4.500 Jobs weg
„Das ist eine Riesen-Schweinerei!“
Gleich zu seinem Amtsantritt verordnete der neue Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers BAYER eine Radikalkur: Er kündigte im November 2010 die Vernichtung von 4.500 Arbeitsplätzen an (SWB 1/11). Informationen über die ersten konkreten Eingriffe wie Werksschließungen folgten dann zwei Monate später. Die Belegschaft reagiert erbost auf die „Operation gelungen – Patient tot“-Behandlungsstrategie von Dr. Dekkers.
Von Jan Pehrke
„Für uns war 2010 insgesamt ein gutes Jahr“, konstatierte BAYER-Chef Marijn Dekkers auf der Bilanz-Pressekonferenz des Konzerns am 28. Februar 2011. Mit Stolz vermeldete er den höchsten Umsatz in der ganzen bisherigen Geschichte des Leverkusener Multis: 35 Milliarden Euro. Die weiteren Aussichten stimmten ihn ebenfalls hoffnungsfroh. Für das laufende Geschäftsjahr rechnet der Holländer erneut mit Zuwachs, „und dank unserer starken Produkt-Pipeline sind wir auch für die weitere Zukunft optimistisch“.
Aber warum annoncierte der Vorstandsvorsitzende im Herbst 2010 dann die Vernichtung von 4.500 Arbeitsplätzen? Die Antwort darauf fiel einigermaßen verquast und technokratisch aus. Von „Herausforderungen“ sprach Dekkers, die es nötig machten, konsequenter in das Wachstum und die Innovationskraft des Unternehmens zu investieren. Und an anderer Stelle zu deinvestieren: „Wie im November 2010 kommuniziert, werden wir die erforderlichen finanziellen Mittel durch eine gezielte Umschichtung von Ressourcen freimachen. Unterstützt wird dies durch Effizienz- und Sparmaßnahmen. Hier gilt: Mehr Innovation und weniger Administration“.
Von Innovationen haben auch seine Vorgänger viel geredet, weil die Börsen das gerne hören, aber sie sind nie auf die Idee gekommen, Gelder für „Forschung & Entwicklung“ bei den Arbeitskosten abzuziehen und die beiden Bereiche miteinander zu verrechnen. Umso hanebüchener erscheint diese Begründung, als sich der Forschungsetat gegenüber 2010 gar nicht erhöht und der Rekord-Umsatz Dekkers wahrlich noch andere Finanzierungsmöglichkeiten geboten hätte.
Sich der Fadenscheinigkeit seiner Argumentation bewusst, greift der BAYER-Boss deshalb zur Sicherheit noch auf andere Rechtfertigungen zurück. Auf einer Veranstaltung im Dezember 2010 nannte er schwindende Gewinn-Erwartungen im Pharma-Bereich durch Gesundheitsreformen und die wachsende Konkurrenz, die der Produkt-Palette durch preiswerte Nachahmer-Präparate erwächst, als Gründe für die Schock-Therapie.
Aber plausibler ist auch diese Erklärung nicht. So hält die Financial Times Deutschland die von Dekkers genannten Motive für vorgeschoben und weiß besser, warum Pillen-Produzenten wie BAYER, ROCHE & Co. in letzter Zeit Sparprogramme bekannt gaben: „Die Arznei-Konzerne versuchen so, ihre – enorm hohen – Margen zu halten“.
Zu allem Übel hielt es der neue Ober-BAYER nicht einmal für nötig, den Aufsichtsrat – und also die Beschäftigten-VertreterInnen – vorab über seine Rationalisierungspläne zu informieren, wie es seine Vorgänger stets getan hatten. Erst nach einigen Einflüsterungen ging er einen Schritt auf die Gewerkschaft zu. Er raffte sich zu einer gemeinsamen Erklärung mit dem Gesamtbetriebsrat auf, deren Wert sich allerdings in Grenzen hält. „Inhaltlich ist die Mitteilung im Wesentlichen als Kotau vor der Belegschaft zu verstehen, am Umfang des Sparpakets ändert sich dagegen nichts“, resümiert die Börsen-Zeitung.
Nur zu kleinen Zugeständnissen erklärte sich der Pharma-Riese bereit. Vor den Treffen mit den BetriebsrätInnen hieß es plötzlich, die genannten Zahlen von 4.500 Stellen-Streichungen wären nur die Verhandlungsgrundlage. Auch eine Bereitschaft zur Fortschreibung der „Standortsicherungsvereinbarung“ signalisierte die Chef-Etage. Der Vorstand will die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE), die bisher immer als williger Co-Manager operiert hatte, augenscheinlich nicht desavouieren und am Ende der Gespräche ganz mit leeren Händen dastehen lassen.
