Financial Times Deutschland, 31. Mai 2011
Medikament Betaferon
Bayer reicht Produktion von Bestseller an Boehringer weiter
Der Mischkonzern lagert die Herstellung von Betaferon bald komplett an den Konkurrenten aus. Das Leverkusener Unternehmen stellt die US-Produktion in Emeryville 2013 ein – und baut 540 Arbeitsplätze ab. von Klaus Max Smolka
Frankfurt Das teilte Bayer auf Anfrage mit und bestätigte damit eine entsprechende Mitteilung der konzernkritischen Organisation „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG). Die Stellen sind nicht Teil des im Herbst bekannt gegebenen konzernweiten Abbauprogramms, bei dem weltweit 4500 Jobs gestrichen werden. Sie kommen unabhängig davon noch hinzu, wie eine Unternehmenssprecherin sagte. Das Multiple-Sklerose-Medikament Betaferon brachte dem Bayer -Konzern voriges Jahr gut 1,2 Mrd. Euro ein und überholte damit die Verhütungsmittel Yasmin/Yaz als umsatzstärkste Produktgruppe des größten Bayer-Teilkonzerns Bayer Healthcare (Medizin).
Was für Bayers US-Arbeitnehmer ein Schlag ist, kann Boehringer als Erfolg für sich verbuchen. Das Familienunternehmen aus Ingelheim am Rhein betreibt eine eigene Sparte, die Auftragsproduktion für Drittfirmen erledigt. Schon jetzt produziert es für Bayer das Betaferon für den europäischen Markt – und sollte eigentlich schon vor Jahren die weltweite Produktion übertragen bekommen.
Dass es anders kam, liegt an den Fusionen des Jahres 2006. Der Fall demonstriert damit nebenbei, welche Komplikationen durch Auslagerungsprozesse entstehen können. Betaferon – in den USA als Betaseron vertrieben – war ursprünglich ein Produkt des Berliner Medikamentenkonzerns Schering. Schering hatte Boehringer Ingelheim die Europa-Produktion übertragen, dem Biotechunternehmen Chiron hingegen die Herstellung für Amerika. 2006 übernahm Bayer dann Schering, während Novartis Chiron erwarb. Spezielle Vertragsklauseln („Change-of-Control-Klauseln“) gaben Bayer das Recht, sich die Chiron-Produktion in Emeryville zu sichern.
Es folgte ein längerer Konflikt zwischen Bayer und Novartis um Produktionsrechte und Umsatzbeteiligungen. Am Ende einigten sich beide Seiten darauf, dass Bayer das kalifornische Werk für sechs Jahre leaste. Emeryville stellt dabei nicht nur Bayers Multiple-Sklerose-Produkt Betaseron her, sondern auch die Novartis-Version Extavia.
Anfang Mai dieses Jahres erteilte die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA die Zulassung für das von Boehringer Ingelheim hergestellte Betaferon. Das bewog Bayer dazu, die Produktion in Emeryville aufzugeben. „Kosten und Wettbewerbsdruck steigen“, resümierte Jörg Heidrich, weltweiter Chef für Biotechproduktion bei Bayer Healthcare. Die neue Strategie mache sich die Expertise eines erfahrenen Auftragsherstellers zunutze und ermögliche Bayer mehr Flexibilität.
Multiple Sklerose ist eine schwere und unberechenbare Nervenkrankheit. Sie kann, in Schüben auftretend, die Sehkraft schwächen, Menschen in den Rollstuhl bringen und die Lebenserwartung verringern. Boehringer Ingelheim produziert Betaferon am Stammsitz Ingelheim sowie in Österreich. Mit Auftragsproduktion erzielte der hinter Bayer zweitgrößte deutsche Pharmakonzern im vergangenen Jahr 422 Mio. Euro Umsatz, etwa drei Prozent der Konzernerlöse. Das Unternehmen stellt zum Beispiel auch das Krebsmittel Erbitux für Merck her. Dieser Darmstädter Konzern ist wiederum direkter Bayer-Konkurrent im Geschäft mit Multiple-Sklerose-Präparaten – produziert diese Mittel aber anders als Bayer selbst.
Wie viel Bayer mit der Aufgabe Emeryvilles spart, ließ der Konzern am Montag offen. Ob Novartis den Standort Emeryville weiternutzen wird, ist ebenfalls offen. Das Unternehmen war am Montag nicht zu einer Stellungnahme zu erreichen. Die CBG warf Bayer eine „Hire-and-Fire“-Mentalität trotz hoher Profitabilität vor.
zur Meldung der Coordination
27. Mai 2011, Dow Jones News
Bayer will Betaferon-Produktion in den USA 2013 einstellen
FRANKFURT — Die Bayer AG wird die Produktion des Multiple-Sklerose-Mittels Betaferon im US-Pharmawerk Emeryville mit etwa 540 Mitarbeitern 2013 einstellen. Eine diesbezügliche Meldung der Organisation „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG), bestätigte ein Konzernsprecher am Freitag gegenüber Dow Jones Newswires.
Die Produktion von Betaferon für die USA werde dann der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim übernehmen. Die Ingelheimer produzieren das MS-Mittel für Bayer bisher bereits für die Märkte außerhalb der USA. Der Ingelheimer Konzern habe mittlerweile auch die Genehmigung zur Produktion des biologischen Produkts für die USA erhalten. Das Werk Emeryville gehörte nach Angaben der CBG ursprünglich zu Novartis und war von Bayer für einen Zeitraum von sechs Jahren geleast worden.