Gefährliche BAYER-Arznei
„Zeitbombe“ XARELTO
Die Zahl der durch BAYERs Gerinnungshemmer XARELTO verursachten Todesfälle erhöht sich Jahr für Jahr. 2012 zählte das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ 133 Todesfälle. Dazu kommen noch einmal 1.399 Meldungen über schwere Nebenwirkungen. In vielen Ländern steht das Medikament wegen dieses Risiko-Profils inzwischen unter verschärfter Beobachtung. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA weigert sich einstweilen sogar, das Anwendungsspektrum der Arznei zu erweitern und sie zur Behandlung der Herzkrankheit ACS zuzulassen. Aber trotz alledem steigen und steigen die Umsätze mit dem Pharmazeutikum – BAYERs Marketing-Abteilung macht’s möglich.
Von Jan Pehrke
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) fragt regelmäßig die Anzahl der unerwünschten Arznei-Effekte von BAYERs neuem Gerinnungshemmer XARELTO ab. Für 2013 verzeichnete das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) erneut einen Anstieg. Während die Behörde 2012 „nur“ 58 Todesfälle registrierte, waren es 2013 schon 133. Zudem gingen 1.399 Meldungen über bis zu drei Nebenwirkungen pro PatientIn ein. Auf 3.185 summierten diese sich so, und bei der Endabrechnung für das Jahr waren es dann schließlich sogar 3.630. Europa-weit sieht die Bilanz seit der Zulassung laut Datenbank der Europäischen Arzneimittelagentur EMA so aus: 18.087 Fälle (Stand: Dezember 2013), wobei es noch mehr sein dürften, denn längst nicht alle MedizinerInnen informieren die Behörden über beobachtete Nebenwirkungen. Ein alarmierender Befund also, auch wenn das BfArM die Ausweitung der Schadenszone mit der Zunahme der Verschreibungen erklärt und zu den 133 Toten bemerkt: „Diese Zahl bedeutet aber nicht zwingend, dass eine oder mehrere der beschriebenen Nebenwirkungen unmittelbar ursächlich für den tödlichen Verlauf waren.“
Eine ganze Weile blieb der Öffentlichkeit das Risiko-Profil des Pharmazeutikums verborgen. Dieses änderte sich aber im August letzten Jahres. Da hatte der Spiegel als erstes großes Medium die von der CBG schon seit Längerem geäußerten Warnungen aufgegriffen. Das Nachrichtenmagazin empfand den Fall „XARELTO“ sogar als so brisant, dass es eine Vorabmeldung machte, die dann auf ein breites Echo stieß. „Schwere Nebenwirkungen haben eine Debatte über ein neues BAYER-Schlaganfallmittel entfacht“, meldete das Handelsblatt. Und Focus Money informierte sogleich über deren geschäftliche Folgen: „BAYER-Aktie kommt wegen XARELTO unter die Räder.“
Alarmglocken läuten
Auch die Behörden mussten reagieren. Das BfArM gab umgehend Entwarnung. „Wir sehen keine neuen Gefahren und keinen Anlass für eine neue Risiko-Bewertung“, verlautete aus Bonn. Aus Sicht des Bundesinstitutes war bloß der manchmal allzu sorglose Umgang der ÄrztInnen mit dem Medikament ein Problem. Deshalb mahnte es die MedizinerInnen: „Beachten Sie Risikofaktoren für Blutungen sowie die Dosierung, Gegenanzeigen, Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung.“ Gleiches tat das australische BfArM-Pendant, die „Therapeutic Goods Administration“. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA stellte den Gerinnungshemmer derweil unter Beobachtung und überprüft zurzeit das Sicherheitsprofil der Arznei in einer Post-Zulassungsstudie.
Besonders besorgt zeigte sich die französische ÄrztInnen-Organisation „Syndicat des Jeunes Biologistes Médicaux“ (SJBM) über XARELTO und andere Arznei-Novitäten aus der Gruppe der Antikoagulanzien. „Die medizinischen Biologen, mehr und mehr mit der Verschreibung dieser neuen, sehr populären Medikamenten-Klasse konfrontiert, läuten die Alarmglocken“, hieß es in einer Presse-Erklärung. Die Tatsache, dass es zu XARELTO & Co. im Gegensatz zum bisherigen Standard-Therapeutikum Marcumar kein Gegenmittel gibt, wenn es zu Blutungen kommt, bezeichneten sie als „Zeitbombe“. Und in der Tat wirft das Fehlen eines Antidots – der entsprechende Stoff befindet sich erst in der Testphase – für MedizinerInnen gravierende Probleme auf. „Da konnten wir nur noch mit Gewebe-Kleber eingreifen“, schilderte etwa der mecklenburg-vorpommerische Ärztekammer-Präsident Dr. Andreas Crusius der Ostsee-Zeitung eine brenzlige Situation in der Rostocker Uni-Klinik.