Einen ersten Zwischenstand vermeldeten Vorstand und BelegschaftsvertreterInnen im Februar 2011. Wie zu erwarten, konnten die GewerkschaftlerInnen an dem Ausmaß der Stellen-Reduzierungen nichts ändern. Es bleibt bei 1.700 Arbeitsplatzvernichtungen an den bundesdeutschen Standorten – 700 im Pharma-Bereich, 300 in der Agro-Sparte und 700 in den Verwaltungen. Lediglich bei der Ausgestaltung der Streichungen durfte die IG BCE mitreden. So sieht die präsentierte Gesamtbetriebsratsvereinbarung zur „sozialverträglichen Personalanpassung 2011 und 2012“ großzügig bemessene Abfindungen vor und schließt betriebsbedingte Kündigungen aus. Zudem legt das Papier ein Investitionsvolumen für die hiesigen Werke in Höhe von jährlich 550 Millionen Euro fest. Das verkauft der BAYER-Gesamtbetriebsratschef Thomas de Win als „eindeutiges Bekenntnis zum Standort Deutschland“, obwohl der Chemie-Multi allein in den Ausbau seiner Shanghaier Niederlassung mit einer Milliarde Euro fast das Doppelte steckt.
Als erstes müssen sparten-übergreifend die LeiharbeiterInnen und Beschäftigten mit befristeten Verträgen gehen. Innerhalb der einzelnen Abteilungen trifft es die SCHERING-Crew am härtesten. Sie schrumpft um 500 Personen und hat damit die Hauptlast des Job-Abbaus in der Gesundheitssparte zu tragen, obwohl BAYER bei der Übernahme des Berliner Konzerns im Jahr 2006 schon 1.000 Arbeitsplätze abwickelte. Überdies hat der „Mann mit der Brechstange“, wie die Zeitschrift Capital Marijn Dekkers titulierte, der Belegschaft auch noch den Namen „SCHERING“ genommen und sie zu BayeranerInnen gemacht.
Einzelheiten über den Kahlschlag in den Verwaltungen enthielt die Gesamtbetriebsvereinbarung noch nicht. Dekkers Drohung: „Mehr Innovation und weniger Administration“ dürfte jedoch vor allem die Computer-Sparte BAYER BUSINESS SERVICES (BBS) treffen. Der Vorstand lässt gerade von einer Unternehmensberatung prüfen, ob nicht auch externe Dienstleister einen Teil der Aufgaben erledigen könnten. Mindestens 400 Jobs ständen bei einer positiven Antwort, die BAYER zweifelsfrei erwartet, zur Disposition. Und das von der Gewerkschaft in weiser Voraussicht in Auftrag gegebene Alternativ-Gutachten wird es schwer haben, den Vorstand vom Gegenteil zu überzeugen.
Im Ausland, wo der Leverkusener Multi die restlichen 2.800 Jobs wegrationalisieren will, gibt es erst recht kein Pardon. Der US-Ableger von BAYER CROPSCIENCE entsorgt 300 Arbeitsplätze und schreckt dabei nicht einmal vor Werksschließungen zurück. So macht er die Pestizid-Anlage in Woodbine (Georgia) dicht. Auch am Standort Institute nimmt der Konzern Veränderungen vor. Dies hat aber weniger mit Dekkers Spar-Programm als vielmehr mit der umstrittenen Bhopal-Chemikalie MIC zu tun. Einen Produktionsstopp für diese Substanz hatten die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und Initiativen vor Ort immer wieder gefordert, und im Januar 2011 – über zwei Jahr nach einem großen Störfall mit Todesopfern – hatte das Unternehmen endlich ein Einsehen.
BAYERs US-amerikanische Pillen-Sparte hat ebenfalls gravierende Einschnitte zu verkraften. So stehen bei MEDRAD, der Tochter-Firma für Medizin-Produkte, 60 bis 70 Jobs zur Disposition. Zudem plant der Gen-Gigant an der Ostküste ein neues Pharma-Zentrum, was die Existenz der anderen sechs Standorte in der Region bedroht. Trotzdem gelang es dem Konzern, für die Schlankheitskur sogar noch Subventionen in Höhe von fast 40 Millionen Dollar abzugreifen. Ähnliches glückte zuvor schon in Berkeley an der Westküste (SWB 1/11).
