taz, 27. Februar 2004
Bayers Menschen-Pestizidtests
Leverkusener Chemieriese hält an seinen umstrittenen Pestizidtests an Menschen fest – Ziel ist die Senkung gesetzlicher Grenzwerte. Umweltschützer kritisieren, der Weltkonzern handele „unethisch“
Der Leverkusener Chemieproduzent Bayer hält trotz massiver Kritik von Umweltschützern an seinen umstrittenen Pestizid-Tests an Menschen fest. „Solche Tests können im Einzelfall nötig sein“, sagte Manfred Lemken, Sprecher der Bayer CropScience AG, der taz. Zwar teste der Konzern derzeit nicht die Wirkung von Pflanzenschutzgiften an Menschen, allerdings könnten die Versuche jederzeit wieder aufgenommen werden, so Lemken: „Es kann durchaus sein, dass dies notwendig sein könnte.“
Hintergrund ist die Diskussion um verschärfte Pestizid-Grenzwerte in den USA – der US-Kongress hatte die Richtlinien 1996 mit dem „Food Quality and Protection Act“ zum Schutz der Verbraucher modifiziert. Gerade deutsche Chemiefirmen wie Bayer oder BASF klagen seither, die neuen Grenzwerte seien nicht wissenschaftlich belegt – und machen Druck auf die Umweltbehörde Enironmental Protection Agency (EPA). Mit nicht bestellten Studien soll die Sinnlosigkeit der neuen Grenzwerte nachgewiesen werden.
Dabei nimmt der Weltkonzern wenig Rücksicht: „Unethisch“ handele Bayer, sagt Philipp Mimkes von der Umweltorganisation ,Coordination gegen Bayer-Gefahren‘: Bei den 1998 in Schottland durchgeführten Tests des Pflanzenschutzmittels Azinphos Methyl – einem im Obstanbau eingesetzten Pestizid – hätten die Testpersonen nicht einmal gewusst, dass sie Pestizide schlucken, sagt Mimkes: „Der einzig bekannte Teilnehmer Bruce Turnbull dachte, er nehme an einem Medikamenten- Test teil.“ Auch eine medizinische Nachsorge habe es nicht gegeben.
Mit den Menschenversuchen verstoße Bayer eindeutig gegen den so genannten Nürnberger Kodex von 1947, so Mimkes: Der erklärt Tests an Menschen nur dann für legitim, wenn „Ergebnisse für das Wohl der Gesellschaft“ zu erwarten sind. „Bayer hat wohl verdrängt, dass der Kodex das Ergebnis der grauenvollen Menschenversuche im Dritten Reich war, bei denen damals auch Bayer innerhalb der IG Farben Auftraggeber war“, klagt Mimkes. Illegal seien die Tests zwar nicht, bedeuteten aber die Ausbeutung Armer – das Honorar für die Versuche in Schottland lag bei 700 Pfund, also rund 1.100 Euro. „Es ist nicht akzeptabel, dass ein Chemie-Gigant wie Bayer hochgefährliche Pestizide an Menschen ausprobiert“, findet auch Richard Dixon, Forschungsleiter der internationalen Umweltschutzorganisation Friends of the Earth. „Schlimmer ist aber noch der Versuch, die internationale Ächtung solcher Tests auszuhebeln.“
Doch genau daran arbeitet der Konzern weiter: „Wie Medikamententests“ sei die Pestizid-Einnahme, so Bayer-Sprecher Lemken zur taz: Selbstverständlich würden die Teilnehmer medizinisch betreut: „Das ist, als ob man Zigarretten raucht.“
VON ANDREAS WYPUTTA
taz NRW Nr. 7295 vom 27.2.2004, Seite 2