Das HV-Tribunal
„Übernehmen Sie Verantwortung!“
Konzern-Kritik in Großaufnahme: Von A wie Antibaby-Pillen bis Z wie Zwangslizenzen reichte die Agenda der Konzern-KritikerInnen auf der diesjährigen BAYER-Hauptversammlung.
Wie immer bei den BAYER-Hauptversammlungen stand am Anfang das Wort des Großen Vorsitzenden. Dieses Mal aber öffnete sich gleich nach dem Routine-Programm mit den Reden von Marijn Dekkers, dem Aufsichtsratschef Manfred Schneider und den Vertretern der AktionärInnen-Vereinigungen der Reigen der Konzern-Kritik, der fortan auch kaum noch unterbrochen werden sollte. Christoph Koch vom DEUTSCHEN BERUFS- UND ERWERBSIMKERBUND legte dar, welche verheerende Wirkung die BAYER-Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide auf die Bienenvölker haben. Bereits zum vierten Mal Gegenredner auf dem AktienhalterInnen-Treffen, informierte er die Versammlung über neue Studien, wonach die zumeist als Saatgut-Beize eingesetzten Mittel den Tieren schon in den geringsten Dosen schaden – und das bis in die zweite und dritte Generation. Deshalb haben Koch zufolge einige Länder GAUCHO & Co. bereits die Zulassung für bestimmte Anwendungen entzogen. „Die Beweise werden immer erdrückender für Sie und letztlich für den Konzern als Ganzes!“, stellte der Bienenzüchter fest und appellierte an den Vorstandsvorsitzenden: „Schwenken Sie um, bevor es zu spät ist, Herr Dekkers!“
Das verlangten auch seine Kollegen Holger Netzel und Roland Netter – und 563.475 weitere Personen. „Diese Menschen haben in den vergangenen 24 Stunden eine Petition unterzeichnet, die Sie, sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre, auffordert, durch Ihr verantwortungsvolles Handeln dem Bienensterben weltweit ein Ende zu bereiten“, berichtete Stephanie Brancaforte vom Kampagnen-Netzwerk AVAAZ. Aber es nützte alles nichts, obwohl der BAYER-Chef den Befund selber nicht in Frage stellte. Auch nach Dekkers Einschätzung haben 300.000 von einer Million Bienenvölkern den letzten Winter nicht überlebt. Doch nannte Dekkers dafür einen anderen Grund: „Die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Institute für Bienenforschung hat wie zahlreiche weitere Wissenschaftlergruppen ausdrücklich dokumentiert, dass der Hauptfeind für die Gesundheit der Bienenvölker in vielen Regionen der Welt die Varroa-Milbe ist.“ Die Pestizide würden zwar akute Wirkungen hervorrufen, dank moderner Anwendungstechniken bliebe eine Belastung der Bienen jedoch weitgehend aus, so der Vorstandsvorsitzende.
Eine Belastung stellte in seinen Augen auch die Industrie-Chemikalie Bisphenol A nicht dar, die der Leverkusener Multi als einer der weltgrößten Produzenten in einer Menge von ca. 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr fabriziert. Unfruchtbarkeit, Fehlbildungen und verfrühte sexuelle Reife – zu diesen zuvor von Friedhelm Meyer aufgezählten Risiken und Nebenwirkungen der vor allem in Lebensmittel-Verpackungen, Kunststoff-Geschirr, Kassen-Quittungen und Zahnfüllungen Verwendung findenden, hormonell wirkenden Substanz schwieg der Ober-BAYER sich aus. Auch dem Appell des Vertreters der SOLIDARISCHEN KIRCHE IM RHEINLAND, das aus dem 1. Weltkrieg als Giftgas berühmt-berüchtigt gewordene Giftgas Phosgen als Bisphenol-Vorprodukt zu substituieren, mochte er nicht folgen. „Phosgen ist und bleibt ein unverzichtbarer Grundstoff für Kunststoff“, antwortete Dekkers dem Pfarrer im Ruhestand, der das Thema „Bisphenol“ zusammen mit seiner Gruppe auch auf die Agenda des letzten Evangelischen Kirchentags in Dresden gesetzt hatte.
