Michael Slaby (Mellifera): bienenschädigende Pestizide
Sehr geehrter Vorstand,
sehr geehrter Aufsichtsrat,
meine sehr geehrten Damen und Herren Aktionäre,
„Wo einst der herrliche Gesang der Vögel erschallte, ist es merkwürdig still geworden. Die gefiederten Sänger sind jäh verstummt. Schönheit, Farbe und der eigene Reiz, die sie unserer Welt verleihen, sind ausgelöscht …“.
Mit diesen Worten beschreibt Rachel Carlson die Wirkung von DDT, das in den 1970er Jahren weltweit geächtet und verboten wurde, weil immer mehr Belege dafür gefunden wurden, dass es sich im Gewebe von Mensch und Tier anreichert und verheerende Schäden für die menschliche Gesundheit und die Umwelt verursacht. Die von Ihnen produzierten Neonicotinoide sind für Bienen 7.000 mal toxischer als DDT. Sie sammeln sich im Boden und im Grundwasser an, verbleiben dort für viele Jahre und vergiften Bodenlebewesen, Insekten und andere Tiere, die sich von den Insekten ernähren, wie die Singvögel.
Mein Name ist Michael Slaby, ich spreche zu Ihnen im Namen von Mellifera e. V. Unsere Vereinigung setzt sich seit 30 Jahren für die Bienen ein. Unter anderem koordinieren wir das Bündnis zum Schutz der Bienen, das wir 2006 als Zusammenschluss von dreizehn europäischen Imker- und Naturschutzverbänden gegründet haben.
Lieber Herr Dekkers, wie steht Ihr Unternehmen eigentlich zum Vorsorgeprinzip?
Das Vorsorgeprinzip ermöglicht es den staatlichen Behörden, die Möglichkeit schwerer Umweltschäden zu verhindern, auch in Situationen, in denen wissenschaftliche Kenntnisse fehlen oder keine abschließende Risikobewertung möglich ist.
Das Vorsorgeprinzip ist unter anderem auch Bestandteil des UN Global Compacts. Auf Ihrer Webseite rühmen Sie sich, zu den ersten Unterzeichnern des Global Compacts zu gehören. In Grundsatz 7 heißt es, dass sich die unterzeichnenden Firmen verpflichten, eine „vorsorgende Haltung gegenüber Umweltgefährdungen“ einzunehmen.
Lieber Herr Dekkers, wie passt Ihr Umgang mit den Neonicotinoiden zu dieser Selbstverpflichtung?
Erklären Sie uns mal bitte, wie die „vorsorgende Haltung“ Ihres Unternehmens aussieht gegenüber den sich verdichtenden Studien, die vor einer hirnschädigende Wirkung der Neonicotinoide nicht nur bei Insekten, sondern auch bei uns Menschen und insbesondere bei Föten und Säuglingen warnen, welche die Pestizidrückstände über die Plazenta bzw. die Muttermilch aufnehmen?
Wie reagieren Sie darauf, dass die öffentlichen Wasser- und Gesundheitsbehörden immer genauer nachprüfen, wie lange die Rückstände der eingesetzten Pestizide im Boden verbleiben und welche Wechselwirkungen vorhanden sind zwischen den verschiedenen Pestizidrückständen und deren Metaboliten im Boden und im Grundwasser, die teilweise in ihrer Kombination um ein Vielfaches toxischer sind als deren Ausgangsprodukte?
Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihre derzeitige „vorbeugende Haltung“ vor allem darin besteht, eine ganze Armada von Wissenschaftlern und Rechtsanwälten zu beschäftigen, die entweder den Studien, die den Neonicotinoiden eine Gesundheitsgefährdung für den Menschen nahelegen, die Wissenschaftlichkeit absprechen
oder die staatlichen Behörden, die auf der Basis dieser Studien aktiv werden, mit Klagen belegen?
Wenn ich keinen Widerspruch von Ihnen höre, gehe ich davon aus, dass diese Annahme korrekt ist.
Wie erklären Sie Ihr Vorgehen vor dem EuGH? In der Klage gegen die Teilverbote setzen Sie doch letztendlich darauf, dass der EuGH den Gewinneinbußen, die Ihr Unternehmen durch die Teilverbote erlitten hat, einen höheren rechtlichen Stellenwert einräumt als dem Vorsorgeprinzip, das von der EU-Kommission zum Schutz der Bienen angewendet wurde.
Herr Dekkers, damit treten Sie das Vorsorgeprinzip mit Füßen, zu dem sie sich selbst bekannt und verpflichtet haben!