Darüber hinaus macht die SJBM noch auf ein anderes Dilemma aufmerksam: Haben die PatientInnen die BAYER-Pille oder eines der anderen Mittel genommen, liefern die Tests zur Bestimmung des Blutgerinnungsstatus keine verwertbaren Ergebnisse mehr, weshalb die DoktorInnen kaum eine Möglichkeit haben, das Blutungsrisiko realistisch einzuschätzen. Nicht nur aus diesen Gründen betrachtet die Organisation die Zulassung der neuen Antikoagulanzien als einen „von extremer Unvorsichtigkeit zeugenden medizinischen Fehler“. In ihrer Not schrieben die BiologInnen sogar einen Offenen Brief an die Gesundheitsministerin Marisol Touraine, die auch sofort eine strengere Überprüfung der Gerinnungshemmer anordnete und zwei neue Studien in Auftrag gab.
Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA beließ es hingegen nicht bei solchen Untersuchungen. Mitte Januar 2014 verweigerte sie XARELTO im Gegensatz zur „Europäischen Arzneimittel-Agentur“ die Zulassung zur Behandlung der Herzkrankheit ACS. Bereits zum dritten Mal lehnte sie damit den BAYER-Antrag ab; mit 10:0 fiel das Votum einstimmig aus. Beim zweiten Versuch hatte die FDA unter anderem die Unterschlagung von drei Todesfällen, den Ausschluss unerwünschter ProbandInnen sowie fehlende Informationen über den Gesundheitszustand der TeilnehmerInnen nach Ende der Tests moniert und neue Zahlen angefordert. Diese konnten der Leverkusener Multi und sein US-amerikanischer Partner JOHNSON & JOHNSON jedoch nicht zu Genüge beibringen. Nach Ansicht der Behörde reichten die Unterlagen nicht aus, um die Bedenken hinsichtlich lebensgefährlicher Blutungen zu zerstreuen. „Die Therapie hat Vor- und Nachteile, und in diesem Kontext kommt der Qualität der Daten eine besondere Bedeutung zu“, so begründete das Gremiumsmitglied Steven Nissen die Entscheidung.
BAYER gab sich anschließend kleinlaut. Hieß es beim zweiten ablehnenden Bescheid noch: Wir haben großes Vertrauen in die Sicherheit und Wirksamkeit bei dieser Indikation und werden eng mit unserem Kooperationspartner JANSSEN RESEARCH & DEVELOPMENT, LLC (das mit den Zulassungstests beauftragte Unternehmen, Anm. SWB) daran arbeiten, die Fragen der FDA zu beantworten“, so blieb es jetzt bei der Versicherung, sich gemeinsam mit JANSSEN noch mal des Pharma-Tests anzunehmen, „damit die FDA ihre Bewertung abschließen kann“. Zudem wies der Pillen-Riese darauf hin, einen PatientInnen-Ratgeber „zur Unterstützung von bewährten Praktiken“ sowie einen Verschreibungsleitfaden für MedizinerInnen erstellt zu haben.
ÄrztInnen, die gegenüber XARELTO öffentlich Vorbehalte geäußert hatten, machte BAYER sogar einen Hausbesuch. So kam ein Regionalmanager des Unternehmens zur Kaufbeurener Internistin Dr. Sigrid Süßmeyer, die dem Spiegel von den Gesundheitsproblemen ihrer XARELTO-PatientInnen berichtet und über den immensen, von Kliniken ausgehenden Druck geklagt hatte, die Kranken auf das BAYER-Medikament umzustellen. „Vollstes Verständnis“ hatte der Konzern-Emissär für ihre Haltung. Der kritiklose Einsatz der Arznei ohne jedes Monitoring beunruhige auch den Pharma-Riesen. Aus diesem Grund führe er jetzt vermehrt Schulungen durch und würde das auch gerne in der Praxis der Ärztin tun. Dr. Süßmeyer wunderte sich über das plötzliche Interesse des Multis an ihr. „Warum hat die Firma BAYER nicht schon 2012 bei mir nachgefragt, als ich den Todesfall meldete?“, fragte sie sich. Nur eine Erklärung hatte sie dafür: Der Global Player will sie ausspionieren. Deshalb lehnte sie die Offerte dankend ab.
