Frankfurter Rundschau, 12. Oktober 2004
Organisationen legen Beschwerde gegen Bayer ein
Indische Zulieferer des Konzerns sollen Kinder beschäftigen / Massive Vorwürfe auch gegen andere Unternehmen
Proagro, die indische Tochter des Bayer-Konzerns, kauft Hybridsaatgut bei Vertragsfarmen an, die auf ihren Feldern Kinder schuften lassen. Das behaupten mehrere Menschenrechtsorganisationen und haben eine OECD-Beschwerde gegen die Leverkusener eingereicht.
VON KNUT HENKEL
Hamburg: Nach mehr als einem Jahr des Dialogs mit den Bayer-Verantwortlichen in Indien und Deutschland hat sich nach Auffassung der Organisationen an den Realitäten auf den Feldern des Subkontinents wenig geändert. Rund 1650 Kinder arbeiten auf den Farmen der Bayer-Partner bei der Herstellung von Hybrid-Saatgut. Rund 350 weniger als vor einem Jahr, als Gespräche zwischen der Proagro und der indischen Kinderrechtsinitiative Mamidipudi Venkatarangaiya Foundation (MV Foundation) aufgenommen wurden.
Für Cornelia Heydenreich von der deutschen Menschenrechtsorganisation Germanwatch, ist das ein zu geringer Fortschritt. Germanwatch legte deshalb, gemeinsam mit „Global March against Childlabour“ und der „Koordination gegen Bayer-Gefahren“ Beschwerde gegen den Leverkusener Chemieriesen bei der Kontaktstelle der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Berliner Wirtschaftsministerium ein. Deren Aufgabe ist es, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen bekannt zu machen und Beschwerden wegen Verletzung der Leitsätze entgegenzunehmen. Und nach Einschätzung von Heydenreich hat die Proagro Seed Company mehrere Jahre lang gegen die OECD-Leitlinien verstoßen, die eine „effektive Abschaffung der Kinderarbeit“ vorsehen.
Das Problem ist nicht neu – dass es Kinderarbeit bei Saatgut-Zulieferern gibt, ist unstrittig. „Die Unternehmen haben die Verantwortung für die Nutzung von Kinderarbeit übernommen“, sagt Shanta Sinha von der MV Foundation. Die Stiftung beschuldigt neben Bayer zahlreiche indische Anbieter, aber auch das amerikanische Unternehmen Monsanto und die holländische Firma Advanta der Beschäftigung von Kindern. Derzeit versucht sie bei Verhandlungen mit diesen Unternehmen in Hyderabad, im Bundesstaat Andhra Pradesh, die Arbeit von Minderjährigen zu stoppen.
Schätzungen der MV Foundation zufolge arbeiten 250 000 Kinder in der Saatgutproduktion. Vor allem Mädchen zwischen sechs und 14 Jahren stellen hybrides Saatgut her. Dafür müssen sie bei der Kreuzung zweier Pflanzen mit unterschiedlichem Erbgut bei jedem Keim den eigenen Samen entfernen und durch einen fremden ersetzen.
Die Löhne der Kinder sind etwa halb so hoch wie jene von Erwachsenen, und Arbeitszeiten von 14 Stunden täglich keine Ausnahme – das haben Studien indischer Wissenschaftler ergeben. Siebzig Prozent der Kinder arbeiten in Schuldknechtschaft: Ihre Eltern haben ein Darlehen bei den Farmern aufgenommen, das der Nachwuchs abarbeiten muss. „Meist unter menschenunwürdigen Bedingungen“, unterstreicht Shanta Sinha. Sie betont, dass allein in den vergangenen Monaten drei Kinder an Pestizidvergiftungen gestorben seien.