Meine Damen und Herren Aktionäre, warum lassen Sie das zu? Warum zeigen Sie Ihrem Vorstand hier nicht die rote Karte?
Herr Dekkers, warum bringen Sie Imker und Umweltschützer gegen sich auf, statt mit ihnen zusammenzuarbeiten, wie es sich für ein modernes Unternehmen gehört?
Auf Ihrer Webseite heißt es, dass Sie sehr genau prüfen, wie sich Ihre Unternehmenstätigkeit auf die Umwelt auswirkt, dass Sie sich um kontinuierliche Verbesserungen bemühen und dass Sie dafür in einen aktiven, offenen und ehrlichen Dialog mit allen Interessentengruppen treten möchten.
Hier möchte ich Sie, Herr Baumann gerne beim Wort nehmen und einen konkreten Verbesserungsvorschlag unterbreiten: Die Zukunft der Landwirtschaft liegt nicht in den systemischen Pestiziden, die ganz unabhängig vom konkreten Schädlingsbefall wirken und deshalb mehr Umweltbelastungen verursachen als nötig.
Die Zukunft der Landwirtschaft ist ökologisch. Die Menschen in Deutschland möchten kein Gift auf ihren Äckern. Sie möchten kein Gift auf ihren Tellern, sie möchten auch keine akkumulierten Pestizid-Rückstände im Grundwasser, sie möchten keine industrialisierten, lebensfernen Monokulturen.
Sie möchten, dass große Unternehmen wie die Bayer AG sie mit ihren Sorgen, Themen und Anliegen ernst nehmen, und wollen nicht immer mit den gleichen Phrasen abgespeist werden.
Gestern hat das Bundesamt für Naturschutz die neue Naturbewusstseinsstudie veröffentlicht. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks fasst die Ergebnisse der Studie so zusammen: „Die Bürgerinnen und Bürger senden uns starke Signale im Bereich der Agrarpolitik. Die Deutschen wünschen sich eine Landwirtschaft, die naturverträglich ist und das Wohl der Tiere respektiert. Es gibt eine große gesellschaftliche Mehrheit für eine Agrarwende.“
93 % der Menschen ist das Wohl der Nutztiere am wichtigsten – und die Biene ist das Drittwichtigste Nutztier. 76 % der befragten sehen den Anbau von genmanipulierten Pflanzen kritisch und zwei Drittel bewerten den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide als stark schädlich.
Im Energiesektor sind die großen Firmen aufgewacht: E.ON zum Beispiel hat erkannt, dass es in Deutschland keinen Markt mehr für Atom- und Kohlkraftwerke gibt und hat deshalb den radikalen Schritt gemacht, seine alte Atom-, Kohle- und Gas-Sparte auszugliedern und sich nur noch auf die erneuerbaren Energien der Zukunft zu konzentrieren.
Lieber Herr Baumann, ich rufe Sie auf: Nehmen Sie die Ergebnisse der Naturbewusstseinsstudie ernst und machen Sie Bayer zum E.ON der Chemiebranche!
Ziehen Sie die Klagen zurück, steigen Sie aus dem Geschäft mit den Neonicotinoiden aus und helfen Sie mit, die Agrarwende in Deutschland voranzubringen.
Wenn Ihnen wirklich an der Zukunftsfähigkeit Ihres Konzerns gelegen ist, dann steigen Sie in den Zukunftsmarkt des biologischen Pflanzenschutzes und der naturnahen Schädlingsbekämpfung ein, die auf Mischkulturen, Fruchtfolgen und robuste Sorten statt auf chemisch-synthetische Pestizide setzt.
Wenn Sie das tun, werden wir Imker die ersten sein, die Ihnen die Hand reichen und Ihnen zu diesem Schritt applaudieren werden.
Meine Damen und Herren Aktionäre, ich spreche zu Ihnen als Vater von 4 kleinen Kindern. Ich wünsche mir, dass meine Kinder und alle Kinder in einer Welt aufwachsen, in der es summt und brummt. Ich möchte nicht, dass sie in einer verarmten Welt aufwachsen müssen, auf der es still geworden ist, weil wir so viele Tiere ausgelöscht haben als Kollateralschäden eines überbordenden Pflanzenschutzes.
Deshalb bitte ich Sie im Namen der Bienen, der Hummeln, des Schmetterlings und der Feldlerche: Prüfen Sie Ihr Gewissen, ob Sie den derzeitigen Kurs Ihres Unternehmens mittragen können, Sie als Aktionäre haben eine Verantwortung vor der Natur und unseren Kindern und Enkeln.
Es ist nie zu spät für einen echten Wandel!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit