Gefährliche Verhütungsmittel
Kill Pill
Im letzten Jahr starb die 24-jährige Australierin Tanya Hayes an einer Lungenembolie, „verursacht durch Faktoren, die mit der Einnahme von Verhütungsmitteln zusammenhängen“, wie die Diagnose lautete. Einer jungen Schweizerin wurde BAYERs Pille YASMIN ebenfalls zum Verhängnis: Auch sie erlitt eine Lungenembolie und ist nun schwerstbehindert. Der deutschen YASMINELLE-Nutzerin Felicitas Rohrer blieb dieses Los knapp erspart. „Dass ich noch lebe, ist ein Wunder und auf unglaublich tolle Arbeit der Ärzte und einige glückliche Umstände zurückzuführen. Um zu verhindern, dass weitere junge Frauen ein ähnliches oder sogar tödliches Schicksal erleiden, muss die Problematik publik gemacht werden“, forderte die Frau gemeinsam mit der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in einer Presse-Information.
Von Jan Pehrke
Tanya Hayes litt seit ihrem elften Lebensjahr unter Akne. Da das Medikament, mit dem die Studentin die Hautkrankheit behandelte, bei Schwangerschaften die Leibesfrucht zu schädigen vermag, nahm sie auch ein Verhütungsmittel ein. Zu BAYERs YASMIN griff die 24-Jährige, weil sie sich von der Pille eine positive Wirkung auf die Hautausschläge versprach – eine in der Werbung immer wieder herausgehobene Nebenwirkung des Präparates.
Vier Monate nach der Einnahme von YASMIN klagte die junge Frau plötzlich über Atembeschwerden und starken Husten, nahm diese Gesundheitsstörungen aber nicht allzu ernst. Wenig später folgte der Zusammenbruch. Auf einem Restaurant-Parkplatz versagte der Kreislauf, und knapp fünf Stunden später war Tanya Hayes tot. Die MedizinerInnen diagnostizierten eine Lungenembolie infolge von verdicktem Blut „verursacht durch Faktoren, die mit der Einnahme von Verhütungsmitteln zusammenhängen“.
Die Schwerstbehinderung der 18-jährigen Céline hängt ebenfalls mit der Einnahme von YASMIN, das als Wirkstoffe die beiden Hormone Ethinylestradiol und Drospirenon enthält, zusammen. Die Schweizerin erlitt eine Lungenembolie, die das Gehirn von der Sauerstoff-Zufuhr abschnitt. Seither ist der Teenager ein Pflegefall, unfähig, sich zu artikulieren und selbstständig zu bewegen. Anders als sonst üblich, versuchte der Leverkusener Multi nicht, alle Verantwortung von sich zu weisen – zumindest nicht gleich. „Der Fall von Céline ist ein besonders tragischer Ausgang von einer schweren, aber seltenen Nebenwirkung“, gab eine Konzern-Sprecherin zu. Deshalb sagte das Unternehmen auch zu, als die Familie den Pharma-Riesen wegen der hohe Kosten für die Rehabilitation um Unterstützung bat. Es wollte die Zahlungen jedoch nicht als Schuldeingeständnis verstanden wissen und bat sich ein Stillschweigen über die Höhe der Summe aus. Der Anwalt der Familie ging auf diese Bedingungen jedoch nicht ein. Da zeigte der Multi, dass er auch anders kann und ruderte zurück. „Ob die Lungenembolie auf einer Einnahme unseres Präparates YASMIN beruht, ist nicht belegt“, schrieb BAYER dem Juristen.
Keine Einzelfälle
Wie der Fall „Tanya Hayes“ in Australien, so erregte der Fall „Céline“ in der Schweiz großes Aufsehen. Das Nachrichten-Magazin 10vor10 widmete dem Schicksal Célines einen Beitrag, und danach konnten sich ÄrztInnen, Kliniken und Beratungseinrichtungen vor Anrufen besorgter Frauen kaum retten. Die schweizer Aufsichtsbehörde „Swissmedic“ kündigte an, die verfügbaren Studien zu YASMIN noch einmal eingehend zu analysieren. Die Pillen-Konsumentinnen wollten allerdings nicht so lange warten und stiegen auf andere Kontrazeptiva um – die YASMIN-Verkäufe brachen um ein Drittel ein. PatientInnen-Verbände hätten diese am liebsten bei Null gesehen: Sie forderten ein Verbot der Pille.
