9. Mai 2013
Coordination gegen BAYER-Gefahren
BAYER beendet Geschäft mit Kohlenstoff-Nanoröhrchen
gesundheitliche Risiken weiterhin unklar / Anlage in Laufenburg erst kürzlich erweitert / Millionen-Subventionen des Forschungsministeriums
Der BAYER-Teilkonzern MaterialScience stellt die Vermarktung von Kohlenstoff-Nanoröhrchen ein. Die Arbeiten rund um Carbon Nanotubes (CNT) sollen laut BAYER „zum Abschluss gebracht werden„, für das Know-how werde ein Käufer gesucht. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren, der BUND und andere Umweltverbände hatten seit Jahren wegen möglicher Gesundheitsgefahren vor einer großtechnischen CNT-Produktion gewarnt.
Nanotubes sind winzige Röhrchen aus Kohlenstoff, die u.a. in Lacken, elektronischen Bauteilen und Sportartikeln eingesetzt werden sollen. Die Partikel können über die Atemwege, den Magen-Darm-Trakt und die Haut aufgenommen werden. Tierversuche zeigen, dass bestimmte CNT die Entstehung von Krebs ähnlich wie Asbestfasern begünstigen können. Selbst der BAYER-Konzern warnte in einem Sicherheitsdatenblatt: „Toxikologische Untersuchungen am Produkt liegen nicht vor.“
Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren kommentiert: „Potentiell gefährliche Produkte sollten nur auf den Markt gebracht werden dürfen, wenn deren Ungefährlichkeit bewiesen ist – dies war bei Nanotubes nicht der Fall. Die von BAYER empfohlenen Grenzwerte, die von den Behörden übernommen wurden, müssen angesichts des Fehlens epidemiologischer Daten als willkürlich angesehen werden. Daher begrüßen wir den Verzicht auf eine großtechnische Produktion von CNT, auch wenn die Entscheidung auf rein kommerziellen Erwägungen beruht.“
Claudia Baitinger vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) NRW ergänzt: „Der Hype um Nanotubes entpuppt sich offensichtlich – wie so manches andere zweifelhafte Forschungsprojekt – als eine Fata Morgana, die aber zuvor reichlich öffentliche Fördergelder in die Kassen spülen durfte.“ Für die Entwicklungskosten hatte BAYER vom Bundesforschungsministerium mehrere Millionen Euro Unterstützung erhalten.
Im Januar 2010 hatte BAYER in Leverkusen die nach eigenen Angaben „weltgrößte Produktionsanlage für Carbon Nanotubes“ eingeweiht. Geplant war eine jährliche Produktion von 200 Tonnen, der reguläre Betrieb wurde jedoch nie aufgenommen. Erst vor wenigen Monaten hatte die Firma H.C. Starck in Laufenburg eine Erweiterung der dortigen CNT-Produktion erwirkt. Starck stellt die Röhrchen im Auftrag von BAYER her. Die Zukunft der Laufenburger Anlage ist unklar, offenbar wurde die Werksleitung von der Entwicklung überrascht.
Laut der gestrigen Stellungnahme von BAYER seien die möglichen Anwendungsbereiche “sehr fragmentiert„, eine umfangreiche Kommerzialisierung sei derzeit nicht in Sicht. Zum Produktionsstart hatte dies noch ganz anders geklungen: „Baytubes bieten nahezu unendliche Möglichkeiten“, hieß es zum Beispiel in einer BAYER-Werbebroschüre. Joachim Wolff vom Vorstand der BAYER Material Science AG jubelte damals gar: „Aktuelle Prognosen sagen für Carbon Nanotubes ein jährliches Wachstum von 25 Prozent und innerhalb von zehn Jahren ein Marktvolumen von zwei Milliarden US-Dollar voraus“.
weitere Informationen zur Kampagne
Badische Zeitung, 10. Mai 2013
Baytubes ohne Bayer?
Fragen bei H. C. Starck
LAUFENBURG (-di). Um die erst im Herbst 2012 genehmigte dauerhafte Produktion von Kohlenstoffnanoröhrchen bei H. C. Starck in Laufenburg ranken sich neue Fragezeichen. Bayer Material Science, in dessen Auftrag im Werk Enag die Baytubes hergestellt werden, hat am Mittwoch angekündigt, die Nano- Projekte “zum Abschluss bringen„ und seine Entwicklungsaktivitäten auf andere Felder konzentrieren zu wollen. Wie sich dies auf den Produktionsstandort Laufenburg auswirkt, scheint völlig ungewiss zu sein. Die Kommunikationsdirektorin von H. C. Starck, Ulrike Reich, konnte dazu am Donnerstag noch nichts sagen. Nach Angaben von Bayer Material Science soll “zeitnah festgelegt werden„, wie die Forschungsergebnisse und das Know-how für die Herstellung und Verwendung der Kohlenstoffnanoröhrchen “konkret weiter genutzt werden können“.
