VDI nachrichten, 14. Januar 2011
Genehmigung für Nanoröhrchen-Anlage ist umstritten
Nanotechnologie: Das Genehmigungsverfahren für eine neue Anlage von Bayer zur Produktion von Kohlenstoff-Nanoröhrchen ist umstritten, denn die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. Darüber hinaus wurden die Grenzwerte durch den Hersteller selbst festgelegt.
Mit der Pilotanlage für sogenannte Nanotubes in Leverkusen hatte Bayer MaterialScience Anfang 2010 die nach eigener Aussage „weltweit größte“ Anlage ihrer Art in Betrieb genommen. Der NRW-Landesverband der Naturschutzorganisation BUND hat jetzt gemeinsam mit „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG) das Genehmigungsverfahren für eine Nanoröhrchen-Versuchsanlage der Bayer AG unter die Lupe genommen. Sie kritisieren insbesondere den nach ihrer Ansicht willkürlich festgesetzten Grenzwert von 0,05 mg Nanoröhrchen pro m³ Raumluft in der Anlage.
Mehrwandige Nanoröhrchen vermarktet der Chemiekonzern unter der Marke BayTubes. Diese verbessern in Lacken, in Rotorblättern von Windkraftanlagen sowie in Sportartikeln etwa die mechanische Stabilität. Nanoröhrchen gehören wie Nanosilber zu den politisch umstrittenen Nanoprodukten, da die Toxizität bzw. etwaige Nebenwirkungen bislang nicht eindeutig geklärt sind.
Die zuständige Bezirksregierung Köln genehmigte die Leverkusener Anlage als Pilotanlage mit einer Produktion von 200 t/Jahr. Die Sprecherin des Arbeitskreises technischer Umweltschutz beim BUND NRW, Claudia Baitinger, verweist darauf, dass eine Genehmigung als reguläre Produktionsanlage ein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit mit Umweltverträglichkeitsprüfung nach sich gezogen hätte.
Laut öffentlich verfügbaren Informationen von Bayer soll die Anlage bis 2012 auf eine Kapazität von 3000 t/a ausgebaut werden. Für die Bezirksregierung Köln ist dabei die wirtschaftliche Vermarktung entscheidend für die Einstufung einer Anlage.
Für problematisch hält BUND-Expertin Baitinger, dass beim gewählten Genehmigungsverfahren die spezifischen Risiken von Nanoröhrchen gar nicht berücksichtigt wurden, da die Versuchsproduktion weder einer Immissionsschutz- noch der Störfall-Verordnung unterliegt. So wurde die Anlage vom Leverkusener Bauamt genehmigt, das nur eine bauaufsichtliche Prüfung vorgenommen hatte. Eine Änderung der bestehenden Abluftreinigungsanlage wurde nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz angezeigt und von der Bezirksregierung Köln lediglich bestätigt.
Im Genehmigungsverfahren wurde der von Bayer selbst vorgeschlagene Grenzwert akzeptiert. Die ehemalige schwarz-gelbe NRW-Landesregierung hatte mitgeteilt: „Der Hersteller empfiehlt einen Grenzwert von 0,05 mg/m³ am Arbeitsplatz für das in der Technikumsanlage in Leverkusen hergestellte Produkt. Aufgrund der derzeit vorliegenden Informationen ist diese Empfehlung vertretbar.“
Nach Ansicht des Bremer Umweltmediziners Rainer Frentzel-Beyme ist dieser Grenzwert „angesichts des Fehlens epidemiologischer Daten als völlig willkürlich anzusehen“. Der grüne NRW-Umweltminister Johannes Remmel bestätigt, es gebe keinen gesetzlichen Grenzwert: „Wir müssen die Gefahren von Nanotubes grundsätzlich bewerten. Leider liegen dazu noch keine verlässlichen Daten vor.“
Auf Remmels Initiative hin hat die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz beschlossen, sich in der nächsten Sitzung im März 2011 ein Konzept für die Messung von Emissionen und Immissionen vorlegen zu lassen, die bei der Produktion oder Verarbeitung von Nanopartikeln möglicherweise entstehen. Zu den gemessenen Parametern können auch Nanotubes gehören. Möglicherweise werden sich aus den Messungen Konsequenzen für weitere Regelungen ergeben.
Bayer ist auch am Nanodialog der Nano-Kommission der Bundesregierung beteiligt. Nach Auffassung von BUND-Nanoexpertin Patricia Cameron ist es seltsam, dass eine Anlage dieses Ausmaßes nur als Versuchsanlage beantragt wurde. Für Cameron sei es nicht in Ordnung, dass die Öffentlichkeit nicht auf freiwilliger Basis an der Vorstellung des Vorhabens beteiligt worden sei.
Zur Umsetzung des Prinzipienpapiers des Nanodialogs zum verantwortungsvollen Umgang mit Nanomaterialien von Ende 2008 hat sich bisher keines der am Nanodialog beteiligten Unternehmen direkt bekannt. In dem Papier legten die Teilnehmer den sicheren Umgang von Unternehmen mit Nanopartikeln sowie Informationspflichten gegenüber Behörden und Öffentlichkeit fest.
Der forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, René Röspel, meint, dass Bayer zurückhaltender hätte vorgehen müssen: „Die Hauptforderung hier ist Transparenz und Teilhabe von Öffentlichkeit. Die Bürger müssen dafür nicht ins Labor gucken, doch die Öffentlichkeit sollte ausreichend über die Pläne informiert werden.“ C. SCHULZKI-HADDOUTI
Regulierungsanläufe für Nanoprodukte
– Bis heute unterliegen Nanoprodukte weltweit keiner gesetzlichen Regelung. Auf EU-Ebene gab es bereits mehrere Anläufe für eine Regulierung:
– Ab 2013 gilt die Kosmetikverordnung nach dem Grundsatz „alles ist erlaubt, was nicht explizit verboten ist“.
– Für Lebensmittel ist derzeit eine Kennzeichnungspflicht in Verhandlung.
– Die Einbeziehung von Nanosilber und Kohlenstoff-Nanoröhrchen in die neue „Richtlinie zur eingeschränkten Verwendung von bestimmten gefährlichen Substanzen in Elektro- und Elektronikgeräten“ scheiterte kürzlich. csh