Neues Deutschland, 26. Februar 2016
Bayer baut sich um
Pharma- und Agrarchemiekonzern speckt ab – auch bei Mitbestimmung und Steuern
Banken, Energiefirmen und nun auch Bayer bauen ihre Konzerne um. Krankmachender Kapitalismus, alternde Gesellschaft und die Industrialisierung der Landwirtschaft verheißen gute Geschäfte.
Mit einem Rekordumsatz und einer Rekordausschüttung von über zwei Milliarden Euro an die Aktionäre verabschiedete sich der Bayer-Vorstandsvorsitzende Marijn Dekker auf der Bilanzpressekonferenz am Donnerstag in Leverkusen. Im April wird der bisherige Strategievorstand Werner Baumann das Amt des Niederländers übernehmen. Das Eigengewächs wird die vor zwei Jahren begonnene Modernisierung der »alten« Bayer AG vollenden. Dabei stößt Baumann auf Widerspruch von Umweltschützern und Gewerkschaftern.
Betriebsrat, Mitbestimmung bis in den Aufsichtsrat und Gewerkschaften – viele Konzerne akzeptieren die Spielregeln auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Und sehen darin sogar einen Wettbewerbsvorteil für den kapitalintensiven Standort. Doch kaum überschreiten Bayer & Co. die Landesgrenzen, scheinen gute Vorsätze oft vergessen. In den USA gilt der Leverkusener Fußballsponsor nicht gerade als Gewerkschaftsfreund. »Bei der Firma Bayer haben inzwischen nur noch fünf Prozent der US-Belegschaft einen Tarifvertrag«, beklagt ein Sprecher der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG). In Europa würden immerhin 88 Prozent der Beschäftigten nach Tarif bezahlt. Die Kritiker sehen dahinter eine Strategie, die Gewerkschaften in den USA aus den Betrieben fernzuhalten.
Davon will der Vorstand der Bayer AG nichts wissen: »Unsere Mitarbeiter sind frei in der Wahl der Organisationen, die sie vertreten«, sagt ein Firmensprecher auf Anfrage des »nd«. An allen Standorten hätten die Arbeitnehmer das Recht, ihre Interessenvertreter zu wählen. »Mitarbeiter, die als Arbeitnehmervertreter fungieren, werden in keiner Weise benachteiligt oder bevorzugt.« Dies gelte selbstverständlich auch in den USA.
Noch vor einigen Jahren war der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Bayer-Mitarbeiter in den Vereinigten Staaten laut CBG drei Mal so hoch. »Das Unternehmen hat in der Zwischenzeit gezielt Fabriken mit gewerkschaftlicher Organisation geschlossen«, kritisiert ein Sprecher der konzernkritischen Initiative. Gewerkschaftliche Organisation gebe es in den USA »praktisch« nur noch in einem einzigen Werk: In der Fabrik in Berkeley (Kalifornien), wo das Bluterpräparat Kogenate hergestellt wird, konnten Protestaktionen und landesweite Unterstützung diese letzte Gewerkschaftsbastion erhalten. Nach langwierigen Verhandlungen gibt es mittlerweile einen Tarifvertrag, der bis 2019 läuft.
Schlechte Kritiken kassiert Bayer auch von der EU-Kommission. Sie erklärte ein Steuersparmodell mit dem griffigen Namen »Only in Belgium« Mitte Januar für illegal. 35 transnationale Firmen müssen nun insgesamt rund 700 Millionen Euro nachzahlen. Das Steuersparmodell, zu dessen Nutznießern laut Medienberichten auch Bayer zählte, lockte seit 2005 ausländische Konzerne mit dem Versprechen, ihre Gewinnsteuern mindestens zu halbieren. Bayer soll das Kapital seiner in Antwerpen ansässigen Tochter auf acht Milliarden Euro erhöht und das firmeninterne Finanzgeschäft hier konzentriert haben. Kritische Aktionäre wollen die Steuerflucht auf der Hauptversammlung im April zum Leitthema machen.
Dort soll Baumann zum Vorstandsvorsitzenden gekürt werden. Der scheidende Chef Dekkers hatte den klassischen Chemiekonzern neu aufgestellt. Die Kunststoffsparte wurde als selbstständiges Unternehmen abgekoppelt und unter dem Namen Covestro an die Börse gebracht. Bayer setzt fortan ganz auf »Life Science« – Produkte rund um Gesundheit und Ernährung: Forschungsintensive verschreibungspflichtige Medikamente, Generika und Unkrautbekämpfungsmittel für die Landwirtschaft sind die Schwerpunkte. Dabei stehen giftige Bayer-Pestizide wie Glyphosat im Verdacht, für das Bienensterben verantwortlich zu sein. Auch Umweltschützer wollen sich zum Amtsantritt Baumanns zu Wort melden.
Von Hermannus Pfeiffer