Ziel war eine Produktion von 75 Tonnen pro Jahr
Nach einem zähen Verfahren, in dem viele Einwendungen – etwa wegen gesundheitlicher Bedenken – zu würdigen waren, hatte das Regierungspräsidium Ende November die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Produktion von Baytubes bei H. C. Starck erteilt. Das Unternehmen hatte die mehrwandigen Nanoröhrchen bis dahin nur versuchsweise und zeitlich begrenzt herstellen dürfen und plante fortan im Dauerbetrieb eine Produktion von 75 Tonnen pro Jahr.
ein Kommentar der CBG zum Ausstieg aus der CNT-Produktion
Ausstieg aus der Nano-Technik
Mit großen Worten pries das „Erfinder-Unternehmen“ BAYER 2003 die Nano-Technik. „Wenn wir lernen, Materialien bis in die atomare Ebene hinein zu verändern, dann können wir neue Wirkungen erzielen, Eigenschaften optimieren und dadurch völlig neue Möglichkeiten für alle Geschäftsfelder unseres Unternehmen eröffnen“, frohlockte der damalige Forschungsvorstand Udo Oels. Schon bis 2010 rechnete der Multi mit einem Marktvolumen von 200 Milliarden Euro für Nano-Produkte. Und die Bundesregierung steckte der Konzern mit seiner Begeisterung an. Mit neun Millionen Euro unterstützte diese den Global Player bei der Entwicklung von Carbon Nanotubes (CNT), Kohlenstoff-Röhrchen aus Nano-Materialien. Ungeachtet der Risiken – die winzigen Teilchen können beispielsweise ähnlich wie Asbest-Fasern die schützende Blut-/Hirnschranke überwinden – machte sich der Global Player ans Werk. Im Laufenberger Werk seiner ehemaligen Tochtergesellschaft HC STARCK oder in der Leverkusener Pilotanlage entwickelte er BAYTUBES-Prototypen zur Verwendung in Duftkapseln, Folien, Flüsterschotter, Eishockeyschlägern, Kathedern, Schläuchen, Windrad-Flügeln und Akkus. Allerdings begann es bald zu hapern. Das Leverkusener Technikum kam nicht richtig ans Laufen, und Abnehmer für sein neues Produkt fand BAYER auch nicht in genügender Zahl. So antwortete die Bezirksregierung 2011 der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, die BAYER verdächtigte, bereits ohne Genehmigung BAYTUBES für den kommerziellen Gebrauch herzustellen und deshalb um Aufklärung bat: „Anfragen bei potenziellen Kunden haben inzwischen gezeigt, dass der Markt CNT-Material mit anderen Eigenschaften benötigt.“ BAYER habe „wegen der unzureichenden Nachfrage auf dem Markt“ nicht beantragt, Teile der Produktion zu verkaufen. Obwohl das Unternehmen in Tateinheit mit HC STARCK weiter den Ausbau des Laufenburger Nano-Werks betrieb und eine Produktionserweiterung beantragte, klangen seine Verlautbarungen zum Thema „Nano“ bald schon gedämpfter. „Es ist jedoch eine fatale Fehlinterpretation, dass wir diese Labor-Ergebnisse einfach in Produkte und Anwendungen übertragen können, die man morgen bei ALDI kaufen kann“, ruderte der Nano-Beauftragte Péter Krüger beim letzten „Inno.CNT“-Kongress zurück, wo sich selbst ForscherInnen vom Fraunhofer-Institute auf Durchhalte-Parolen beschränkten: „Wir dürfen mit den CNTs nicht zu früh aufgeben.“ Das hat der Leverkusener Multi ein paar Wochen später dann aber doch getan. Er hatte offenbar die Hoffnung verloren, gleichzeitig imstande zu sein, die komplexen Herstellungsprozesse zu beherrschen und einflussreiche Branchen für die neuen Materialien zu gewinnen. Erst verkaufte er sein Geschäft mit Nano-Silbertinten, dann verkündete er das Aus für den ganzen Zweig. „Bahnbrechende Anwendungen für den Massenmarkt“ seien nicht in Sicht, so BAYER-Manager Patrick Thomas zum Ausstieg aus der „Zukunftstechnologie“