Tagesspiegel, 26. April 2013
Bayers dunkles Kapitel
Auf der heutigen Hauptversammlung wollen Kritiker an die Konzerngeschichte in der NS-Zeit erinnern.
Berlin – Es ist ein großes Jubiläum, das Bayer in diesem Jahr feiert: Der Leverkusener Pharma- und Chemiekonzern wird 150 Jahre alt. Am 1. August 1863 hatten der Kaufmann Friedrich Bayer und der Färber Johann Friedrich Weskott ihn in Wuppertal-Barmen als Farbenfabrik gegründet. Heute ist Bayer mit insgesamt mehr als 110 000 Mitarbeitern ein erfolgreicher Weltkonzern, der neben Kunststoffen auch Pflanzenschutzmittel und Medikamente herstellt.
Auf der Hauptversammlung am heutigen Freitag sollen die Aktionäre allerdings auch an die dunkelsten Kapitel der Konzerngeschichte erinnert werden: Die Organisation „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG) kritisiert den heutigen Umgang des Unternehmens mit den Taten der IG Farben während der NS-Diktatur.
1925 war der Großkonzern durch einen Zusammenschluss von Chemiefirmen wie Bayer, Hoechst und BASF entstanden. Die IG Farben war eng mit der Kriegsplanung verflochten: Die Nationalsozialisten erklärten die Werke zu den „kriegs- und lebenswichtigen Betrieben“. Im Dritten Reich schufteten und starben in den Fabriken zehntausende Zwangsarbeiter und KZ–Häftlinge.
In dem Gegenantrag, den die CBG auf der Hauptversammlung verlesen will, heißt es, Bayer wasche seine Firmengeschichte weiß. „In der Unternehmensgeschichte im Internet und im aktuellen Geschäftsbericht werden die Verbrechen in der NS-Zeit durch die IG Farben nicht ausreichend und zum Teil verharmlosend dargestellt“, wirft Philipp Mimkes von der CBG Bayer vor. „Und das sind genau die Veröffentlichungen, die die meisten Menschen erreichen.“ Auch die Jubiläumsschrift zu 125 Jahren Bayer enthalte zwar Angaben zu Zwangsarbeitern. „Umfassend ist das aber in keinster Weise, Hinweise auf Menschenversuche und Giftgastests fehlen“, sagt Mimkes. Die Organisation, die jedes Jahr auf der Hauptversammlung spricht, fordert von Bayer daher eine Überarbeitung der Veröffentlichungen zur Firmengeschichte.
Bayer weist die Vorwürfe der CBG zurück. Der Konzern habe „ völlig unabhängig von Jubiläen“ die Firmengeschichte „ausführlich dokumentiert und vielfältig veröffentlicht“, erklärt das Unternehmen. Allein die Firmen-Chronik zum 125-jährigen Bestehen befasse sich auf rund 80 Seiten „auch mit der Zeit der IG Farben.“ Zudem stehe das Unternehmensarchiv „zur wissenschaftlichen Recherche selbstverständlich zur Verfügung“. Am heutigen Freitag will der Konzernvorstand auf der Hauptversammlung auf die Kritik der Organisation reagieren. von Jahel Mielke