Das Handelsblatt berichtet ausführlich über Aktivitäten Kritischer Aktionäre. Am Ende des Textes kommt die Coordination zu Wort. Illustriert wird der Artikel mit einem Foto von der Bayer Hauptversammlung
Der Politaktionär: Stephan Suhner und die kritischen Aktionäre
8. Mai 2011 — Am Ende wird sich der Gegner selbst ein Bein gestellt haben. Da ist sich Stephan Suhner sicher. Seit mehr als zehn Jahren versucht der Aktivist der Schweizer Nichtregierungsorganisation Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK) sich beim Rohstoffkonzern Glencore mit seiner Kritik an dessen Konzernpolitik Gehör zu verschaffen. Jetzt steht der Geschäftsführer der Organisation kurz davor, sein Ziel zu erreichen.
Glencore ist selbst schuld. Denn der geheimnisvollste Konzern der Welt braucht Geld. Das will Glencore sich mit einem Börsengang am 19. Mai an den Märkten holen. Mit dem Geld anderer Leute wird sich der Konzern aber auch den Einfluss anderer Leute ins Haus holen. Und das wird das Einfallstor für Stephan Suhner sein. Suhner wird versuchen, beim Konzern mit Sitz im Schweizer Kanton Zug über den Börsengang einzusteigen.
Aus dem Konzerngegner Suhner wird dann der Konzereigentümer Suhner. „Wir werden versuchen, einen Anteilsschein zu bekommen“, sagt Suhner. „Um wenigstens auf der Hauptversammlung ein Rederecht zu bekommen.“ Denn eine einzelne Aktie reicht schon, um zumindest ein Mal pro Jahr während der Hauptversammlung die Konzernmächtigen zu nerven und sich ein öffentliches Forum zu verschaffen.
Suhner will mit seiner Anlage bei Glencore nicht vom Rohstoffboom profitieren, er möchte sich damit keine Altersvorsorge aufbauen oder einen schnellen Franken verdienen. Stephan Suhner möchte Einfluss auf die Konzernpolitik nehmen. Suhner ist der Prototyp des politischen Aktionärs.
Seit gut zehn Jahren verfolgt er, wie der Rohstoffkonzern in aller Welt seinen Geschäften nachgeht, legt umfangreiche Dossiers an, prangert die Politik des 60 Milliarden Dollar schweren Konzerns in Entwicklungsländern an. Dort, so Suhners Vorwürfe, missachte Glencore Arbeitnehmerrechte, zerstöre die Umwelt oder besteche Beamte. Alles falsch, sagt Glencore dazu – und hat Suhner und seine Mitstreiter bisher an der Unternehmenszentrale in Zug immer wieder abprallen lassen. Das könnte sich bald ändern.
Das Prinzip, mit dem Suhner bei Glencore Einfluss erlangen möchte, ist nicht neu. Egal ob der US-Saatgutkonzern Monsanto, die Energieriesen RWE und Eon oder der Agrochemiekonzern Bayer – Unternehmen, deren Produkte traditionell polarisieren, haben immer auch einen kleinen Kreis an Aktionären, diemit ihren Minibeteiligungen kein Geld, sondern Aufmerksamkeit verdienen wollen. Sie entrollen dann während der Hauptversammlungen Plakate mit politischen Parolen, stellen Fragen zu Ausbeutung in der dritten Welt oder predigen Utopien von einer besseren Wirtschaftswelt.
So traten etwa beim norddeutschen Autozulieferer Continental Mitte des Jahrzehnts Vertreter einer mexikanischen Initiative auf, die mangelnden Arbeiterschutz des Konzerns in dem lateinamerikani schen Land kritisierten. In Deutschland laufen viele dieser NGO-Aktionen über den Dachverband der Kritischen Aktionäre. Dies ist ein Netzwerk von Einzelpersonen
und Nichtregierungsorganisationen, das über den Aktienbesitz von Unternehmen eine Verantwortung einfordert und anderen Nichtregierungsorganisationen Eintrittskarten für Hauptversammlungen organisiert. Zuletzt liefen über den Verband die Protestaktionen von Atomgegnern bei den Aktionärstreffen von RWE und Eon. Kaum ein Dax-Konzern, in dem die Politaktionäre nicht beteiligt sind. „Spendet BASF an US-Klimaschutzgegner?“ fragten sie letzte Woche in Ludwigshafen, „Lufthansa muss Klimabilanz verbessern“, oder „Dax-Unternehmen müssen Frauenquote akzeptieren“.
Ihr Schwerpunkt-Thema, das sie dieses Jahr auf jeder HV ansprechen, ist das sogenannte Greenwashing der Konzerne – also Öko-Marketing ohne Grundlage. Besonders einflussreich sind die Politaktionäre lange bei Bayer gewesen. Dort gibt es eine eigene Initiative, die Coordination gegen Bayer-Gefahren. „Die Kritischen Aktionäre zeigen, dass es für AktionärInnen auch einen anderen Umgang mit Gewinn und Profit geben kann“, erklärte Axel Köhler-Schnura, Vorstandsmitglied der CBG. „Nämlich einen verantwortungsbewussten,
der nicht rücksichtslos Mensch und Umwelt ausbeutet.“ Die CBG ist seit 1983 auf jeder Hauptversammlung des Bayer-Konzerns, wird dort von Hunderten Aktionären unterstützt, konnte – bislang einmalig in der Geschichte deutscher Konzerne – sogar einmal mit mehr als einer Million Aktien die Tagesordnung verändern und stellt mitunter die Mehrheit aller Redner.
Die Kritischen Aktionäre vertreten in allen Dax-Konzernen Anteilseigner – insgesamt 5 000 Aktionäre in Deutschland haben den Politaktivisten ihr Stimmrecht übertragen. Bei der RWE-HV am 20. April hielten sie 15 000 Anteilsscheine. Auch Suhners ASK hat mit dem Instrument der Aktienbeteiligung bereits gute Erfahrung gemacht. Beim Schweizer Lebensmittelmulti Nestlé haben es die Kritiker auch schon in die Hauptversammlung geschafft und einen anderen Umgang mit Agrarrohstoffen gefordert. Geändert hat das bisher nichts – aber Aufmerksamkeit verschafft.
Sven Prange