22. Januar 2013
Coordination gegen BAYER-Gefahren
Dormagen: Genehmigung für umstrittene TDI-Anlage
hoher Energie- und Rohstoff-Verbrauch / Kritik von Umweltverbänden führt zu Auflagen / Schutzraum und Warntafeln am S-Bahnhof „Bayerwerk“
Die Bezirksregierung Köln hat eine Bau- und Betriebsgenehmigung für die umstrittene TDI-Anlage in Dormagen erteilt (siehe: http://www.bezreg-koeln.nrw.de/brk_internet/presse/pressemeldungen/archiv_2013/presse_003_2013/bekanntmachung.pdf). Umweltverbände hatten das Projekt vor allem wegen des enormen Ressourcen-Verbrauchs sowie wegen der Verwendung hochgefährlicher Zwischenprodukte wie Phosgen kritisiert. Die Einwendungen der Coordination gegen BAYER-Gefahren und des BUND waren Ende 2011 in einem zweitägigen Erörterungstermin diskutiert worden.
Auf viele Kritikpunkte geht die Bezirksregierung in dem Genehmigungsbescheid nicht ein. So fehlt eine vollständige Energie- und Treibhausgas-Bilanz, da die Herstellung von Vorprodukten wie Kohlenmonoxid und Chlor in getrennte Verfahren ausgelagert wurde. Eine Bewertung der Umweltauswirkungen der TDI-Produktion ist nach Auffassung der Umweltverbände daher nicht möglich.
Auch wird die Forderung nach einer Betonhülle um alle phosgen-führenden Anlagenteile nicht erfüllt. Geplant ist stattdessen eine Einhausung aus Blechplatten. Zu dieser Frage hatten Behördenvertreter/innen eigens eine Betonhülle in einem Isocyanat-Betrieb in Stade besichtigt.
Rund um die Anlage sollen Phosgendetektoren installiert werden. Zudem wird am S-Bahnhof Bayerwerk ein Schutzraum mit Warntafeln gebaut. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) hatte bemängelt, dass der Bahnhof nur 300m von der Anlage entfernt liegt, während die Kommission für Anlagensicherheit für Phosgen einen Sicherheits-Abstand von 1.500m empfiehlt.
Philipp Mimkes von der CBG: „Wir sind nach wie vor gegen die Genehmigung einer Anlage, deren Bau über Jahrzehnte hinweg die Herstellung gefährlichster Stoffe zementiert. Nirgendwo in den Antragsunterlagen werden die Folgen eines Austritts großer Mengen Phosgen untersucht, obwohl sich in der Anlage zu jedem Zeitpunkt 60 Tonnen dieses einstigen Kampfgases befinden. Zwar führte die jahrzehntelange Kritik der Umweltverbände dazu, dass neue Isocyanat-Betriebe nur noch mit Einhausung gebaut werden dürfen. Der Bau eines Schutzraums auf öffentlich zugänglichem Gelände stellt aber eine Externalisierung der Maßnahmen zu Anlagensicherheit zu Lasten der Bevölkerung dar“.
Hier einige Anmerkungen zu Auszügen aus dem Genehmigungsbescheid im Detail:
Klimaemission (S. 29)
Hier heißt es: „Abgesehen von der Wärmeträgeröl-Anlage emittiert die TDI-Anlage kein CO2. Sie unterliegt daher nicht dem Treibhausemissionshandelsgesetz (TEHG) und bedarf daher keiner Genehmigung nach diesem Gesetz. Eine mögliche Vermeidung oder Reduzierung der CO2-Emissionen ist nicht ersichtlich. Weitergehende Anforderungen z.B. durch Erstellung einer Energie- oder CO2-Bilanz ergeben sich nach aktuellem deutschem Recht nicht.“
Diese Sichtweise ignoriert, dass für die Herstellung der Vorprodukte wie Kohlenmonoxid, Chlor, TDA, etc ein hoher Ressourcen-Einsatz erforderlich ist.
