Die Zeitschrift Publik Forum berichtet über eine Kampagne von Coordination gegen BAYER-Gefahren und BUND gegen die Produktion von sogenannten Nanotubes ohne öffentliches Genehmigungsverfahren und ohne Risikoprüfung
Das Asbest der Zukunft
Nanomaterialien erobern immer mehr Lebensbereiche – doch die gesundheitlichen und ökologischen Wirkungen sind kaum bekannt. Experten warnen
Bayer setzt auf Nano: 22 Millionen Euro hat die Bayer- Tochter Bayer MaterialScience in Leverkusen gerade in die Entwicklung und den Bau einer Anlage zur Herstellung von Kohlenstoff-Nanoröhrchen investiert. 100 000 neue Arbeitsplätze könnten in Deutschland durch die Nanotechnologie geschaffen werden, verlautete Bayer vollmundig bei der Eröffnung der Anlage im Januar und pries den Nutzen der Kohlenstoff-Nanoröhrchen: Würden sie Schiffsanstrichen beigemischt senkten sie den Strömungswiderstand des Schiffsrumpfes und reduzierten den Kraftstoffverbrauch. Die Rotorblätter von Windkraftanlagen würden durch die als „Baytubes“ verkauften Nanoröhrchen leichter und stabiler.
Das klingt alles wundervoll. Einziges Problem: Welche Risiken für die Gesundheit von Menschen und für die Umwelt von den winzig kleinen Nanopartikeln bei Herstellung, Nutzung und Entsorgung ausgehen, weiß bislang niemand genau. „Da wird die schöne neue Welt propagiert, aber es gibt bislang keine Gesetze, die die Menschen vor Nanopartikeln effektiv schützen“, sagt Claudia Baitinger vom Bund für Umwelt und Naturschutz Nordrhein-Westfalen. „Dennoch wird produziert und auf den Markt geworfen – ein Unding.“ Die Unternehmen nutzen ihrer Ansicht nach diese Gesetzeslücken schamlos aus. Was sie besonders empört: Obwohl Bayer weltweit für seine „Baytubes“ wirbt und im Jahr 200 Tonnen davon produzieren kann, gilt die Anlage in Leverkusen als „Versuchsbetrieb“. Ihr Bau ist lediglich vom Bauamt der Bezirksregierung Köln genehmigt worden.
In fast alle Lebensbereiche dringt die Nanotechnologie schon vor – in die Medizintechnik und Pharmazie, in die Kommunikationstechnik und den Maschinenbau, in die Chemie, Kosmetik und Lebensmittelindustrie. Brillengläser sollen durch Nanobeschichtung kratzfester, Schuhcreme glänzender, Ketchup dickflüssiger werden. Socken länger frisch bleiben.
Die hierfür eingesetzten Stoffe sind vielfältig, ebenso ihre Strukturen. Nanosubstanzen können Partikel, Fasern oder Plättchen sein. Gemein ist den Nanomaterialien lediglich eine Eigenschaft: Sie sind winzig klein und in ihrer Beschaffenheit ein Feststoff; alles andere kann variieren. Auch ihre Größe kann schwanken, und zwar zwischen 100 Nanometern und weniger als einem Nanometer – was wiederum entscheidend sein kann für die biologische oder ökotoxikologische Wirkung der jeweiligen Substanz. Und das macht die Sache so schwierig: „Es kann sein, dass ein Stoff mit 45 Nanometer Partikelgröße völlig anders wirkt als derselbe Stoff mit 46 Nanometer Größe“, sagt Barbara Dohmen, Umweltärztin aus Murg am Hochrhein. Sie zählt zu den bundesweit profiliertesten und frühesten Kritikern der Nanostäube.
Doch trotz unzähliger offener Fragen zum Gefährdungspotenzial dominiert im Land derzeit die Euphorie. Nano gilt als die große Innovation schlechthin, weil die Materialien ganz neue technische Möglichkeiten eröffnen. Als Nanoschichten können sie Oberflächen gegen Korrosion schützen oder ihnen die Eigenschaft der Selbstreinigung geben. Sie können zum UV-Schutz (wie etwa Titandioxid in Sonnenmilch) und als antimikrobielle Substanzen (wie Silber in Socken) eingesetzt werden. Auch in der Medizin beflügeln die Nanopartikel die Fantasie – etwa um mit Wirkstoffen gezielt die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Damit sind zum Beispiel neue Therapeutika gegen Hirnhautentzündung denkbar.
Dies ist zugleich das große Problem dieser Stoffe: Da die Substanzen alle biologischen Barrieren durchbrechen, bergen sie ein hohes gesundheitliches und ökologisches Risiko. „Keine biologische Membran hält die Nanopartikel auf, sie können bis in die Zellkerne gelangen“, sagt Medizinerin Dohmen. Das Umweltbundesamt warnt davor, dass auch „ein Übertritt von Nanopartikeln über die Plazenta in den Fetus möglich ist“.
Die industrielle Entwicklung einer Technik war mal wieder erheblich schneller als die Erforschung ihrer Folgen für Mensch und Umwelt. Längst sind nämlich mehr als 800 Produkte mit Nanobestandteilen im Handel. Und manche Firmen werben sogar mit den Nanobestandteilen in ihren Produkten, weil Nano derzeit als modern gilt.
