Wirtschaftwoche, 28. April 2011
Aktionäre streiten um Bayer
Der Holländer Marijn Dekkers erlebt seine erste Bayer-Hauptversammlung als Vorstandschef. Bei dem Aktionärstreffen dürfte es zeitweise hoch her gehen. Es geht unter anderem um Stellenabbau, mutmaßliche Medikamenten-Schäden und die Gewinnaussichten.
Mit engagierten Redebeiträgen werden sich sowohl Kapitalvertreter als auch kritische Aktionäre, die sich Themen wie Umweltschutz und Arzneimittelsicherheit auf die Fahnen geschrieben haben, in der Messehalle im Kölner Stadtteil Deutz zu Wort melden Dekkers erste Bayer-Bilanz für 2010 fiel eher durchwachsen aus. Zwar steigerte Bayer seinen Umsatz um 12,6 Prozent auf 35 Milliarden Euro; der Konzerngewinn schrumpfte um vier Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. Die Geschäften in den Segmenten Gesundheit und Pflanzenschutz liefen eher mau. Nur das Chemie- und Kunststoffgeschäft läuft richtig gut. Mit seiner Ankündigung, konzernweit 4500 Stellen (davon 1700 in Deutschland) abzubauen und den Namen Schering – Bayer hatte den einstigen Konkurrenten 2006 übernommen – zu streichen, hat der neu Bayer-Chef viel Kritik auf sich gezogen. Auch die Kursentwicklung der Aktie ließ zu wünschen übrig.
Umsatz und Gewinn sind gestiegen
Für das erste Quartal fielen die Zahlen besser aus: Zwischen Januar und März konnte Bayer den Umsatz gegenüber Vorjahr um 13 Prozent und den Gewinn um acht Prozent steigern. Vor allem im Pflanzenschutzgeschäft läuft es deutlich besser. Dekkers hob deswegen die Umsatz- und Ergebnisprognose für 2011 an. Der Umsatz soll jetzt um fünf bis sieben Prozent (bisher: vier bis sechs Prozent), der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) auf über 7,5 Milliarden Euro (bisher: in Richtung 7,5 Milliarden Euro) steigen.
Während sich die Vertreter der Privatanleger und der Banken auf der Hauptversammlung am Bayer-Zahlenwerk abarbeiten werden, ergreifen dann erfahrungsgemäß im weiteren Verlauf der Hauptversammlung kritische Aktionäre mit gesellschaftspolitischen Anliegen das Wort. Ihnen geht es um Gentechnik in Bayer-Produkten, Bienensterben, eine Kohlenmonoxid-Pipeline, die zwei Bayer-Werke verbinden soll – und um mutmaßliche Schäden durch Bayer-Medikamente. Entsprechende Gegenanträge sind bereits angekündigt.
Pille von Bayer im Fokus von Klagen
Zahlreiche junge Frauen machen etwa Bayer-Verhütungspillen für schwere Gesundheitsschäden wie Lungenembolien verantwortlich. Die 25-jährige Badenerin Felicitas Rohrer leidet bis heute unter den Folgen. Sie war 20 Minuten lang klinisch tot – für die junge Frau, die nie geraucht hat, ist klar, dass ein Bayer-Präparat die Ursache ihrer Gesundheitsschäden ist. Konkret geht es um die Verhütungspillen aus der Yasmin-Produktfamilie. Sie heißen Yasmin, Yaz oder Yasminelle – und sie sind nicht nur in Deutschland in die Kritik geraten. In den USA sind bereits etwa 7000 Klagen gegen die Pillen anhängig – wegen der Nebenwirkungen. Gemeinsam mit gleichgesinnten Frauen hat die frühere Bayer-Anwenderin Rohrer vor wenigen Tagen eine Internetseite gestartet.
Andre Sommer, ein Grundschullehrer aus dem Allgäu, hat ebenfalls Widerstand angekündigt. Duogynon, ein früherer Schwangerschaftstest aus dem Hause Schering, soll bei neugeborenen Kindern Fehlbildungen verursacht haben. Bei Sommer war etwa die Blase betroffen, die außen am Körper lag. Der Mittdreißiger hat zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen müssen und muss nun wohl dauerhaft mit einem künstlichen Ausgang klarkommen. Sommer hat bislang erfolglos gegen Bayer geklagt.
Ein weiteres Thema, das auf der Hauptversammlung für Diskussionsstoff sorgen wird: Der Konzern will eine Kohlenmonoxid-Pipeline zwischen seinen nordrhein-westfälischen Werken Dormagen und Krefeld-Uerdingen bauen. Das Kohlenmonoxid wird für die Produktion in Uerdingen benötigt. Es ist ein farb- und geruchloses Gas, das schnell zum Erstickungstod führen kann. Kritiker und Bürgerinitiativen weisen seit Jahren auf die Risiken hin, falls das Gas austreten sollte – und sorgen sich etwa um Kindergärten und Schulen, die an der Strecke liegen. Noch im Mai soll ein Gericht entscheiden, ob Bayer die bereits gebaute Pipeline in Betrieb nehmen darf.
Bei so vielen Themen zieht sich die Bayer-Hauptversammlung erfahrungsgemäß lange hin. Auch wenn die meisten Aktionäre die Veranstaltung vorher verlassen. Das offizielle Ende wird Versammlungsleiter Manfred Schneider, der Bayer-Aufsichtsratschef, voraussichtlich nicht vor 20 Uhr bekannt geben können. Jürgen Salz (Düsseldorf)