Nur der Kunststoff-Bereich bleibt einstweilen von Eingriffen verschont. Dafür stellte ihn Dekkers Anfang März 2011 ganz zur Disposition. Nachdem er sich zuvor immer mehr oder weniger gewunden zu der Abteilung bekannt hatte, erklärte der BAYER-Chef in der Financial Times Deutschland: „Wenn aber für eine sehr große Akquisition ein bedeutender Geldbetrag aufgebracht werden muss, so wären wir bei dieser extremen Option bereit, eine Sparte zu veräußern“. Und dem Bereich „Tiergesundheit“ droht ein ähnliches Schicksal.
Die Börsen feierten Dekkers Maßnahmen-Paket, mit dem er den Schwerpunkt des Unternehmens mehr in die Wachstumsmärkte der Schwellenländer verlegen und dort sogar Arbeitsplätze aufbauen möchte. „BAYER-Aktie profitiert von weltweitem Stellenabbau“,vermeldete die Westfälische Rundschau. Die LANDESBANK BADEN-WÜRTTEMBERG fand das mit dem Vorhaben verbundene Einspar-Volumen von 800 Millionen Euro „beeindruckend“ und lobte: „ein wichtiger Schritt für BAYER“. Wie auch INDEPENDENT RESEARCH und J.P. MORGAN setzte das Geldhaus das Kursziel für die Aktie flugs hoch.
Die Beschäftigten und die BürgerInnen an den Standorten hingegen reagierten empört. „Das ist eine Riesen-Schweinerei“, schimpft etwa ein Leverkusener, während ein BAYER-Beschäftigter stöhnt: „Wir sind doch schon kleingeschrumpft worden“ und sein Kollege ergänzt: „Ein weiterer Abbau geht einfach nicht“. Der Gesamtbetriebsrat nannte den Vorstoß Dekkers „panisch“, „kurzsichtig“ und „völlig überzogen“; die IG BCE bezeichnete ihn als „nicht nachvollziehbar, nicht transparent“. Sogar die eigenen Führungskräfte sind nicht „amused“ über das Vorgehen ihres Chefs. „Es gibt keinen Dialog, keine Vorlaufzeit, man bekommt das vor den Latz geknallt“, klagt ein Manager in der Financial Times Deutschland, und ein anderer bezweifelt den Sinn des Effizienz-Programms: „Das ist ohne Not gekommen“.
Aber es blieb nicht bei Unmutsbekundigungen. Die Belegschaftsangehörigen machten ihrer Wut auch durch Protest-Aktionen Luft. Am BAYER-CROPSCIENCE-Standort Höchst fanden sie sich zu einer Spontan-Demonstration zusammen. Und als Marijn Dekkers auf einer Betriebsversammlung auftrat und dort für die Radikalkur warb, hielten die Beschäftigten rote Karten hoch, um ihre Ablehnung kundzutun. Seine Versicherungen, die Rationalisierungen seien nicht dem Druck der Finanzmärkte geschuldet, sondern strukturellen Defiziten, quittierten sie mit Hohn und Spott. Selbst die IG BCE, die nach ersten starken Worten schnell wieder in ihre Routine verfiel, Zumutungen durch eine sozialverträgliche Ausgestaltung etwas verträglicher zu gestalten, ließ dem Konzern nicht alles durchgehen. So kündigte die Gewerkschaft den Tarifvertrag von BAYER BUSINESS SERVICES, in dem sie 2007 eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich und einen Verzicht auf soziale Leistungen als Opfer zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit dargebracht hatte. Mit ihrer Absicht, trotz dieser Zugeständnisse massiv Arbeitsplätze bei BBS zu vernichten, habe der Vorstand der Vereinbarung die Geschäftsgrundlage entzogen, so die IG BCE zur Begründung.
„Dass sich die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten – deutlich mehr als 80 Prozent – in einem hohen Maße mit BAYER verbunden fühlt und das Unternehmen insgesamt als attraktiven Arbeitgeber schätzt“, wie der Pillenhersteller laut Geschäftsbericht 2010 in einer Befragung herausgefunden haben will, dürfte ins Reich der Märchen gehören. Ein Konzern, der mit der COMMERZBANK und der DEUTSCHEN BÖRSE zu den einzigen drei DAX-Firmen zählt, die 2011 Arbeitsplätze abbauen und der auf der Weltrangliste der Jobkiller den 12. Platz einnimmt, hat die Loyalität seiner Belegschaft verspielt.