Neues Deutschland, 28. April 2012
Bienentod und Pillenklage
Kritische Aktionäre stellen Bayer unbequeme Fragen
Der deutsche Pharmamulti Bayer ist der einzige Konzern weltweit, auf dem linke kritische Aktionäre die Hauptversammlung dominieren. Dafür gibt es Gründe.
Marijn Dekkers ist für 2012 optimistisch: »Dank unserer Innovationskraft und der guten Position in den Wachstumsmärkten haben wir auch in Zukunft ein starkes Potenzial«, erklärte der niederländische Vorstandsvorsitzende auf der Hauptversammlung der Bayer AG am Freitag in Köln. Anders als die Konkurrenten BASF, Novartis und Boehringer ist der 1863 in Wuppertal gegründete Multi, der weltweit über 100 000 Menschen beschäftigt, breit aufgestellt. Bayer setzt nicht allein auf Chemie oder Pharma und erst recht nicht – wie Roche – nur auf eine einzelne Produktgruppe, in diesem Fall Krebsmittel. Die einstige Apotheke der Welt steht heute mit einem Umsatz von 37 Milliarden Euro auf drei kräftigen Beinen: Pharma, Pflanzenschutz und Kunststoffe.
Das freut nicht alle Aktionäre. Daniel Bauer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sorgt sich um die Wirtschaftsausrichtung: Der Konzern sei zu breit aufgestellt, deshalb »nirgends Spitze«, klagt Bauer. In den meisten Produktgruppen seien die Leverkusener weltweit nicht einmal unter den Top 3. Die Konzentration auf zwei Standbeine verspreche dagegen Spitzenpositionen und mehr Gewinn. Man müsse »über die Strategie reden«.
Über die Strategie reden wollte vor etwa 4000 Aktionären auch die Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG). Weltweit ist die Bayer-Hauptversammlung wohl die einzige, die von Kritischen Aktionären dominiert wird. Die Chemiemanager und der scheidende Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Schneider mussten sich in der Messehalle 7 harte Kritik anhören.
Ein Thema: Menschenversuche. Die CBG kritisiert, dass Bayer verstärkt gefährliche Medikamententests in Schwellenländer verlegt. »Dort locken ein großes Reservoir an Probanden, niedrige Preise, schnelle Verfahren und geringe behördliche Aufsicht. Allein in Indien kam es bei Menschenversuchen von Bayer zu mindestens 138 Todesfällen«, sagt Axel Köhler-Schnura von der CBG und beruft sich dabei auf das indische Gesundheitsministerium. So lasse Bayer in Indien seine Krebsarznei »Nexavar«, den umstrittenen Gerinnungshemmer »Xarelto« und das Potenzmittel »Levitra« testen. »Bayer hat den Hinterbliebenen Entschädigungen von gerade mal 5250 Dollar gezahlt – in Europa drohen in solchen Fällen Millionenklagen«, so die CBG.
Auf Kritik stoßen auch die Pestizide »Gaucho« und »Poncho«, die für das weltweite Bienensterben verantwortlich gemacht werden. Heiße Fragen stellten Aktionäre auch zum Marketingbudget von rund neun Milliarden Euro, aus dem Ärztefortbildungen und Schülerbesuche finanziert werden; und zu den Klagen Tausender US-Bürgerinnen wegen Nebenwirkungen der Antibabypillen »Yaz« und »Yasmin«. In den USA hat Bayer gerade mit 650 Klägerinnen einen Vergleich über 142 Millionen Dollar abgeschlossen.
Bayer wehrt sich gegen die »zahlreichen Behauptungen« der Kritischen Aktionäre. So stimme die Forschung und Entwicklung »selbstverständlich mit den weltweit gültigen ethischen Standards zur Prüfung von Medikamenten am Menschen überein«. Für Dekkers hat 2012 die Vermarktung neuer Pharmaprodukte absoluten Vorrang. Bis 2015 laufen viele Patente aus. Neue »Blockbuster« müssen also her – Medikamente mit Umsätzen von über als einer Milliarde Euro jährlich. Als potenzielle Kandidaten gelten ein Blutgerinnungshemmer, ein Augen- sowie zwei Krebsmittel.
30 Jahre CGB
Vor 30 Jahren störte die Coordination gegen Bayer-Gefahren e.V. (CBG) zum ersten Mal eine Hauptversammlung. In den 1970ern kam es im Wuppertaler Bayer-Werk zu zwei Unfällen; ein Jahr später wurde in einer Fabrik in Dormagen hochgiftiges Gusathion freigesetzt. Es gründeten sich Bürgerinitiativen, aus denen 1978 die CBG hervorging. Bereits damals kritisierten sie Themen wie Pestizide, Menschenversuche, Umweltprobleme und Kampfstoffe in der Ostsee. Die CBG wurde zur Keimzelle der Kritischen Aktionäre, die sich 1986 in Köln gründeten. Mittlerweile treten die Kritiker auf den Hauptversammlungen vieler deutscher Konzerne auf, unter anderem bei Daimler, EADS und Siemens. Von Hermannus Pfeiffer