Nanopartikel reagieren völlig anders als der gleiche Stoff in makroskopischer Form. Viele Stoffe erlangen bei Unterschreiten einer Partikelgröße von etwa hundert Nanometern gänzlich neue chemische und biologische Eigenschaften. „Selbst Gold kann in bestimmter Partikelgröße zu einem sehr aggressiven Stoff werden“, sagt Umweltmedizinerin Dohmen.
Schwierig ist die Situation für Kritiker, weil sich ein ursächlicher Zusammenhang mit den Nanopartikeln kaum nachweisen lässt, wenn Menschen nach Jahren krank werden sollten. Aus diesem Grund sorgen sich die Firmen, die Nanopartikel in Verkehr bringen, auch bislang nicht ernsthaft um Regressforderungen.
Bezeichnend jedoch ist, dass sich eine Branche schon frühzeitig für das Thema interessierte: die Versicherungen. Schon im Jahr 2004 gab das Schweizer Rückversicherungsunternehmen Swiss Re eine Broschüre heraus mit dem Titel „Nanotechnologie. Kleine Teile – große Zukunft?“ Darin wird gefragt: „Asbest – ein zulässiger Vergleich?“ Denn manche Nanostrukturen sind dem faserigen Mineral ähnlich. Die Versicherungswirtschaft, schreibt Swiss Re, sei daher „gut beraten, wenn sie die Entwicklungen genau verfolgt“.
Im Vergleich zur Assekuranz ist die Politik bislang deutlich weniger sensibilisiert. Angesichts des gigantischen Nichtwissens bedürfte es eigentlich strenger Gesetze, um dem Vorsorgeprinzip gerecht zu werden. Doch die sind in weiter Ferne. Es gibt bislang noch nicht einmal eine Deklarationspflicht für Nanomaterialien – wer als Konsument die neuen Stoffe von sich fernhalten möchte, ist dazu also kaum in der Lage.
In einigen Sektoren wird sich das zwar ändern, aber das dauert. In zwei bis drei Jahren werde die EU eine entsprechende Richtlinie für Kosmetika vorlegen, sagt Andreas Hermann vom Öko-Institut. Auch für Lebensmittelverpackungen, in denen Nanoschichten bakterizid wirken und damit die Haltbarkeit verlängern sollen, werde über eine Deklaration nachgedacht.
Transparenz ist auch für gewerbliche Anwendungen überfällig. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) fordert, dass auch Arbeiter in der Industrie, die mit den betreffenden Stoffen in Kontakt kommen, besser informiert werden: In den Sicherheitsdatenblättern, die allen Produkten für den gewerblichen Einsatz beiliegen, brauche man „unbedingt eine Deklaration von Nanopartikeln“ sagt Torsten Wolf von der BauA. Mit einer Deklaration hält Wolf das Problem aus Sicht des Arbeitsschutzes dann allerdings für gelöst: In den Betrieben gelte ohnehin das Vorsorgeprinzip, das besagt, dass man mit Substanzen, die Risiken bergen können, entsprechend vorsichtig umgeht.
Solche Vorsorge mag in den verarbeitenden Betrieben tatsächlich funktionieren. Doch sobald Nanopartikel in die Umwelt freigesetzt werden, sind Schutzmaßnahmen kaum noch möglich. So geben zum Beispiel Kleider, die mit Nanosilber behandelt sind, dieses beim Tragen und Waschen recht schnell ab. Grundsätzlich landen Nanopartikel, die in Produkten eingesetzt werden, zwangsläufig irgendwann in der Umwelt.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) warnt daher: Weil die hohe biologische Mobilität von Nanopartikeln und die damit verbundenen Gefahren für Mensch und Umwelt nur unzureichend erforscht seien, müsse die Bundesregierung schnell handeln. „Es muss aufhören, dass die Hersteller mit unhaltbaren Versprechungen über die angeblich so tollen Eigenschaften von Nanomaterialien immer mehr riskante Produkte auf den Markt bringen“, sagt Heribert Wefers. BUND-Experte für Chemie und Nanotechnologie.
Speziell zum Nanosilber hat der BUND gerade eine Studie vorgelegt. Sie heißt: „Nanosilber – der Glanz täuscht“. In dem Papier verweist der BUND auch darauf, dass Bakterien gegen Silber resistent werden können – was fatal ist, weil Silber heute noch gegen einige Bakterien wirkt, die längst resistent gegen Antibiotika sind.
Doch wie sollte man nun als Verbraucher auf die angeblich so schöne, aber viel mehr noch problematische neue Nanowelt reagieren? „Wenn die Nanopartikel in Be-schichtungen eingesetzt werden, sehe ich kein Problem“, sagt Andreas Hermann vom Öko-Institut. Eine Brille mit kratzfesten Nanoschicht-Gläsern berge keine Gefahr für den Anwender. Kritischer seien etwa Kosmetika, weil deren Nanoteilchen in die Körperzellen eindringen können.
Und dann natürlich die Sprays, die unter allen Anwendungsformen der Nanostäube
die bedenklichsten sind, etwa Imprägnierspray für Schuhe. „Von Sprays“, sagt Hermann, „ist grundsätzlich abzuraten.“ Denn selbst wenn sie keine Nanopartikel enthalten, führt die feine Zerstäubung der Sprays dazu, dass die Substanzen tief in die Lungeeindringen können – was gesundheitlichproblematisch sein kann.
Von Bernward Janzing