einen Zusammenhang mit Missbildungen und der Medikamenteneinnahme fest. Er wolle nun die Gesundheitsbehörde verlassen, da er nun Hunderte von Anfragen zu der Studie und dem Thema hat. Er habe sein gesamtes Material, auf dem seine Untersuchung basierte, vernichtet bzw. unkenntlich gemacht, womit es unmöglich sei, die in die Untersuchung aufgenommen Fälle zurückzuverfolgen. Dies habe er anscheinend gemacht um zu verhindern, dass individuelle Ansprüche mit diesem Material gestützt werden könnten. So stellt man sich unabhängige Behörden vor.

Bayer spricht immer von unabhängigen Wissenschaftlern die keinen Zusammenhang zwischen Duogynon und Missbildungen feststellen konnten. Einer dieser unabhängigen Wissenschaftler sandte seine Studie vor Veröffentlichung bei Schering ein und fragte bei Schering nach Änderungswünschen:
– „Haben Sie wichtige Vorschläge für Textänderungen?“
– „Falls größere, gravierendere Passagen geändert werden müssten, könnte ich evtl. auch das Manuskript vom Verlag zurückerbitten bevor es in Druck geht.“

Dieser Report wurde an fast alle anfragenden Ärzte usw. versandt. Man sandte diesen Bericht, obwohl man wusste wie er zustande kam, auch an das Bundesgesundheitsamt. Sieht so für den Bayerkonzern unabhängige Wissenschaft aus? Ist das die gängige Art?

Es gab zahlreiche Anfragen von Ärzten bzw. Betroffenen an Schering. Viele bekamen diesen Report als Antwort zugesandt. Es war dem Konzern klar, dass es sich nicht um Einzelfälle handeln konnte, denn es waren zu viele Anfragen. Warum hat Schering so lange nichts gemacht? Löste die Vielzahl von Anfragen keinen Alarm aus? Wie konnte man tatenlos zusehen?

Einem anderen Wissenschaftler bietet man ganz offen an, seine Forschungen zu finanzieren, falls das Ministerium dies nicht mehr tun würde. Auch er schrieb Berichte für Schering. Dazu passt, dass sich vor einigen Jahren ein Mann bei uns gemeldet hatte. Er gab sich als ehemaliger Schering Mitarbeiter aus. Er behauptete damals persönlich im Namen von Schering Mediziner bestochen zu haben. Diese Mediziner hätten dann Tierversuche „geschönigt“ und damals so um die 50.000 DM erhalten. Er würde nur nicht öffentlich aussagen, weil er um seine Betriebsrente fürchtet. Stimmt es, dass Sie den Mann in Berlin nach Berlin nun zitiert haben? Stimmt es, dass Sie wissen wollten ob er in England vorgeladen wird? Ich hoffe er wird vorgeladen.

Auch heute ist der Bayerkonzern ganz eng mit Wissenschaftlern “verbunden”. Die BfARM Studie über Duogynon wurde von einem Forschungsleiter mitverfasst, der zeitgleich Zuwendungen von BayerScheringHealthcare bekam. Das bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Schering England warnte damals die Zentrale in Berlin jahrelang, aber nichts geschah. Die englischen Behörden berichteten Schering von neuen Erkenntnissen. Sie sprachen von einem Missbildungsrisiko von 5:1 nach der Einnahme von hormonellen Schwangerschaftstests. Das löste in England Entsetzen aus.

Vorsichtshalber ließ Schering auch zahlreiche englische Abgeordnete “beurteilen”. Ein Urteil über einen Abgeordneten, der heute noch im engl. Parlament sitzt, lautete:
“ein führender linker Flügelspieler, unnachgiebig, sehr klug, ein gewaltiger Gegner vollkommen unbestechlich…“
Unbestechlich…. Warum dieser Vermerk? Waren die anderen Abgeordneten alle bestechlich? Wollte Schering bestechen?

Die englischen Scheringanwälte damals waren nicht so begeistert von der Sachlage. Sie sagten: „Sollten die internen Dokumente jemals in die Hände von Klägern geraten, wäre dies pures Dynamit“. Die Anwälte waren sich damals schon sicher: „Wir müssen akzeptieren, dass wir fahrlässig gehandelt haben…“
Es wurde z.B. intern auch ernsthaft diskutiert eine 500 Pfund Entschädigung an ein behindertes Opfer in England zu zahlen. Alleine der Tagungsraum damals kostete 300 Pfund pro Tag. Kann man ein solches Verhalten glauben?

Schauen Sie sich die Dokumente im Landesarchiv in Berlin an. Dort lagern mehr als 7.000 Seiten interner Papiere. Alle Journalisten können das Archiv betreten. Bilden Sie sich ihr eigenes Urteil.

Die Scheringleitung wollte im Falle eines Strafverfahrens genauso gut organisiert sein, wie das bei Chemie Grünenthal (dem Conterganhersteller) der Fall war…. Deswegen lautete eine Anweisung: „…von sofort an werden alle Berichte, Notizen und mündlichen Äußerungen zum Fall Duogynon daraufhin zu überprüfen sein, ob sie…. so abgefasst sind, dass sie nicht zu für uns nachteiligen Missdeutungen im Falle eines Strafverfahrens führen können…“
Dazu passt es, dass Schering sich mit Grünenthalvertretern bzw. Grünenthalanwälten traf. Die Angst ging um. Die Angst vor einem zweiten Fall Contergan. Im Vorstand wurde auch der Conterganeinstellungsbeschluss diskutiert. Vereinfacht dargestellt ging es den Herren darum wann Schering hätte handeln müssen? Wann ist die Grenze einer verantwortungsbewussten Handlungsweise erreicht? Reichen da alarmierende Tierversuche im eigenen Haus nicht längst aus? Halten Sie die Grenze nicht für überschritten?

Schering wusste auch längst über die Problematik der Aborte, also des Schwangerschaftsabbruches mit diesem Medikament Bescheid. Dazu hieß es damals nur, dass dies kein neuer Tatbestand sei. Es war also völlig klar. Ein Medikament, dass eine Schwangerschaft beenden kann, wird als Schwangerschaftstest eingesetzt. Unglaublich? Nicht für Schering.

Bis heute ist es mir ein Rätsel, dass das damalige Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. Die Taten der Vergangenheit werden Sie nun aber einholen. In England findet der Untersuchungsausschuss statt und dort kommt alles auf den Tisch. Es wird nun auch wieder das Parlament eingeschaltet. Sie werden sich auf viel negative Presse einstellen müssen und zwar schon sehr bald.

Der Name Duogynon wird vielleicht für immer als der „vergessene Fall Contergan“ in Erinnerung bleiben und Bayer bleibt in Erinnerung als der Hersteller, der sich niemals dafür verantwortlich zeigte. Zahlen Sie den Opfern, die Hilfe im täglichen Leben benötigen, unverzüglich eine Entschädigung und entschuldigen Sie sich für die Fehler von Schering. Wann stellen Sie sich endlich Gesprächen und zeigen Charakter?

Ihr Verhalten ist eine Schande für die deutsche Industrie.
Wir fordern den Vorstand und den Aufsichtsrat auf nun endlich auf die Betroffenen zuzugehen und für einen Abschluss des Falles zu sorgen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit
Andre Sommer