Kulturwandel im DAX-Unternehmen: Bayer-Vorstand sucht richtige Balance zwischen Beruf und Privatleben
Mit der Hauptversammlung der Bayer AG in Köln setzt der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) heute die von ihm initiierte Aktion „European Women Shareholders Demand Gender Equality“ fort. Im Rahmen des Projektes stellt der djb durch Unternehmerin und Rechtsanwältin Uta Behrens bei Bayer kritische Fragen zum Anteil der Frauen in Führungspositionen.
Im Aufsichtsrat von Bayer sind 20 Prozent Frauen. Mit Blick auf die Aufsichtsrätinnen und das im Mai in Kraft getretene „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ besteht bei Bayer auf beiden Seiten noch Nachholbedarf.
Im Vorstand und im Executive Council von Bayer sucht man die Frauen vergeblich. Zwei der 17 Corporate-Center-Bereiche werden von Frauen geleitet. In einem der drei Executive Committees der Teilkonzerne arbeitet eine Frau. Auch in den Leitungsgremien der Servicegesellschaften fehlen Frauen weitgehend.
Bayer verzeichnet nach einem Anstieg von zwei Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr aktuell 22 Prozent Frauen in Führungspositionen in Deutschland bei einem Belegschaftsanteil von 31 Prozent. Mit diesem Anstieg entwickeln sich die Zahlen bei Bayer doppelt so schnell, wie der Durchschnitt der 30 DAX-Unternehmen im Jahr. Ziel weltweit ist es, rund 30 Prozent bis Ende 2015 zu erreichen.
Der Vorstandsvorsitzende Dr. Marijn Dekkers will Bayer 2016 aus familiären Gründen verlassen. Er möchte in der Nähe seiner Töchter in den USA leben und steht auf dem Standpunkt, dass seine Verpflichtungen als Vorstandsvorsitzender von Bayer diese persönliche Flexibilität nicht erlauben würden und er nicht erfolgreich arbeiten könne, wenn er auf zwei Kontinenten lebe.
Behrens: „So offen wird das Thema, die richtige Balance zwischen Beruf und Privatleben zu finden, meistens nur von Frauen angesprochen. Nicht jeder Mann möchte 40 Stunden plus arbeiten und nicht jede Frau in Teilzeit auf einem niedrigen Stundenniveau. Dieses offene Bekenntnis ist ein Anstoß, Arbeitszeiten zu diskutieren. Aber entweder Karriere oder Familie ist ein altes Muster. Innovativ wäre Teilzeit auch im Vorstand und ggf. Jobsharing mit einer Frau.“
Hintergrund
Das am 6. März 2015 im Bundestag verabschiedete „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ legt u.a. eine feste Quote von 30 Prozent Frauen für die Aufsichtsräte der circa 100 größten deutschen Unternehmen fest. Der djb begrüßt die Frauenquote grundsätzlich als einen wichtigen ersten Schritt zur Verwirklichung der im Grundgesetz und auf europäischer Ebene garantierten Gleichstellung der Frauen. Die Größenordnung ist aber wenig ambitioniert. Gefordert wird daher weiterhin eine Frauenquote von mindestens 40 Prozent für Aufsichtsräte, Vorstände und alle Führungspositionen.
Dies wird auf europäischer Ebene ähnlich gesehen. Der derzeit verhandelte Entwurf der EU-Richtlinie zur „Gewährleistung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern unter den Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängende Maßnahmen“ sieht die vom djb geforderte Zielquote von 40 Prozent vor. Allerdings wurde mit Art. 4b) dort kürzlich eine „Flexibilitätsklausel“ eingefügt, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, diese Zielquote unter bestimmten Bedingungen auszusetzen. Darauf könnte Deutschland sich jetzt berufen, denn dafür soll eine verbindliche Quote von 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten ausreichen.
Das vom djb initiierte Projekt „European Women Shareholders Demand Gender Equality“ erhielt 2014 von der Europäischen Kommission neben 16 weiteren europäischen Projekten den Zuschlag für eine Förderung nach dem PROGRESS-Programm. Es wird kofinanziert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), dem Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt und der Finnischen Handelskammer. Zu den Projektpartnern gehören neben dem djb: die vier Juristinnenorganisationen European Women Lawyers Association (EWLA), EWLA Bulgarien, Association française des femmes juristes (AFFJ), der Ungarische Anwältinnenverband sowie die Finnische Handelskammer und die Universität von Westengland. Die Hochschule Magdeburg Stendal ist für Medienarbeit zuständig.
Derzeit besuchen Juristinnen und andere Fachfrauen in elf EU-Mitgliedstaaten circa 100 Hauptversammlungen großer börsennotierter Aktiengesellschaften. In den Beneluxstaaten, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien und Spanien müssen sich die im EURO STOXX 50 notierten Unternehmen den kritischen Fragen der Juristinnen stellen, in Bulgarien, Ungarn und dem Vereinigten Königreich sind es die im BUX-, SOFIX- und FTSE notierten Unternehmen.
Das Projekt schließt an das vom BMFSFJ geförderte deutsche Projekt „Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung“ an und setzt es europaweit fort. Mitglieder des djb und andere Aktionärinnen haben von 2009 bis 2013 insgesamt 300 Hauptversammlungen börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland besucht und von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch gemacht. Die Antworten der Aufsichtsräte und Vorstände auf die Fragen nach den Frauen in Führungspositionen des Unternehmens sind ausgewertet und in vier Studien veröffentlicht worden.