30. Mai 2012
Duogynon: Unterlagen neu aufgetaucht
Schering: Risiken frühzeitig bekannt
Britische Opfer des hormonellen Schwangerschafts-Tests Duogynon haben Unterlagen britischer Behörden aus den 60er Jahren kopiert, die nach Ablauf der Geheimhaltungs-Frist nun einsehbar sind. Diese belegen, dass die Firma Schering schon damals mit dem staatlichen „Committee on Safety of Drugs“ wegen der Risiken von Duogynon (englischer Markenname: Primodos) in Kontakt stand. Ein Mitarbeiter von Schering kam in dem Briefwechsel zu dem Ergebnis:
„Angesichts dieser, wenn auch vorläufigen, Ergebnisse sollte man nach meiner persönlichen Meinung – da es jedenfalls keinen sehr stichhaltigen medizinischen Grund für den Einsatz derartiger Hormonpräparate gibt – Primodos zurückziehen bzw. nicht weiter verwenden.„
Ähnlich äußerte sich Dr. W. Inman, der Leiter des „Committee on Safety of Drugs“ über den Nutzen hormonaler Schwangerschaftstests: “I do not think they are sufficiently useful (…) to justify even the slightest risk of teratogenicity (Risiko von Fehlbildungen)“.
Interessant ist auch ein Brief der franz. Firma Roussell an die britischen Behörden aus dem Jahr 1969. Darin ist von einer Studie mit 9.822 Schwangerschaften die Rede, die eine erhöhte Rate von Fehlgeburten ergeben hatte. Im selben Brief schreibt Roussell, dass die Firma ihr Hormon-Präparat Amenorone vom Markt genommen hat.
Deutsche Duogynon-Geschädigte haben die wichtigsten Unterlagen nun in deutscher Übersetzung online gestellt: http://www.duogynonopfer.de/fileadmin/duogynonopfer/dokumente/neue_engl_unterlagen.pdf
Die Übersetzung des Briefs von Schering an die Behörden im Volltext:
SCHERING CHEMICALS LIMITED
Pharmaceutical Division
W. H. W. Inman Esq., M.A., M.B., B.Chir.
Senior Medical Officer
Committee on Safety of Drugs
Queen Annes Mansions
Queen Annes Gate
LONDON, SW1 17. Februar 1969
Sehr geehrter Dr. Inman,
vielleicht erinnern Sie sich an unser Gespräch von vor etwa zwölf Monaten, in dem es um die Zahlen von Dr. Gal ging und darum, dass hormonelle Schwangerschaftstests (einschließlich Primodos) möglicherweise unter Verdacht stehen, fetale Anomalien zu verursachen.
Seither haben wir verschiedene Untersuchungsstränge verfolgt, doch waren Studien an Ratten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da das Primodos Kombinationspräparat, das der Ratte im Frühstadium der Schwangerschaft verabreicht wird, FSH unterdrückt und dadurch störend in die Implantation eingreift.
Da sich der Neuroporus der Ratte bis zum 11. Graviditätstag schließt und die Implantation nicht bis zum 7. Tag erfolgt, ist eine mit dem Primodos Kombinationspräparat in den vier Tagen gesammelte Evidenz nur von sehr begrenztem Wert. Wir führen jedoch gegenwärtig eine ähnliche Studie an Pavianen durch, über deren Fortgang uns aber bisher noch keine Berichte vorliegen.
In der Hoffnung, dass die Studie des Royal College of General Practitioners zur medikamentösen Anamnese von Frauen während der Schwangerschaft mehr Informationen erbringt, stehe ich in regem Austausch mit Dr. Kuenssberg, der mir vorläufige Daten zur Verfügung stellen konnte, nachdem er die ihm vorliegenden statistischen Angaben von Hand gesichtet hatte. Ich lege diesem Schreiben eine Kopie davon zu Ihrer Information bei und würde mich über einen Kommentar von Ihnen freuen. Sie werden feststellen, dass es drei Anomalien in der Primodos-Gruppe gibt, eine davon betrifft Mongolismus und scheidet damit aus, bei den beiden anderen handelt es sich um eine Gaumenspalte und eine kongenitale Hüftluxation.
Bei einer ersten Prüfung sieht es so aus, als sei die Inzidenz der Anomalien in der Primodos-Gruppe geringer als die der Gesamtstudie, aber zweifellos wird eine weitergehende statistische Analyse ein realistischeres Bild ergeben.
Bezüglich der ziemlich hohen Inzidenz der Aborte in der Primodos-Gruppe meine ich, sollte man berücksichtigen, dass Frauen, die ihren Arzt aufgrund eines derartigen Tests aufsuchen, oft hoffen, dass sie nicht schwanger sind, und es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass diese Frauen bereits andere Schritte unternommen haben, um die Schwangerschaft abzubrechen.
Im Rahmen der “Outcome of Pregnancy Study des Royal College of General Practitioners (Schottland) haben wir auf Anraten von Sir Derrick Dunlop und Professor Emery speziell das Ergebnis der Schwangerschaft (nicht nur hinsichtlich kongenitaler Anomalien, dem Hauptzweck dieser Studie) immer dann untersucht, wenn bestimmte spezifische Medikamente verabreicht worden waren. Zu diesen Medikamenten gehörten auch hormonelle Schwangerschaftstests.
Auf Bitte von Dr. Kuenssberg hatten wir uns vordringlich letztere Gruppe angesehen, bevor die übrigen Daten analysiert wurden. Die Ergebnisse dieser Analyse sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst (siehe pdf-Dokument, S. 8).
Dabei ist Folgende hervorzuheben: a) Es handelt sich hier lediglich um vorläufige Zahlen. b) Aus Zeitgründen erfolgte keine statistische Analyse der Primodos-Zahlen.
Auf den ersten Blick scheint es jedoch, dass – im Vergleich mit anderen, wenngleich vom pharmakologischen Gehalt sehr ähnlichen Präparaten (Norlestrin ist, bis auf die Dosierung, von derselben Beschaffenheit) die 10 % Aborte nach Primodos wahrscheinlich nicht dem Zufall geschuldet sind. Hinsichtlich der 4 verzeichneten Anomalien handelt es bei zweien (eine nach Primodos und eine nach Secrodyl) um Gaumenspalten. Da uns die Gesamtzahlen zur Inzidenz von Gaumenspalten nicht vorliegen, lassen sich keine Schlüsse aus diesem Ergebnis ziehen, das auch zufällig zustande gekommen sein könnte. Die anderen beiden Anomalien, beide nach Primodos, waren 1 angeborene Hüftluxation und 1 Mongolismus.
Angesichts dieser, wenn auch vorläufigen, Ergebnisse sollte man nach meiner persönlichen Meinung – da es (und so sehe ich das) jedenfalls keinen sehr stichhaltigen medizinischen Grund für den Einsatz derartiger Hormonpräparate gibt – Primodos zurückziehen bzw. nicht weiter verwenden. Bezüglich der anderen Präparate würde ich mich aufgrund des geringen Zahlenmaterials mit einer Meinung zurückhalten.
N.M.B. DEAN