Störfälle (S. 56)
Hierzu heißt es: „Es wird seitens der Einwender befürchtet, dass die Antragstellerin Ereignisse und Störfälle, die in der Vergangenheit bei anderen Anlagen stattgefunden haben, bei der Planung der Anlage nicht berücksichtigt hat.
Wie bereits ausgeführt, wurde durch die Antragstellerin im Rahmen der Planung der Anlage zur Erfüllung der Betreiberpflichten gemäß Störfall-Verordnung eine Gefahrenanalyse durchgeführt, die vom LANUV geprüft wurde. Im Rahmen dieser Prüfung wurden seitens des LANUV auch Ursachen verschiedener Störungen der Vergangenheit und die Vergleichbarkeit dieser Störungen im Hinblick auf die geplante Anlage mit der Antragstellerin besprochen.“
Die Einwender/innen hatten auf mehrere Groß-Unfälle in BAYER-Werken hingewiesen (Baytown/US, Dormagen, Institute/US), auf die in den öffentlich zugänglichen Antragsunterlagen nicht eingegangen wird. Es fehlt eine nachvollziehbare Erläuterung, welche Konsequenzen aus den vorherigen Störfällen gezogen wurden.
Gefahren benachbarter Anlagen
Die Einwender/innen hatten auf Gefahren durch „Domino-Effekte“ hingewiesen. Hierzu wird lediglich ausgeführt: „Gemäß den Antragsunterlagen befinden sich im relevanten Abstand zur TDI-Anlage die TAD-Anlage, ein BCS-Lager, die Salzsäure-Anlage und die NaCl-Elektrolyse sowie ein CO-Reformer. Weiterhin wird ein zusätzlicher CO-Reformer im Umkreis der TDI-Anlage geplant. Diese Anlagen unterliegen alle den Pflichten der Störfall-Verordnung und müssen die Umsetzung der Anforderungen dieser Verordnung dokumentieren.“
Betonhülle S. 64
Hierzu heißt es: „Im Rahmen des Erörterungstermins wurde darüber hinaus die Bauform der geplanten Anlage in Frage gestellt. Die Anlage eines anderen Betreibers im Norden Deutschlands sei mit einer druckfesten Einhausung ausgestattet. Diese Einhausung sei auch für die TDI-Anlage notwendig und zu fordern.
Wie auf dem Erörterungstermin zugesagt, wurde diese Anlage im Nachgang des Erörterungstermins von Vertretern der Genehmigungsbehörde und des LANUV am 19.12.2011 besichtigt. Die Betreiberin dieser Anlage hat dabei umfangreich Informationen zum Sicherheitskonzept und zu Ausführung und Betrieb der Anlage gegeben.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich die besagte Anlage, die 1991 errichtet wurde, und die TDI-Anlage in wesentlichen sicherheitstechnischen Verfahrensbedingungen unterscheiden. Zunächst handelt es sich nicht um eine Anlage zur Herstellung von Toluylendiisocyanat (TDI), sondern Methylendiphenyldiisocyanat (MDI), die anderen verfahrenstechnischen Bedingungen unterliegt. Dem entsprechend wird ein anderes Lösungsmittel eingesetzt und diese MDI-Anlage bei höheren Drücken betrieben, was wiederum eine andere sicherheitstechnische Ausstattung erfordert. Weiterhin handelt es sich bei dem Verfahren der besichtigten Anlage um eine Flüssigphasenphosgenierung, während die TDI-Anlage das unstrittig sicherheitstechnisch vorzuziehende Gasphasenphosgenierverfahren verwendet.“
Angemessene Abstände nach Art. 12 der Seveso-II-Richtlinie (S. 69/70)
Dies ist der wohl interessanteste Punkt: die Bahnstrecke und die Straße, die durch das Werk führen, sowie der S-Bahnhof Bayerwerk befinden sich deutlich innerhalb des empfohlenen Sicherheits-Abstands von 1.500m. Die Frequentierung von 5.000 PkW bzw. 140 Zügen wird als niedrig (!) bezeichnet. Immerhin führte die Kritik zur Errichtung eines öffentlichen Schutzraums. Wörtlich heißt es:
„Um auch diesen Aspekt der angemessenen Abstände mit ausreichender Sorgfalt prüfen zu können, wurde als zusätzliche Erkenntnisquelle ein Gutachten durch einen Sachverständigen nach § 29a BImSchG in Auftrag gegeben, um die angemessenen Abstände in Anlehnung an die Regelungen des KAS-18-Leitfadens (Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung – Umsetzung § 50 BImSchG) zu ermitteln.
