Neue Rheinische Zeitung, 14. November 2012
Zum Rechtsstreit mit der Kölner Uni über BAYER
Interview mit Wolfgang Lieb
Herr Dr. Lieb, Sie beobachten den Prozess aus der Ferne, ist der Vertrag zwischen der Universität Köln und der Bayer AG eine Ausnahmeerscheinung?
Lieb: Keineswegs. Meiner Einschätzung nach handelt es sich bei dem Rechtsstreit nur um eine aktuelle Begleiterscheinung eines schleichenden Privatisierungsprozesses an den Universitäten, wie er vor allem von dem überwiegend vom Bertelsmann-Konzern finanzierten Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) vorangetrieben wird. In den letzten 10 Jahren ist das Centrum zu einer Art Bundeshochschulministerium geworden und treibt unter dem Siegel von „Autonomie“ und „Wettbewerb“ eine funktionale Privatisierung der nach wie vor überwiegend öffentlich finanzierten Hochschulen voran.
Was ist das Ziel dieser Privatisierungspolitik?
Lieb: Unis werden mehr und mehr wie Kapitalgesellschaften gemanagt, mit einer starken Hochschulleitung und einer Aufsichtsratsstruktur. Statt durch die Selbstverwaltung sollen die Hochschulen über den Wettbewerb um Drittmittel auf dem Wissenschaftsmarkt gesteuert werden. Der Staat zieht sich auf die passive Rolle des „Zuschussgebers“ zurück, hat noch nicht einmal mehr rahmensetzende Funktion und kann nicht eingreifen, wenn ganze Fächer umgewidmet werden. Die „Poor Dogs“, also die Fächer, die weniger Drittmittel bringen, z.B. die Geisteswissenschaften, sollen von „Cash Cows“ abgelöst werden, also von Forschungsgebieten, die traditionell mehr Drittmittelchancen haben.
Ist das nicht ein wenig übertrieben?
Lieb: Die Hochschulforschung finanziert sich inzwischen schon zu über einem Viertel über Drittmittel. Zwar stammen 60% dieser Drittmittel von öffentlichen Geldgebern, d.h. aber im Umkehrschluss, dass 40% der umworbenen Drittmittel von privaten Geldgebern stammen. Dabei herrscht das Matthäus-Prinzip, d.h. wer hat, dem wird gegeben. Bei der RWTH Aachen oder bei der Uni Köln dürfte der Drittmittelanteil eher deutlich höher liegen.
Die Unis als verlängerte Werkbank der Konzerne?
Lieb: Zunehmend. Da auch die staatlichen Zuschüsse zunehmend „leistungsorientiert“, d.h. auch gemessen an der Summe der eingeworbenen Drittmittel vergeben werden. Viele Professoren können ihre Mitarbeiter nur halten, indem sie Drittmittel beschaffen. Das heißt, die Auftraggeber bestimmen mehr und mehr auch die Entwicklung der Forschung.
So wie in der Kölner Uniklinik?
Lieb: Man muss ja wohl davon ausgehen, dass auf der Basis des Geheimvertrags Auftragsforschung für die Bayer AG betrieben wird. Sonst brauchte der Vertrag ja auch nicht geheim zu sein. Es ist – vorsichtig gesagt – dubios, wenn an einer nach wie vor überwiegend öffentlich finanzierten Hochschule geheime Forschung betrieben wird. Was wird dabei erforscht? Was passiert, wenn ein Forschungsdurchbruch erzielt wird, wandern die Erkenntnisse in die Panzerschränke von Bayer? Bei wem liegen die Verwertungsrechte, d.h. wer streicht bei einer Verwertung der Erkenntnisse die Gewinne ein? Wer erhält mögliche Patentrechte? Gäbe es eine faire Beteiligung der Hochschule, könnte man doch auch locker darüber informieren. Ich fürchte nur, die Uni sitzt da am kürzeren Hebel und schaut am Ende in die Röhre.
Ihre Prognose für den Prozessausgang?