Rohrkrepierer Pipeline
Ebenfalls als unverzichtbar erachtet der Vorstandsvorsitzende die von Dormagen nach Krefeld führende Kohlenmonoxid-Pipeline. Nur steht das dem Wunsch von 110.000 BürgerInnen entgegen, wie Dieter Donner von der Initiative STOPP-BAYER-CO-PIPELINE ausführte. So viele Menschen haben nämlich die Petition gegen das Projekt unterschrieben. Einspruch hatte im letzten Jahr laut Donner auch das Düsseldorfer Verwaltungsgericht erhoben. Für „rechtswidrig und nicht vollziehbar“ hielt der Richter den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung zur Errichtung der Giftgas-Leitung, weil er die Erdbeben-Sicherheit nicht gewährleistet sah. Und sogar der Leverkusener Multi selber liefert Argumente gegen den Bau. Hatte er in der Vergangenheit stets betont, es gebe am Standort Dormagen CO-Überkapazitäten, die eine Ableitung nach Krefeld dringend erforderlich mache, so entsteht dort jetzt mit der neuen Kunststoff-Produktion sogar ein Gas-Mehrbedarf, so der Aktivist. „Also schicken Sie die CO-Pipeline in die Wüste“, forderte er Marijn Dekkers auf.
Dem schloss sich Dr. Gottfried Arnold von ÄRZTE GEGEN DIE CO-PIPELINE an. Er erhob aus medizinischer Sicht schwerwiegende Einwände gegen die Verbundleitung. Die Trasse verläuft Arnold zufolge nämlich an Wohngebieten, Schulen und Kindergärten „im dichtest besiedelten Landkreis Deutschlands“ vorbei. Deshalb ist im Falle eines Rohrbruchs eine angemessene ärztliche Versorgung nicht zu gewährleisten, zumal für eine fachgerechte Behandlung einzig die Sauerstoff-Überdruckkammer in Düsseldorf zur Verfügung steht, die gerade einmal über zwei Plätze verfügt. „Dies alles ist uns als Ärzten nur zu bewusst, und wir sehen daher die CO-Pipeline als unverantwortliches Hochrisiko-Projekt an“, resümierte Arnold.
Dekkers focht das alles nicht an. BAYER hätte „große Sicherungsanstrengungen“ unternommen, versicherte er und strich noch einmal die Unerlässlichkeit des Projekts nicht nur für den Konzern, sondern für die ganze verarbeitende Industrie und gar den Standort NRW im Allgemeinen heraus. Damit nicht genug, nutze die Pipeline nicht nur der Ökonomie, auch ökologisch sei das Vorhaben, so Dekkers. Produzierte das Unternehmen das Kohlenmonoxid in Krefeld vor Ort mit einem Steam-Reformer, würden nämlich CO2-Emissionen entstehen, behauptete er scheinheilig. Warum der Bau trotz dieser Segnungen auf so viel Ablehnung stößt, kann der Niederländer folglich nicht verstehen, um so weniger, als der Global Player doch „von Beginn an einen intensiven Dialog“ mit den KritikerInnen gesucht habe.
Rechtsfreie BAYER-Räume
Was der BAYER-Chef wirklich über diese denkt, tat er fünf Wochen vor der Hauptversammlung in Düsseldorf vor der „Wirtschaftspublizistischen Vereinigung“ kund. Dort hatte er die GegnerInnen der Pipeline, des Kraftwerks Datteln und des „Stuttgart 21“-Projekts abschätzig als „aufgeklärte Wohlstandsbürger“ bezeichnet, die „beschlossene Projekte in Frage stellen“ und so einer standort-gefährdenden Technologie-Feindlichkeit Vorschub leisteten. Das veranlasste Claudia Baitinger vom BUND in Bezug auf den „Schwarzbau“ Datteln zu einer Richtigstellung: Nicht die „Wohlstandsbürger“ seien es, welche die Planungssicherheit gefährdeten, dafür sorge vielmehr die Politik selber mit ihren wirtschaftsfreundlichen Beschleunigungsgesetzen und Teilerrichtungsgenehmigungen. Und der Leverkusener Multi selber hilft der Umweltschützerin zufolge kräftig mit, rechtsfreie Räume zu schaffen. „Die Fragen nach Recht und Rechtssicherheit sind auch in einem Genehmigungsverfahren zu stellen, das von der ehemaligen BAYER-Tochterfirma H. C. STARCK in Laufenburg im Auftrag von BAYER zu Beginn diesen Jahres in Gang gesetzt wurde“, so Baitinger. Dort lief nämlich die Produktion der BAYTUBES-Nanoröhrchen bereits geschlagene sechs Jahre im Versuchsbetrieb, ehe sich der Betreiber bemüßigt fühlte, einen Antrag auf eine offizielle behördliche Zulassung zu stellen. Das wiegt nach Ansicht der ehemaligen Lehrerin umso schwerer, als von den auf winzig kleine Formate geschrumpften Kohlenstoffen eine Gesundheitsgefahr ausgeht. Während des Verfahrens dann zeigte sich der Konzern nicht verantwortungsvoller. So reichte er kurzerhand völlig neue Dokumente ein, als die vorgelegten Sicherheitsdatenblätter zu Unsicherheitsfaktoren mutierten. „Wenn sich nunmehr die dringlich herbeigesehnte Genehmigung in Laufenburg verzögert, weil das Freiburger Regierungspräsidium dem Braten offenbar nicht so richtig traut und sich noch ein Arbeitsschutzgutachten von unabhängiger Seite anfertigen lässt (…), so hat die Verzögerung nichts mit dem Widerstand aufgeklärter Wohlstandsbürger zu tun, sondern schlicht mit einem unentschuldbaren Versäumnis des Antragstellers, der Firma BAYER“, resümierte Claudia Baitinger.