Im Ergebnis wurde festgestellt, dass nahezu alle relevanten schutzbedürftigen Gebiete (Wohngebiete, öffentlich genutzte Gebiete, Freizeitgebiete und naturschutzrelevante Gebiete) außerhalb der jeweils ermittelten angemessenen Abstände liegen.
Nur die S-Bahn-Station „Dormagen Bayerwerk“ sowie Teile der Verkehrswege Bahntrasse und Parallelweg liegen innerhalb dieser angemessenen Abstände. Aufgrund der geringen Frequentierung des Parallelweges von ca. 5.000 PKW pro Tag ist dieser nicht als wichtiger Verkehrsweg im Sinne Art. 12 der Seveso-II Richtlinie zu betrachten. Aufgrund der Frequentierung der Bahntrasse durch ca. 140 Züge pro Tag wird auch dieser nicht als wichtiger Verkehrsweg angesehen. Es handelt sich auch nur um ein kurzes Streckenstück, das sich innerhalb der angemessenen Abstände befindet.
In Absprache mit der Antragstellerin und der CHEMPARK-Betreiberin wurde für die S-Bahn-Station „Dormagen Bayerwerk“ ein zusätzlicher Schutzraum auf der westlichen Bahnsteigseite errichtet. Weiterhin werden in der Umgebung des Bahnhofes „Informationstafeln mit Sicherheitsmaßnahmen und zum richtigen Verhalten im Störungsfall“ aufgestellt.“
Phosgendetektoren (S. 72)
Auch hier kommt die Behörde den Forderungen der Umweltverbände nach: „Neben der Detektion von Leckagen durch verschiedene Detektionssysteme innerhalb der geplanten TDI-Anlage, sind außerhalb der Anlage in geeignetem Umkreis Phosgendetektoren auf mehreren Gebäudedächern geplant. Die Lage wurde mit der Behörde abgestimmt.“
Auswärtige Feuerwehren (S. 73)
Nicht nachvollzogen werden können die Aussagen zu auswärtigen Feuerwehren. Beim großen INEOS-Brand in Dormagen waren hunderte von Feuerwehrleuten eingesetzt worden, die mit den spezifischen Gefahren nicht vertraut waren. Hierzu heißt es im Bescheid:
„Die Aus- und Fortbildung von Mitarbeitern der Gefahrenabwehr als auch der ehrenamtlichen Angehörigen öffentlicher Feuerwehren sind im Feuerschutz- und Hilfeleistungsgesetz geregelt. Danach sind für Grundausbildung die Gemeinden, für die weitergehende Aus- und Fortbildung die kreisfreien Städte und Kreise zuständig. Eine Ausbildung von ehrenamtlichen Feuerwehren hinsichtlich anlagen- oder stoffspezifischer Fragestellungen ist im Übrigen nicht erforderlich, da Aufgaben, die dies erfordern, von diesen Personen nicht wahrgenommen werden.“
Versicherung (S. 77)
Die Einwender hatten nachgefragt, welche möglichen Schäden durch Versicherungen abgedeckt wären. Hierzu heißt es lediglich: „Die Deckungssumme der Haftpflichtversicherung kann seitens der Genehmigungsbehörde mangels rechtlicher Prüfgrundlagen nicht überprüft werden.“