Redebeitrag von Philipp Strohm, Gentechnik-Sprecher von Greenpeace, zur Jahresvollversammlung der Bayer AG am 29. April 2011 in Köln
Sehr geehrte Damen und Herren im Saal, Sehr geehrter Vorstand,
mein Name ist Philipp Strohm, ich bin Gentechnik-Experte und arbeite für Greenpeace. Meine Aufgabe ist es insbesondere, die Entwicklung der Gentechnik in der Landwirtschaft weltweit zu beobachten und sie mit Blick auf ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, auf die Natur und natürlich auch auf ihre ökonomischen Auswirkungen auf die Landwirtschaft zu analysieren.
Ich möchte heute über drei Punkte zu Ihnen sprechen, sehr geehrte Damen und Herren.
1. über die ökonomischen Verluste, die die Gentechnik der Bayer AG inzwischen beschert hat – und damit natürlich leider auch der Dividende Ihrer Aktie, sehr geehrte Damen und Herren und
2. über die Risiken, die diese Technologie für Mensch und Natur mit sich bringt und weshalb sie in vielen Punkten der Atomkraft sehr ähnlich ist.
3. über Alternativen zur Gentechnik in der Landwirtschaft und die Frage: brauchen wir Gentechnik überhaupt und wie könnte eine Landwirtschaft der Zukunft aussehen
Und zu diesen drei Punkten, sehr geehrter Vorstand, habe ich drei ganz konkrete Fragen an Sie.
Mein erster Punkt: Der vermeintliche Wunderreis von Bayer und was er bereits gekostet hat:
In den Jahren 1998 bis 2001 experimentierte Bayer in den USA auf Testfeldern mit einem Gentech-Reis. Zur Vermarktung kam es nie. Dennoch aber verunreinigte der Reis ganze 30% des Anbaus in den USA. Im Jahr 2006 tauchte er plötzlich in 24 Ländern der Erde auf und sogar bis heute, 2011, wird das Bayer-Konstrukt immer wieder in Reislieferungen gefunden, erst kürzlich in Polen. Der Reis ist also völlig außer Kontrolle geraten und Bayer-Führung muss heute zugeben, dass sie keine Macht darüber haben, wo ihre einmal produzierten Konstrukte später einmal landen. Gentechnik ist nicht rückholbar!
Nach den ersten Entdeckungen im Jahr 2006 sperrte Europa sofort die Grenzen für Reisimporte aus den USA – um die Bevölkerung zu schützen. Der Handel mit den USA kam zum völligen Stillstand. Die Reisbauern aus den USA, die mit Gentechnik nichts am Hut hatten, verloren ihr Einkommen. Die Lebensgrundlage von Bauern war auf einmal bedroht, weil Bayer die Kontrolle über seinen Gentech-Reis verloren hatte.
Schätzungen zufolge verursachte dieser Vorfall einen Gesamtschaden von bis zu 1,3 Milliarden US-Dollar.
Daraufhin zogen viele US-Bauern gegen Bayer vor Gericht. Seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren hier auf der Versammlung, sind inzwischen die ersten Urteile gefallen. Bayer hat sie bislang ALLE verloren und seither hageln fast monatlich Schadenersatzzahlungen auf Bayer ein.
Im Dezember 2009 musste Bayer an einen Bauern – 2 Mio. USD zahlen, im Februar 2010 an einen weiteren – 1,5 Mio. USD, im Juli 1 Mio. USD. Dann 48 Mio. und das letzte Urteil im März 2011 schlug mit 137 Mio. USD Schadenersatzzahlungen in der Bilanz von Bayer zu buche.
Und sehr geehrte Aktionäre, das war erst der Anfang. Noch knapp 6.000 weitere Kläger warten auf Schadenersatzzahlungen von Bayer. Momentan sieht es nicht danach aus, als würde die Bayer AG auch nur ein einziges gewinnen.