Unentschuldbare Versäumnisse mit tödlichem Ausgang thematisierte der Verfasser dieser Zeilen. Er setzte das Thema „Medikamenten-Versuche in Indien“ aus gegebenem Anlass wieder auf die Tagesordnung. Hatte der Redakteur von Stichwort BAYER 2010 vom Unternehmen Auskunft über die Zahl der bei den Klinischen Tests Gestorbenen und Geschädigten erbeten und zur Antwort erhalten, kein einziger Proband habe Gesundheitsstörungen erlitten, so konnte er den Vorstand nun der Falschaussage überführen. Der CBGler zitierte eine Untersuchung der indischen Regierung, wonach zwischen 2007 und 2010 138 Menschen bei den Arznei-Prüfungen von BAYER ihr Leben gelassen haben. Dekkers jedoch bestritt den Zusammenhang von Pharmazeutika-Nebenwirkungen und Tod. Da es sich bei den Testpersonen um zum Teil sehr kranke Risiko-PatientInnen handle, sei „die Mortalität grundsätzlich hoch“.
BAYERs Pharma-Sparte betrachtet Indien „als Ressource“. Als Absatz-Markt interessiert das Land den Multi wegen der geringen Kaufkraft der Bevölkerung hingegen bedeutend weniger. Deshalb bietet er beispielsweise sein Krebspräparat NEXAVAR nicht in ausreichenden Mengen und noch dazu mit 4.200 Euro pro Monat völlig überteuert an. Die Regierung hat daraus die Konsequenz gezogen, sich auf eine Schutz-Klausel im Patent-Abkommen TRIPS zu berufen und eine Zwangslizenz zu erteilen. Philipp Frisch von ÄRZTE OHNE GRENZEN begrüßte diese Entscheidung, das Patentrecht außer Kraft zu setzen und sah darin „ein wichtiges Signal“. „Damit hat die Behörde klar gemacht, dass Patentmonopole kein Freifahrtschein für überteuerte Preise sind“, erläuterte Frisch.
Marijn Dekkers möchte dieses Signal jedoch lieber überhören: „Sicher steht das indische Gesundheitssystem vor besonderen Herausforderungen, aber das hat nichts mit Patenten zu tun.“ Mit der Erteilung von Zwangslizenzen werde das Problem nicht gelöst, so der BAYER-Chef. Seiner Ansicht nach dient die Privatisierung von Wissen sogar dem öffentlichen Interesse, weil nur die Monopol-Gewinne Investitionen in Forschung & Entwicklung ermöglichten. Und den „besonderen Herausforderungen“ will der Pharma-Multi allein mit milden Gaben wie Hilfsprogrammen, die den Armen den Zugang zu Arzneimitteln erleichtern, begegnen. Ansonsten soll alles beim Alten bleiben. Deshalb kündigte Dekkers an, gegen das Votum des indischen Patentgerichtes Berufung einzulegen, was dann kurz nach der Hauptversammlung auch geschah.
BAYER bleibt stur
In Sachen „Tierversuche“ strebt der Agro-Riese ebenfalls keine Änderungen an. Christine Esch von PETA, die im letzten Jahr über Misshandlungen von Hunden und Katzen in BAYERs Auftragslabor PLRS berichtet hatte, fragte nach, welche Konsequenzen der Konzern aus den Vorfällen gezogen hat. „Da die Kontrollmechanismen ja im Fall des PLRS-Labores offensichtlich versagt haben: In welcher Weise wurden die Kontrollmodalitäten seitdem abgeändert?“, wollte die Tierärztin wissen. Aber Dekkers drückte sich um eine Antwort herum und sprach lediglich allgemein von der Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf. Arznei-Tests mit den Kreaturen hält der Chemiker bis auf Weiteres für unverzichtbar. Kaum tröstlich wirkten da seine Worte: „Das schließt die intensive Suche nach anderen Methoden nicht aus.“ Gefunden hat das Unternehmen dabei nämlich noch nie etwas. Und so hat BAYER die Tierversuche denn auch nicht drastisch reduziert, wie der Vorstandsvorsitzende Esch gegenüber behauptete, ihre Zahl stieg vielmehr von 192.412 im Jahr 2010 auf 199.636 im Jahr 2011.
