Rheinische Post, 19. Dezember 2015
Unlautere Werbung? Kritik an Currenta-Wimmelbuch
Kritiker werfen dem Chemiepark-Betreiber vor, in Kitas Werbung zu machen. Die Stadt findet an dem Buch indes nichts Verwerfliches. Von Peter Korn
„Im Chempark ist immer viel los“, heißt es auf der Rückseite des neuen Wimmelbuchs: „Begleite Max und Marie auf einer Entdeckungsreise am Tag der offenen Tür und erlebe, wie Currenta dafür sorgt, dass alles läuft.“ Harmlose Infos kindgerecht aufbereitet oder nicht gewünschte Schleichwerbung? Dieser Streit wird in Leverkusen gerade öffentlich ausgetragen.
Vor allem Kita-Kinder ab zwei Jahren sollen in die Bilderwelten jenes kleinen Buches eintauchen, das der Chemieparkbetreiber Currenta aufgelegt hat. Auf fünf Doppelseiten bildet es Szenen und Geschichten aus der Welt der Chemie ab, die aber auch zeigen sollen, was Currenta so alles möglich macht. Kindergärten können das Buch kostenlos über das städtische Bildungsbüro beziehen.
Genau daran hat sich jetzt allerdings Kritik entzündet: Die Erziehungsgewerkschaft GEW forderte über ihren Vorstand Norbert Hocke: „Das Buch hat in der Kita nichts zu suchen.“ Es sei dringend geboten, „dass wir Regelungen für den Umgang mit Werbung bekommen“.
Die Kritikervereinigung „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ spricht sogar von einem Skandal: Nirgendwo seien Kinder vor der Einflussnahme von Unternehmen mehr sicher. Fragwürdig sei auch die Rolle der Stadt Leverkusen: Von den 15.000 gedruckten Exemplaren seien nicht zuletzt dank städtischer Unterstützung bereits 4000 verteilt.
Bei „Currenta“ versteht man die ganze Aufregung um das im J. P. Bachem Verlag erschienene Buch nicht: Es vermittele als wichtiger Bestandteil der Mathematik-, Informatik-, Naturwissenschaft- und Technik-Förderung wichtige Elemente der chemischen Industrie, die in Leverkusen immerhin seit weit über hundert Jahren von außerordentlich großer Bedeutung sei, erklärte ein Sprecher: „Mit Hilfe dieses Bilderbuchs erfahren die Kinder viel über den Arbeitsalltag in einem Chemiepark – und sie lernen dabei vielfach auch das Arbeitsumfeld ihrer eigenen Familienangehörigen kennen.“
Leverkusens Bildungsdezernent Marc Adomat sieht es ähnlich: „Wir leben in einer Chemiestadt“, sagt er: „Ich finde nichts Verwerfliches daran, wenn ein solches Buch auch Kindern bereits nahebringt, in welcher Umgebung sie aufwachsen.“
Unterstützung kommt auch von Experten aus der Medienpsychologie. Das Kölner Institut Rheingold etwa ist eine der renommiertesten Adressen der qualitativ-psychologischen Wirkungsforschung. Seine Experten untersuchen die unbewussten seelischen Einflussfaktoren und Sinnzusammenhänge, die das Handeln beim Einkaufen und Konsumieren, in Märkten und Medien bestimmen. Sprecher Thomas Kirschmeier kann in dem Wimmelbuch keinen unlauteren Verführungsversuch entdecken. Er sagt: „Zu München gehört das Bier, zu Hamburg der Fisch und zu Leverkusen die Chemie. Dies auch Kindern gegenüber klarzumachen, halte ich nicht für verwerflich.“
Hinweis: das Institut Rheingold ist keine akademische Einrichtung, sondern ein Marktforschungs-Institut, das PR-Arbeit für große Unternehmen anbietet
weitere Informationen: „Kleinkinder vor Konzern-Propaganda schützen!“