28. Mai 2015, Rheinische Post
Bayer-Aktionäre treffen auf heile und kranke Welten
Leverkusen/Köln. Während im Saal Krebsmedikamente als Hoffnungsbringer präsentiert werden, gibt es draußen gegen andere Bayer-Präparate laute Proteste. Von Peter Korn
Drinnen und draußen – das sind bei Bayer-Hauptversammlungen zwei völlig unterschiedliche Welten. Auch gestern wieder.
Drinnen in den Kölner Messehallen erhält Vorstandschef Marijn Dekkers gleich zu Beginn seiner Rede Applaus und wird sogar emotional, als er an seine ersten Vorstellungsgespräche bei Bayer erinnert und das Unternehmen als Mitbegründer einer besseren Welt positioniert: „Ich habe selbst als Wissenschaftler lange im Labor gestanden. Ich habe geforscht und Patente angemeldet“, berichtet Dekkers: „Und hier kam ich zu einem globalen Unternehmen, das genau das machte: Wissenschaft. Für ein besseres Leben. Das hat mich umgehauen.“
Ein besseres Leben? Die Demonstranten diverser Gruppen, die sich mit Transparenten und Trillerpfeifen draußen vor dem Haupteingang aufgebaut haben, schildern aus ihrer Sicht ganz andere Erfahrungen.
Sonja Zwartje und ihr Ehemann Harald stehen mitten unter ihnen, ohne einer Gruppierung anzugehören, wie sie sagen. Den Aktionären, die mit Bussen vorfahren und sich durch das Spalier aus Bayer-Kritikern in den Saal vorarbeiten, hält das Paar Tafeln mit dem Foto seiner verstorbenen Tochter Lena unter die Nase. Die, so berichtet Sonja Zwartje aufgewühlt, habe 2012 eine Pille zur Verhütung verschrieben bekommen. Kurz danach habe sie über Atemnot und Rückenschmerzen geklagt. „Der Arzt hat das als Verspannungen abgetan“, schildert die Mutter. Drei Tage später sei ihre Tochter an Lungenembolie verstorben. Jetzt stehen sie und ihr Mann vor den Messehallen, um zu warnen, „dass diese Pillen gefährlich sind – und keine Lifestyle-Produkte, so wie es einen Hersteller wie Bayer und manche Ärzte glauben machen wollen“. Ihre Tochter etwa habe damals zu der Pille einen Schminkspiegel bekommen, aber keine Aufklärung über die Risiken.
Drinnen spricht Konzernchef Dekkers hoffnungsvoll über viel versprechende Ansätze des Tumor-Medikaments Copanlisib, für das Bayer eventuell 2016 die erste Zulassung beantragen könne: „Es wäre ein wichtiger Fortschritt in der Krebsbehandlung. Und für viele Menschen ein unschätzbarer Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität.“
Die Lebenszeit wiederum wäre für Valerie (23) schon fast abgelaufen gewesen: Das Mädchen hat einen Schlaganfall erlitten – und ist der festen Überzeugung, dass dies ebenfalls mit einem Verhütungs-Medikament zu tun hat. Sie und dasweitere Aktivisten draußen beklagen, die meisten Bayer-Aktionäre wollten von ihren Schicksalen nichts wissen. Wolfgang Scholz aus dem bayerischen Kulmbach etwa sagt: „Mich hat einer angeschnauzt, ich solle gefälligst arbeiten gehen.“
Mit Beginn der Veranstaltung drinnen ist für die Protestler draußen die Arbeit erledigt. Nur einige, die selber Bayer-Aktien besitzen, tragen die Kritik in Redebeiträgen noch in den Saal. Philipp Mimkes ist einer von ihnen. Der 47 -Jährige, der gegen Mikro-Plastikmüll zu Felde zieht, ist seit 20 Jahren Aktionär. Die Einschätzung des Kritikers indes überrascht: „Die Aktionäre“, sagt er, „haben mir in all den Jahren stets aufmerksam zugehört.“
Vielleicht haben viele ja auch den aktuellen Geschäftsbericht gelesen. Dessen Anhang nimmt kritische Aspekte auf – deutet etwa an, dass das Geschäft mit rezeptpflichtigen Medikamenten, das Bayer ausbauen will, keineswegs gefahrlos ist: Dort berichtet Bayer von Vergleichen mit 9500 Klägerinnen in den USA im Rechtsstreit um eventuell durch Antibabypillen entstandene Gesundheitsschäden: 1,75 Milliarden Euro seien vereinbart, heißt es. Und tausende Fälle sind noch offen.