Lieb: Da es sich hier um eine Grundsatzfrage handelt, dürfte der Prozess durch alle Instanzen gehen, vielleicht sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht, da es hier um eine Abwägung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Informationsfreiheit einerseits und der Wahrung von Betriebsgeheimnissen andererseits geht. Es gibt ja vergleichbare Fälle im Bereich der sog. öffentlich-privaten Partnerschaften etwa zwischen Kommunen und Investoren. Auch dort werden die Ratsmitglieder mit Rücksicht auf Geschäftsgeheimnisse häufig nicht informiert. Es hat sich dabei immer wieder herausgestellt, dass die Kommunen die Dummen waren und die Investoren die Gewinner. Solange bei dem Vertrag zwischen der Uni Köln und der Bayer AG keine Transparenz herrscht, besteht der Verdacht, dass die Uni der Erfüllungsgehilfe des Pharmakonzerns ist. Das ist gewiss nicht im Sinne der vom Grundgesetz garantierten Wissenschaftsfreiheit für die Hochschule. (PK)
Dr. Wolfgang Lieb studierte Rechtswissenschaften in Köln und war in dieser Zeit Mitglied im Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB). Von 1979 bis 1983 arbeitete er in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes, wurde 1987 stellvertretender, später Regierungssprecher und Leiter des Landespresse- und Informationsamtes des Landes Nordrhein-Westfalen unter Ministerpräsident Johannes Rau. Von 1996 bis 2000 war er Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium und ist heute einer der Herausgeber von den Nachdenkseiten
Warum ist dieser Vertrag geheim?
Von Christoph Hardt
Zehn Verbände aus dem Gesundheitsbereich hatten im Jahr 2009 die Universität Köln aufgefordert, den ein Jahr zuvor abgeschlossenen Kooperationsvertrag mit der BAYER HealthCare AG offen zu legen. Die Organisationen fürchteten – im Gegensatz zu dem darüber begeisterten, 2010 abgewählten NRW-„Innovationsminister“ Pinkwart (FDP) – die Ausrichtung pharmakologischer Forschung an rein wirtschaftlichen Kriterien sowie die Nicht-Veröffentlichung negativer Studienergebnisse. Weil die Uni behauptete, hier handele es sich um Geschäftsgeheimnisse, wurde sie verklagt. Die NRhZ berichtete damals darüber und jetzt auch über den ersten Prozesstermin. – Die Redaktion
Verhärtete Fronten im Rechtsstreit der Universität Köln mit der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG): Die industriekritische Initiative hatte die Lehranstalt 2011 vor dem Kölner Verwaltungsgericht auf Basis der Informationsfreiheits-gesetze darauf verklagt, den Vertrag einer mittlerweile vier Jahre existierenden Kooperation zur Erforschung neuer Medikamente zwischen der Uniklinik und der Bayer HealthCare AG in den Bereichen Onkologie, Neurologie und Kardiologie offenzulegen.
Zuvor hatte die Uni wiederholt Forderungen der Gruppe nach einer Einsichtnahme in den Schriftsatz abgewiesen und sich damit über die Empfehlung des NRW-Landesbeauftragten für Informationsfreiheit hinweggesetzt, der noch 2010 einen Auskunftsanspruch festgestellt hatte. Zur Begründung der andauernden Geheimhaltung teilte die Universität damals über ihren Sprecher Honecker mit, dass der Vertrag in die Wissenschaftsfreiheit falle, und man diese höher einschätze als die Informationsfreiheit. Im Zentrum des Rechtsstreits steht zudem nach wie vor die Frage, ob durch eine Publikation des Vertrages Betriebsgeheimnisse von Bayer verletzt würden, wie der Konzern argumentiert.