Und eine Versicherung hat Bayer für solche Vorfälle nicht, denn es gibt weltweit kein einziges Versicherungsunternehmen, welches Gentechnikanwender versichern würde. Und warum? Weil das Risiko unkalkulierbar ist!
Und nun meine Frage an den Vorstand:
Die Bayer AG ist eindeutig schuld an der Verunreinigung der weltweiten Reislieferungen mit Gentechnik und war in der Vergangenheit offensichtlich nicht in der Lage das zu verhindern. Welche Pläne haben Sie, damit die Gentechnik-Konstrukte, an denen Sie derzeit basteln, nicht wieder außer Kontrolle geraten und erneut ein enormer Schaden entsteht?
Nun zu meinem zweiten Punkt: die Risiken von Gentechnik-Pflanzen für Mensch und Umwelt und die Ähnlichkeit dieser Technologie mit der Atomkraft
Die Gentechnik hat in vielerlei Hinsicht Gemeinsamkeiten mit der Atomkraft. Die größte Gemeinsamkeit ist wohl, dass beide nicht wirklich kontrollierbar sind und das – wenn etwas schief geht – die Auswirkungen katastrophal und unumkehrbar sind.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte sie erinnern an die Katastrophe von Tschernobyl vor genau 25 Jahren. Wir noch heute kommen missgebildete Babies zur Welt. Und natürlich Fukushima in Japan. Die Kraftwerksbetreiber von Tepco mögen ihr Bestes versuchen, um die Katastrophe zumindest einzudämmen, doch in Wirklichkeit, sind sie völlig hilflos. Die Situation ist inzwischen völlig außer Kontrolle geraten.
Trotzdem gibt es Menschen die behaupten, die Atomkraft sei kontrollierbar und genauso gibt es Menschen, die behaupten, die Gentechnik sei kontrollierbar. Doch die Realität sieht anders aus. Auch die Gentechnik läuft bereits völlig aus dem Ruder. Verglichen mit der Atomkraft tut sie das allerdings unentdeckt von der Öffentlichkeit.
Wussten Sie, sehr geehrte Damen und Herren, dass sich in den USA, in jenem Land mit den weltweit größten Anbauflächen von Gentech-Pflanzen, bereits sogenannte Super-Unkräuter ausbreiten? Das sind Unkräuter, die die Resistenz gegen Unkrautgifte von den Gentechnisch veränderten Pflanzen übernommen haben. Das bedeutet, sie sind mit herkömmlichen Spritzmitteln nicht mehr zu bekämpfen. Die Folge ist ein steigender Einsatz von immer anderen und aggressiveren Unkrautvernichtern. Der Anbau von Gentechnik führt also dazu, dass inzwischen mehr und nicht weniger Spritzmittel zum Einsatz kommen. Alles chemische Stoffe, die in unserem Grundwasser und in unserer Nahrungsmittelkette landen.
Na dann, Mahlzeit!
Und wissen Sie, sehr geehrte Damen und Herren, weshalb Bayer seinen Gentech-Reis in Brasilien niemals vermarkten konnte? Weil die Bauern sich vor genau dieser Entwicklung, wie sie in den USA stattfindet, schützen wollen.
Und wussten Sie, sehr geehrte Damen und Herren, dass in Deutschland bereits fast 5% des beprobten Saatgutes Spuren von Verunreinigungen aufweist? Keiner weiß wo es herkommt, keiner weiß wie das geschehen konnte.
Ich kann Ihnen sagen wie es dazu kommen konnte, es ist nämlich ganz einfach: Menschen – machen – Fehler! Das ist normal und nichts Schlimmes. Wenn aber Menschen mit Risikotechnologien wie der Gentechnik oder der Atomkraft hantieren, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich ein kleiner Fehler in eine Katastrophe verwandelt.
