junge Welt, 27.Mai 2015
Chemiemulti am Pranger
Bayer-Hauptversammlung: Initiativen machen gegen bienengefährliche Pestizide, Hormonimplantate und undurchsichtige Aktionärsstruktur mobil Von Jana Frielinghaus
Wenn sich die Anteilseigner des Bayer-Konzerns am heutigen Mittwoch in Köln zu ihrer Jahreshauptversammlung treffen, sollen gute Nachrichten die Stimmung heben. Und so ließ das Management vor Beginn verbreiten, in Wuppertal-Elberfeld und Leverkusen würden 500 neue Jobs geschaffen. »Bayer investiert hier 500 Millionen Euro in die Produktion des Blutgerinnungsfaktors VIII zur Behandlung der Bluterkrankheit«, sagte Bayer-Personalvorstand Michael König der Rheinischen Post (Dienstagausgabe). Weiter berichtete König, die Abspaltung der Kunststoffsparte Bayer Material Science, die ebenfalls Thema auf der Hauptversammlung ist, komme gut voran.
Auf dem Treffen werden unterdessen auch Dinge zur Sprache kommen, über die die Konzernspitze den Mantel des Schweigens breiten würde, wenn Kritiker sie nicht immer wieder auf die Agenda setzten. Und so wird heute in Köln auch über von dem Chemiemulti vertriebene Insektizide und über ein in Entwicklungsländern massenhaft vertriebenes Hormonimplantat mit schweren Nebenwirkungen geredet. Darüber hinaus wird der Publizist und jW-Autor Werner Rügemer als Vertreter der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) Fragen zur intransparenten Aktionärsstruktur im Konzern stellen.
Der Aktionär Michael Wolff will in Köln beantragen, dass der Konzern zwei Produkte vom Markt nimmt: »Calypso schädlingsfrei« und »Lizetan Zierpflanzenspray«. Beide enthalten das zu den Neonikotinoiden gehörende Nervengift Thiacloprid. Neonikotinoide sind nach Ansicht von Wissenschaftlern mitverantwortlich für das weltweite Bienensterben. Thiacloprid gilt zwar als deutlich weniger giftig als andere Vertreter dieser Stoffgruppe und ist deshalb weiter zugelassen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) befand dennoch, dass der Aufdruck »nicht bienengefährlich« auf Packungen der genannten Bayer-Präparate eine »Irreführung der Verbraucher« sei. Der Verband berief sich dabei auf aktuelle Forschungen des Neurobiologen Randolf Menzel. Er konnte aufzeigen, dass Thiacloprid zwar nicht tödlich für Bienen ist, dass es aber ihren Orientierungssinn, ihre Verständigung untereinander und ihre Aktivität beim Pollensammeln beeinträchtigt. Die Konzerntochter Bayer CropScience wollte dem BUND per einstweiliger Verfügung einen Maulkorb verpassen. Das Landgericht Düsseldorf wies das Ansinnen jedoch am 11. März zurück.
Mehrere Organisationen, unter ihnen das Gen-ethische Netzwerk (GeN), werden auf der Versammlung die globale Kampagne von Bayer HealthCare für das Hormonimplantat »Jadelle« kritisieren. Sie fordern einen Stopp seiner Vermarktung insbesondere im Rahmen bevölkerungspolitischer Programme. Diese gingen zulasten der Gesundheit von Frauen, weil das Präparat gefährliche Nebenwirkungen habe, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten GeN-Pressemitteilung. Die Bayer-Tochter bietet das Mittel, das fünf Jahre lang Schwangerschaften verhüten kann, für Entwicklungsprogramme seit 2012 verbilligt an – im Tausch für eine Abnahmegarantie von 27 Millionen Implantaten innerhalb von sechs Jahren. Zielgruppe sind nach Angaben von GeN insbesondere Frauen in ländlichen Regionen Afrikas, in denen es kaum medizinische Infrastruktur gibt. Dabei traten in klinischen Studien sehr häufig oder häufig Nebenwirkungen wie lang anhaltende oder ausbleibende Blutungen, Migräne, Gewichtsabnahme oder -zunahme, Depressionen und Haarausfall auf. Das in den Oberarm eingenähte Implantat kann aber nur von medizinischem Personal herausoperiert werden – das für diese Frauen meist nur sehr schwer verfügbar ist. Gegen das nahezu identische Bayer-Vorläuferprodukt Norplant gab es in den 1990er Jahren weltweite Proteste von Frauengesundheitsorganisationen sowie erfolgreiche Entschädigungsklagen. Dennoch unterstützt das Bundesentwicklungsministerium die Verbreitung der neuen Implantate.
Werner Rügemer wiederum wird in Köln kritisieren, dass im Bayer-Geschäftsbericht kein einziger Anteilseigner genannt wird. Fragen, so der Publizist gegenüber jW, werfe insbesondere das Engagement des Großaktionärs Blackrock auf, der seine Anteile auf sechs Fondsgesellschaften verteilt habe. Diese haben Rügemers Recherchen zufolge ihren Sitz in Steueroasen wie Jersey oder den Cayman Islands. Rügemer kritisiert auch die wiederholte Beauftragung der Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s durch Bayer. Bayer-Aktionär Blackrock sei »führender Miteigentümer« der Agenturen, eine unabhängige Bewertung sei daher nicht gegeben. Rügemer wird die Konzernspitze auffordern, die wichtigsten 100 Aktionäre am Stichtag 31. Dezember 2014 zu nennen. Nach seinen Angaben verfügen etwa 1.000 der insgesamt 270.000 Anteilseigner über rund 90 Prozent der Aktien. Blackrock sei mit gegenwärtig 6,2 Prozent der größte Einzelaktionär. Rügemer vermutet den US-Kapitalanleger auch als treibende Kraft hinter dem Abbau von 2.000 Arbeitsplätzen bei Bayer MaterialScience und deren Abspaltung.