Auch Philipp Mimkes von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) widmete sich dem Leid der Tiere. Er thematisierte die massenhafte Verwendung von BAYER-Antibiotika in der Massentierhaltung und nahm dabei auf eine Studie des Landes Nordrhein-Westfalen Bezug, derzufolge 90 Prozent aller Hühner in der „Genuss“ der Mittel kommen. Mit schwerwiegenden Folgen, wie der Physiker schilderte, denn durch die Dauergaben entwickeln die Krankheitserreger Resistenzen. Gelangen die Keime dann durch den Nahrungskreislauf in den menschlichen Organismus, können sie Gesundheitsstörungen auslösen, gegen die kein Kraut mehr gewachsen ist. Dazu fiel Marijn Dekkers nicht viel ein. „Wenn Tiere erkranken, müssen sie behandelt werden, egal, wie sie gehalten werden“, meinte der Vorstandsvorsitzende und stritt im Übrigen einen großflächigen Einsatz des BAYER-Mittels BAYTRIL ab.
Die Antibiotika-Problematik machte jedoch nur einen Teil der Sammelklage aus, die der CBG-Geschäftsführer mit seinem Überblick über die gesamten BAYER-Aktivitäten schon fast traditionell in den Hauptversammlungen vorträgt. So befasste er sich außerdem noch mit dem Blutungen auslösenden Gerinnungshemmer XARELTO, dem sich immer wieder in konventionellen Handelssorten wiederfindenden Genreis der Marke LIBERTYLINK und den 64 hochgefährlichen Pestizide, welche das PESTIZID-AKTIONS-NETZWERK in den Beständen des Agro-Riesen identifiziert hat. Zudem setzte Mimkes die astronomischen Marketing-Ausgaben in Höhe von neun Milliarden Euro und die zahlreichen Forschungskooperationen mit Universitäten auf die Agenda. Und auch da konnte der Leverkusener Multi zu seiner Verteidigung nicht allzu viel vorbringen.
Konzernkritik + x
Zu allem Überfluss musste der Konzern sich darüber hinaus noch mit Gegen-RednerInnen auseinandersetzen, die sich nicht von vornherein den „Kritischen AktionärInnen“ zurechneten. Ramona Pisal vom DEUTSCHEN JURISTINNENBUND zeichnete ein trostloses Bild vom Stand der Gleichberechtigung bei BAYER, auf das keine einzige Vorstandsfrau und lediglich drei weibliche Aufsichtsratsmitglieder passen. Und Klaus Hebert-Okon von der alternativen Gewerkschaftsgruppe BELEGSCHAFTSTEAM rechnete der Hauptversammlung einmal haarklein vor, welche Einschnitte die Beschäftigten, denen Dekkers in seiner Rede für ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens einen routinierten Dank abstattete, in der letzten Zeit hinzunehmen hatten. Einsparungen beim Bonus, Wegfall von Leistungen bei Dienstjubiläen, Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, Überarbeitung der Entgeltgruppen-Struktur, Wegfall von Leistungen für Neueingestellte, Wegfall der Kontoführungsgebühr, Kürzung von 3 Urlaubstagen für WechselschichtlerInnen und der Ausschluss der CURRENTA-Belegschaft aus der Standortsicherungsvereinbarung standen auf seiner langen Liste. Dann nahm Hebert-Okon, der auch Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft VER.DI im Rhein-Wupper-Kreis ist, sich der KollegInnen der jüngst ausgegliederten IT-Sparte von BAYER BUSINESS SERVICES (BBS) an. Er fragte, ob der Vorstandsvorsitzende diese Belegschaftsangehörigen ebenfalls in seinen Dank eingeschlossen hatte und was BAYER zu deren Absicherung zu tun gedenkt. Darauf blieb Dekkers jedoch eine Antwort schuldig. Er ließ sich lediglich die allgemein gehaltene Zusicherung entlocken, für die nicht mehr zum Unternehmen gehörenden Beschäftigten hätte der Multi Übergangsregelungen vereinbart.
So viel Kritik wie auf dieser Hauptversammlung hatte sich der Gen-Gigant noch niemals anhören müssen. Irgendwann wusste sich der Versammlungsleiter Manfred Schneider dann nicht mehr anders zu helfen, als die Redezeit auf fünf Minuten zu begrenzen. Aber auch diese Maßnahme schützte den Konzern nicht davor, die ur-kapitalistische Institution der AktionärInnen-Versammlung zu einer Anklagebank für eine nur der Profitjagd verpflichtete Geschäftspolitik umfunktioniert zu sehen.
Von Jan Pehrke