Und wussten Sie, sehr geehrte Damen und Herren, dass es kaum unabhängige Studien über die gesundheitlichen Auswirkungen der Gentechnik auf den Menschen gibt? Der Grund ist, dass Biotechnologie-Unternehmen wie die Bayer AG sich über Patentrechte absichern lassen, dass kein unabhängiger Wissenschaftler die Möglichkeit hat, die Sicherheit von Gentech-Pflanzen zu überprüfen. Fast alles was wir heute über die Risiken der Gentechnik wissen, wissen wir von jenen Unternehmen, die selbst ein finanzielles Interesse an ihrer Vermarktung haben. Sehr geehrte Damen und Herren, das ist, als würden Sie sich selbst die TÜV-Plakette für ihr Auto ausstellen.
Und darum frage ich Sie, sehr geehrter Vorstand, wann ist es endlich so weit, dass sie ihre Konstrukte für unabhängige Studien frei geben? Wovor fürchten sie sich denn? Was wissen Sie, was die Öffentlichkeit nicht erfahren soll?
Und nun zu meinem dritten und letzten Punkt, der Frage: brauchen wir die Gentechnik überhaupt und wie kann eine Landwirtschaft der Zukunft aussehen?
Gentechnikbefürworter sagen gerne, wir bräuchten die Gentechnik, weil sie durch höhere Erträge den weltweiten Hunger bekämpfen könne. Sehr geehrte Damen und Herren: das ist ein Märchen!
In den USA, hat die normale Landwirtschaft in den letzten 13 Jahren eine jährliche Ertragssteigerung von 1% erzielen können. Die Gentechnik hingegen konnte das bei weitem nicht und hat teilweise sogar Ertragsverluste verursacht. Bislang gibt es weltweit keine einzige Gentech-Pflanze, die einen höheren Ertrag bringen würde.
Hinzu kommt, dass die Gentechnik vor allem in industrialisierten Ländern mit großen Monokulturen eingesetzt wird. Die meisten Hunger leidenden Menschen aber, leben in unterentwickelten Ländern mit einer kleinstrukturierten Landwirtschaft. Das heißt es gibt dort hauptsächlich Kleinbauern. Denen würde die Gentechnik überhaupt nicht helfen. Was sie brauchen ist vor allem politische und soziale Stabilität, Zugang zu Bildung und Zugang zu Märkten.
Außerdem werden weltweit 80% der gentechnisch veränderten Pflanzen für Futtermittel für Tiere angebaut. Gentechnik wird angebaut, um die Fleischproduktion billig zu halten.
Es ist naiv zu glauben, dass die Fleischproduktion der reichen Länder auch nur einem einzigen hunger leidenden Kind in Afrika oder sonst wo zugute kommt.
Wenn man sich also auch nur ein bisschen mit der globalen Landwirtschaft auskennt, erkennt man sofort, wie schrecklich zynisch das Argument von der Gentechnik als Heilsbringer für die Armen ist. Sehr geehrte Damen und Herren, ich sage es ganz konkret: Das Argument dem Hunger wird nur vorgeschoben, um weltweit die Gentechnik durchzusetzen und daraus Kapital zu schlagen.
Man könnte sich auch anders entscheiden.
Man könnte sich für eine Landwirtschaft entscheiden, die mit der Natur arbeitet und nicht gegen sie.
Man könnte sich für eine Landwirtschaft entscheiden die den Benachteiligten dieser Welt eine wirkliche Chance gibt und den Hunger endgültig beendet.
Man könnte
Doch, sehr geehrte Damen und Herren, der verantwortliche Vorstand der Bayer AG hat sich anders entschieden. Diese Herren hier oben auf dem Podest haben sich dazu entschieden der Welt ihre gentechnisch veränderten Konstrukte aufzudrücken, ohne Rücksicht auf Verluste.
Und das obwohl weltweit die Mehrheit der Menschen deutlich „Nein, zu Gentechnik!“, sagt.
Und daher ist meine letzte Frage an den Vorstand.
Sehr geehrter Vorstand, welcher Teil von „Nein zur Gentechnik!“ ist denn eigentlich so schwer zu verstehen?