Weiterhin gute Geschäfte
Trotz der zunehmenden Zweifel am Sicherheitsprofil von XARELTO fährt der Leverkusener Multi mit dem Pharmazeutikum immer mehr Gewinne ein. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2013 stiegen die Umsätze gegenüber dem Vergleichszeitraum von 191 Millionen Euro auf 633 Millionen Euro – eine Steigerung von 230 Prozent! Diese sprudelnden Gewinne verdankt der Leverkusener Multi neben den Effizienz-Vorteilen, die der Gerinnungshemmer MedizinerInnen in ihrem Berufsalltag verspricht, vor allem seinen gewaltigen Marketing-Anstrengungen. So hält das arznei-telegramm zu dem BAYER-Medikament fest: „Für uns unverständlich und nur durch das forcierte Marketing erklärbar, dass es unter den neuen Mitteln die höchsten Verordnungszahlen aufweist.“
Der Konzern überzieht das Land regelrecht mit Vorträgen und sponsert etwa die „Dresdener Herz/Kreislauf-Tage“ oder den Kongress der „Deutschen Gesellschaft für Neurologie“, was dann in den Programmen Platz für XARELTO-Werbeblöcke bzw. –„Symposien“ eröffnet. Darüber hinaus initiiert er Kongresse und Events wie „Hilfe, mein Herz ist aus dem Takt“. Das alles schafft Auftrittsmöglichkeiten für eingekaufte Ärzte wie Dr. Michael Spannagl, welche die Gelegenheiten nutzen, um für die Substanz die Werbetrommel zu rühren. Allein der Medizin-Professor von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität hat es bis August 2013 auf 19 Referate zum Thema gebracht und damit 16.200 Euro dazuverdient. Daneben fand er noch Zeit für eine XARELO-Laudatio in der Zeitschrift Der Allgemeinarzt, ohne dort seine Nebentätigkeit für BAYER anzugeben. Ein „klares Versäumnis“ sei das gewesen, gesteht Spannagl dem Spiegel später und räumt auch ein, die neuen Antikoagulanzien seien „im Marketing zu banal dargestellt“ worden. In den USA, wo der Staat Arznei-Werbung auch in Publikumszeitschriften erlaubt, drückte die Gesundheitsbehörde FDA das ein wenig anders aus. Sie warf BAYERs Kooperationspartner JOHNSON & JOHNSON vor, „das mit XARELTO verbundene Risiko verharmlost“ zu haben, als er die Herzinfarkt-vorbeugende Wirkung der Arznei angepries, obwohl die Packungsbeilage vor einem erhöhten Herzinfarkt-Risiko warnte, und verbot die Annoncen kurzerhand.
Da der Gerinnungshemmer in den klinischen Prüfungen gegenüber den bisherigen Standard-Therapien keine eindeutigen Vorteile erbrachte, sondern lediglich eine – noch dazu mit vielen Fragezeichen versehene – „Nicht-Unterlegenheit“ demonstrieren konnte, legte der Global Player in seiner Produkteinführungskampagne den Schwerpunkt auf etwas anderes. Er betonte den praktischen Aspekt von XARELTO. Die PatientInnen müssten laut BAYER nicht mehr mit einiger Mühe auf das Medikament eingestellt werden, wie das Marcumar verlangt. Auch entfielen regelmäßige Blutuntersuchungen, und schließlich reiche eine Tablette pro Tag. „Kann man die Schlaganfall-Prophylaxe deutlich vereinfachen? Xa!“, heißt es auf den entsprechenden Anzeigen in Fachblättern; „1 x 1 täglich“ prangt groß auf ihnen. Die möglichen Effizienz-Gewinne rechnete das Unternehmen dann haarklein auf Kongressen vor. So präsentierte er OrthopädInnen und UnfallchirugInnen die „Stoppuhr-Studie“ mit dem Befund, „dass für die Gabe einer Tablette durchschnittlich 46 Sekunden weniger aufgewendet werden müssen als für eine Injektion. Auf einer Station mit 40 Betten ergibt sich so eine tägliche Zeitersparnis von ca. 30 bis 40 Minuten“.
In einer Zeit, da das Gesundheitssystem unter einem enormen Rationalisierungsdruck steht, nimmt das viele Kliniken und niedergelassene ÄrztInnen für das neue Medikament ein, obwohl die „Anwendungsfreundlichkeit“ die Arzneimittel-Sicherheit zusätzlich unterhöhlt. So steigt durch den Wegfall von Kontrollen des Blutgerinnungsstatus die Wahrscheinlichkeit, Blutungsgefahren zu übersehen. Und die ach so praktische, nur einmal am Tag notwendige Einnahme der Pille stellt ebenfalls eine Gesundheitsgefährdung dar. Das Mittel bleibt bei jüngeren PatientInnen nämlich nur fünf bis neun Stunden und bei älteren PatientInnen 11 bis 13 Stunden im Körper, was das Risiko einer Unterversorgung heraufbeschwört. Die „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ konstatiert deshalb: „Eine zweimal tägliche Gabe könnte mit einer verbesserten Wirksamkeit und Sicherheit einhergehen.“
Nicht einmal das Effizienz-Versprechen ist also so ganz ohne und trägt zur XARELTO-Schadensbilanz bei. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN hat ihren aktuellen Stand, wie sie durch die Zahlen des BfArM für das Jahr 2013 zum Ausdruck kommt, in einer Presseerklärung öffentlich gemacht und die staatlichen Stellen zu Reaktionen aufgefordert. „Die Behörden müssen dringend die Nebenwirkungsrate von neuen Gerinnungshemmern wie XARELTO oder PRADAXA mit den Risiken älterer Präparate vergleichen. Es ist zu befürchten, dass durch gigantisches Marketing Medikamente mit erhöhtem Risiko-Profil in den Markt gedrückt werden. Nach heutigem Kenntnisstand lässt sich eine flächendeckende Umstellung der Patientinnen und Patienten auf XARELTO nicht rechtfertigen“, resümiert die CBG.