„In dieser Kontroverse steuert alles auf eine Grundsatzentscheidung zu“, erklärte CBG-Sprecher Jan Pehrke. „Welches Rechtsgut ist das höhere: Die Informationsfreiheit oder die Betriebsgeheimnisse von Bayer?“ Sollte es zu einem Marsch durch die Instanzen kommen, hätte letztlich das Bundesverfassungsgericht in der Angelegenheit das letzte Wort. Seitens der CBG befürchtet man, der unter Verschluss gehaltene Vertrag könne eine Unterordnung der universitären Forschung unter die wirtschaftlichen Interessen der Bayer AG fixieren. „Es widerspricht der Wissenschaftsfreiheit, die Forschung nach den Bedürfnissen eines profitorientierten Unternehmens auszurichten“, mahnt Pehrke. So bestehe die Gefahr, dass Verwertungsrechte für neuentdeckte Substanzen vollständig an Bayer übergingen, nur nach einträglichen, nicht aber nach nutzbringenden Arzneien gesucht werde und so auch Mittel ohne therapeutischen Mehrwert ihren Weg in Versuchsreihen fänden.
Und weiter warnt Pehrke: „Das Bestehen Bayers auf Wahrung des Betriebsgeheimnisses könnte dazu führen, dass ausschließlich positive Studienergebnisse publiziert werden, negative jedoch in der Schublade verschwinden.“ Deshalb müsse eine öffentlich finanzierte Einrichtung wie eine Universität unbedingt kontrolliert werden – zumal in einem so sensiblen Bereich wie der Pharmaforschung. Dies sei nur über Kenntnis der genauen Vertragsbedingungen möglich.
Die Universität lässt sich in dem Verfahren von der renommierten Bonner Kanzlei Redeker vertreten, die schon Bundespräsident Wulff während seiner Kreditaffäre beriet – laut Auskunft des Uni-Rektorats mit eigenen Geldern. Bayer HealthCare wohnt dem Verfahren zwar offiziell nur als beigeladene Partei bei, trotzdem sind es ebenso die Anwälte der von ihr beauftragten Düsseldorfer Kanzlei Freshfields & Partner, welche die Klage torpedierten: „Dort war man sich nicht zu schade, zu argumentieren, die Informationsfreiheitsgesetze würden für CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes nicht gelten, da er ja vorgeschoben im Auftrag einer Bürgerbewegung auftrete und sie daher ja nicht als natürliche Person wahrnehme“, lacht Anwalt Harro Schultze. „Diesen Zahn haben wir der Gegenseite mittlerweile gezogen.“
Kritiker des fortschreitenden Industrieeinflusses an Hochschulen wie der ehemalige Staatssekretär im NRW Wissenschaftsministerium Wolfgang Lieb bemängeln, die Universität ließe sich unter dem Druck, einen Teil ihrer Finanzierung über Drittmittel zu bewerkstelligen, von Bayer vor den Karren spannen. Im Bereich der Public-Private-Partnerships kommt es immer wieder zu Transparenzdefiziten, bei denen öffentliche Einrichtungen die nicht immer ausgewogenen Verträge, die sie mit Unternehmen eingehen, unter Anführung der zu wahrenden Geschäftsgeheimnisse ihrer privaten Partner unter Verschluss zu halten versuchen.
Auf Anfrage teilt die Universität Köln über ihre Pressestelle mit, die Forschungsfreiheit an der Uniklinik werde gewährleistet, indem man darauf achte, dass der industrielle Kooperationspartner keinen inhaltlichen Einfluss auf die Gewinnung und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse nehmen könne. Dies sei unter anderen auch Gegenstand des geheimgehaltenen Vertrags. Zudem – so Uni-Sprecherin Merle Hettesheimer – enthielte das Dokument aus Sicht der Hochschule ohnedies keine „kritischen Inhalte“, die einer Veröffentlichung nach entsprechendem Richterspruch im Wege stünden. Auf die Frage, weshalb man dann überhaupt den Aufwand betreibe, diesen unter Verschluss zu halten, teilte die Universität in einer schriftlichen Stellungnahme mit: „Die Rechtsfrage ist die, ob die Universität aus dem Informationsfreiheitsgesetz NRW verpflichtet ist, Drittmittelforschungsverträge auf Antrag jedermann zugänglich zu machen.“ Und weiter: „Die Universität ist der Überzeugung, dass eine solche Pflicht nicht besteht und zudem verfassungswidrig wäre, weil der Abschluss solcher Verträge Ausdruck der Forschungsfreiheit ist.“
Die Bayer AG wollte den Sachverhalt mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht kommentieren.