Die Kehler Zeitung berichtet heute über die Proteste zur BAYER-Hauptversammlung gegen risikoreiche Antibabypillen des Konzerns. Hier finden Sie weitere Infos zur Kampagne.
Kehlerin kämpft gegen Konzern-Riesen
Eine junge Frau macht Bayer dafür verantwortlich, dass sie fast gestorben wäre
20 Minuten lang war Felicitas Rohrer aus Goldscheuer klinisch tot. Erst eine Notoperation am offenen Herzen rettete ihr das Leben. Sie macht die Einnahme der Antibabypille Yasminelle von Bayer für ihr Leiden verantwortlich. Jetzt hat sie in der Hauptversammlung von Bayer in Köln vor Tausenden Aktionären gesprochen und für ihre Sache gekämpft.
7. Juni 2014 — Es ist acht Uhr morgens. Bei diesigem Wetter bauen sich mehrere Protestgruppen vor der Messehalle in Köln auf – dort, wo gleich die Aktionärsversammlung von Bayer beginnt. In leuchtend rote T-Shirts gekleidete junge Frauen verteilen Flugblätter gegen Antibabypillen mit dem Wirkstoff Drospirenon. Unter ihnen ist Felicitas Rohrer aus Goldscheuer. Die 29-Jährige erlitt vor vier Jahren eine Lungenembolie. Um ein Haar wäre sie daran gestorben. Zuvor hatte sie die Antibabypille Yasminelle von Bayer eingenommen.
Sie verklagt den Pharmakonzern auf Schadensersatz und Schmerzensgeld und gründete die Selbsthilfegruppe Drospirenon-Geschädigter. Mit weiteren betroffenen Frauen ist sie nach Köln gereist, um den Aktionären die Schattenseiten von Bayers Geschäftspolitik aufzuzeigen. Zudem will sie den Vorstand auffordern, Verantwortung für die eigenen Produkte zu übernehmen.
»Drospirenonhaltige Pillen haben ein drei- bis fünffach erhöhtes Thromboserisiko als andere Pillen. Aber keinerlei Zusatznutzen«, sagt Felicitas Rohrer. »Warum sind solche Pillen auf dem Markt? In Deutschland haben sie bisher 28 Frauen das Leben gekostet und bei Tausenden schwere Erkrankungen hervorgerufen.« Bayer weigere sich, die unabhängigen Studien anzuerkennen und berufe sich nur auf die eigenfinanzierten Studien, wonach das Thromboserisiko nicht erhöht sei.
Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, sind die zehn jungen Frauen hier nach Köln gekommen. Auf ihren T-Shirts ist in knappen Lettern das Leiden junger Frauen zu lesen: 25 Jahre, klinisch tot; 24 Jahre, Lungenembolie; 19 Jahre, Thrombose.
Viele Aktionäre laufen kommentarlos an den Demonstrantinnen vorbei. Dennoch erregen sie Aufmerksamkeit. Für sie ist es schon ein Erfolg, dass sie überhaupt hier stehen dürfen. Bayer wollte die Proteste vor der Messehalle verbieten, unterlag aber vor dem Verwaltungsgericht Köln, das bestimmte, dass der Bereich vor der Halle öffentlich sei.
Die Demo ist aber nicht die einzige Form von Protest der Selbsthilfegruppe. In der Halle hält Felicitas Rohrer vor den Aktionären eine Rede und präsentiert all die Studien und Fakten, die Bayer nicht anerkennen will. Sie berichtet darüber, dass in fünf Ländern Klagen gegen Bayer laufen. Sie erzählt, dass Bayer in den USA 1,7 Milliarden US-Dollar Entschädigung gezahlt hat, dass Bayer auf Drängen der Gesundheitsbehörden inzwischen den Beipackzettel ändern und in Frankreich eine Pille mit ebenfalls erhöhtem Thromboserisiko vom Markt nehmen musste.
Felicitas Rohrer erzählt davon, dass der Pharmakonzern die Betroffenen selbst an den Pranger stellt. Wie beispielsweise in der Schweiz, wo die Familie einer jungen Frau, die mit 16 durch die Einnahme einer drospirenonhaltigen Pille eine Lungenembolie erlitt und seither schwerstbehindert ist, Bayer nun 120 000 Schweizer Franken Prozessentschädigung zahlen soll.
Presse ist in der Halle nicht erwünscht. Aber Felicitas Rohrer berichtet der Kehler Zeitung nach ihrer Rede: »Wider Erwarten hat mir der Vorstand wirklich zugehört. Bei anderen Redebeiträgen sind sie auch schon mal aufgestanden oder haben sich unterhalten. Bei meiner Rede haben sie sogar den Stuhl in meine Richtung gedreht. Ich hatte auch durch Äußerungen mancher Mitarbeiter das Gefühl, dass Bayer ganz genau weiß, wer ich bin. Leider war die Reaktion ansonsten vorhersehbar.
Die gleichen Standardsätze von wegen, dass die drospirenonhaltigen Pillen ein positives Risiko-Nutzen-Profil haben und dass sie bei indikationsgemäßer Anwendung sicher seien. Das ist schon frustrierend, da meine Mitstreiterinnen und ich detailliert alle vorhandenen Studien aufgelistet haben, die das Gegenteil beweisen.«
Erfreut ist sie über die positive Rückmeldungen vonseiten der Aktionäre: »Viele kamen nach der Rede auf uns zu und haben uns darin bekräftigt weiterzukämpfen. Viele von ihnen haben Töchter in meinem Alter und sind vom ablehnenden Verhalten Bayers schockiert.«
Die 29-Jährige wird also weiterkämpfen, ermutigt von den vielen Betroffenen, die vor Ort waren, und von den Reaktionen der Aktionäre. Und bis zur nächsten Aktionärsversammlung wird sie weiter juristisch gegen den Konzern vorgehen: »Ich hoffe, dass sich mein letzter Satz in der Rede bewahrheitet. Dass ich Bayer das nächste Mal vor Gericht begegnen werde!«
Klaus Körnich