NORDDEUTSCHE RUNDSCHAU, 19. März 2013
Erörterung zur Produktionsumstellung im Brunsbütteler Bayer-Werk:
Einwender sorgen sich um den Umgang mit Phosgen
Brunsbüttel. Es geht um den Standort von Bayer in Brunsbüttel. Und es geht um die Sicherheit von Anwohnern. Gestern begann im Elbeforum die öffentliche Erörterung von Einwänden gegen das 120-Millionen-Vorhaben, mit dem der Chemiekonzern den Standort in der Schleusenstadt fit machen will für die Zukunft. Den Termin, der heute um 10 Uhr seine Fortsetzung findet, hatte das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume (LLUR) anberaumt: die Erörterung ist Teil des Genehmigungsverfahrens. 76 Einwender hatten im Vorfeld 63 Einwendungsschreiben an das LLUR verfasst. Vertreter des Werks, Einwender und Experten diskutieren die Kritikpunkte, versuchen, Bedenken auszuräumen.
„Es geht uns um langfristige Entscheidungen, die nicht nur für Bayer Bedeutung haben, sondern auch für die Nachbarn“, betonte Werkleiter Dr. Klaus Gebauer. Gleichwohl müsse man nicht in jedem Punkt einer Meinung sein. Für das Werk hat die geplante Investition auf jeden Fall grundlegende Bedeutung, machte Gebauer deutlich: „Es dreht sich um die entscheidende Weichenstellung für die Zukunft unseres Standorts.“ Denn die Leverkusener Konzernmutter setze künftig auf die Produktion in Großanlagen. So weit sei das Werk im ChemCoastPark aber noch nicht. Daher die beabsichtigte Produktionsumstellung von MDI (200 000 Jahrestonnen) und TDI als Schaumstoffprodukte auf die alleinige Herstellung von MDI (420 000 Tonen im Jahr) für harte Schäume, wie sie in Dämmstoffen verwendet werden. Ein Knackpunkt aus Sicht der Einwender ist dabei der Umgang mit Phosgen (siehe Infokasten).
Für das Unternehmen kein Problem, betonte Gebauer. „Die Bayer-Sicherheitsstandards gelten inzwischen für die Phosgen-Produktion weltweit“, betonte er. Ohnehin sei das Sicherheitskonzept des Industrieparks sehr hoch entwickelt. Gutachten hätten dies bestätigt. „Wir möchten unseren Beitrag leisten, damit Bayer am Standort investiert und uns eine langfristige Zukunft gibt“, betonte der Werkleiter.
Dr. Karsten Hinrichsen und Eilhart Stelzner äußerten sich jedoch skeptisch, was den Umgang mit einer Substanz angeht, die als „Grünkreuz“ im Ersten Weltkrieg traurige Berühmtheit erlangte und Zehntausende das Leben kostete.
Hinrichsen betonte gegenüber unserer Zeitung, dass es nicht darum gehe, den Ausbau von Bayer MaterialScience in Brunsbüttel zu verhindern. „Wir sehen uns als Teil der Genehmigungsbehörde“, erklärte er seine Einstellung. Aber, so der Brokdorfer, es solle versucht werden, das höchstmögliche Maß an Investitionen in die Sicherheit herauszuholen und sich nicht mit – für das Werk günstigeren – Mindeststandards zufrieden zu geben. „Einen Jahresprofit kann man hier investieren“, befand er. An die Adresse Klaus Gebauers betonte er, dass er ihm die geäußerte Sorge um die Sicherheit der Nachbarschaft abnehme. Aber Konzern und Aktionäre wollten Geld sehen, und „jedes Mehr an Sicherheit kostet Geld“. Hinter sich wissen Hinrichsen und Stelzner die Umweltorganisation BUND. Das sei zumindest dann wichtig, wenn es doch zu einer Klage kommen solle.
Ganz wichtig ist den beiden Einwendern im Zusammenhang mit Phosgen die Einhausung des Reaktors mit Beton und nicht wie geplant mit Trapezblechen. Diese hielten einer Explosion nicht Stand, sagte Hinrichsen. Da genüge auch nicht, wie im jetzigen Reaktor, eine Wand aus Ammoniak. Offen sind für ihn Folgen von Terrorismus oder eines Flugzeugabsturzes. Selbst ein denkbarer Bruch des Elbdeichs werfe Fragen auf: „Wie hoch steht dann das Wasser auf dem Werksgelände?“
Ohnehin vermisste Hinrichsen einen Sicherheitsbericht bei den Antragsunterlagen von Bayer. Daher müsse dieser Punkt ausgeklammert und gesondert erörtert werden. Das hätte jedoch ein schnelles Ende der gestrigen Erörterung bedeutet, dreht sich doch ein Großteil der Einwände um Gefahren im Zusammenhang mit Phosgen.
Dazu allerdings hatten die Vertreter des LUR eine andere Auffassung. Die Unterlagen genügten den Anforderungen, sonst wäre die Erörterung gar nicht zustande gekommen. Zudem sei der Umweltgutachter Dr. Ralph von Dincklage mit einer weiteren Expertise beauftragt worden. Die sei jedoch noch nicht fertig, erklärte der Fachmann.