Dafür gibt es gute Gründe, denn um Einzelfälle handelte es sich bei den Embolien von Tanya Hayes und Céline nicht. 50 Tote durch YASMIN bzw. YAZ – die beiden Pillen unterscheiden sich nur geringfügig voneinander – verzeichnet die US-Gesundheitsbehörde FDA im Zeitraum von 2004 bis 2008. Ihr bundesrepublikanisches Gegenstück, das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM), zählt sieben Verstorbene seit dem Jahr 2000, wiegelt aber zugleich ab – ein Kausalzusammenhang sei im Einzelfall nicht sicher belegt. Der Leverkusener Multi wusste da natürlich mehr, zog es aber vor zu schweigen. Solche Angaben würden die Kundinnen nur verunsichern, beschied BAYER-Sprecherin Astrid Kranz dem Journalisten von der Berner Zeitung.
Neue Risiken
Grund zur Verunsicherung besteht in der Tat. Gerade von den neuen Pillen der so genannten 3. Generation geht eine große Gefäßverschluss-Gefahr aus. Innovativ ist also vor allem ihr Gefährdungspotenzial. Schon bis September 2006 gingen der „Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“ 33 Berichte über thromboembolische Ereignisse ein, wie das industrie-unabhängige Fachblatt arznei-telegramm schreibt. Kommen bei älteren Mitteln mit Wirkstoffen wie Levonorgestrel ca. 20 entsprechende Zwischenfälle auf 100.000 Frauenjahre, so weisen Untersuchungen mit Drospirenon-Pillen Quoten von 30-40/100.000 über 46/100.000 bis zu 137/100.000 aus. Also liegt das Thrombose-Risiko von Drospirenon-haltigen Mitteln wie YASMIN, YASMINELLE, YAZ und AIDA, die sich nur durch den jeweiligen Ethinylestradiol-Gehalt voneinander unterscheiden, bis um das 7fache über demjenigen von Medikamenten der 2. Generation. Eine neue Studie von Dr. Frits Rosendaal, Professor an der niederländischen Universität Leiden, erhebt nicht ganz so hohe Zahlen. Hier nehmen Thrombosen unter Drospirenon „lediglich“ um das 6fache zu, und das auch nur im Vergleich zur Häufigkeit bei Pillen-abstinenten Frauen. Aber Rosendaals Zahlen reichten dem „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) zusammen mit den Daten einer anderen Expertise, nun endlich ein wenig Aktivität zu zeigen. „Diese beiden aktuellen Studien werden zurzeit vom BfArM in Kooperation mit den Arzneimittelbehörden der anderen EU-Länder bewertet. Basierend auf dieser Bewertung wird über die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen entschieden werden“, verlautete aus Bonn.
Bislang hatte sich das BfArM bei seiner Einschätzung auf eine Untersuchung gestützt, die auch BAYER gern zitierte. Die EURAS-Studie des Berliner ZEG-Institutes brachte für den Leverkusener Multi den Erweis, „dass YASMIN-Anwenderinnen kein höheres Venenthrombose- und kein höheres Embolie-Risiko im Vergleich zu Anwenderinnen anderer niedrig dosierter Antibabypillen haben“. Bei diesem Urteil half allerdings offensichtlich, dass mit Jürgen C. Dinger ein ehemaliger Beschäftigter der vom Leverkusener Multi aufgekauften SCHERING-Werke zu den Leitern gehört und das ZEG ohnehin in dem Ruf der Industrie-Nähe steht.
Die US-Gesundheitsbehörde FDA hatte schon bei der Zulassung Bedenken. Die Einrichtung verlangte zusätzliche Informationen zur Unbedenklichkeit von BAYER, erst danach genehmigte sie die Pille. Zudem hat die Einrichtung jüngst bei Betriebsinspektionen erhebliche Mängel in puncto Reinheit und Stabilität der YASMIN-Wirkstoffe festgestellt. Norwegen hat das BAYER-Produkt im Jahr 2002 unter besondere Beobachtung genommen, und der „Berufsverband der niederländischen Allgemeinärzte“ warnt seine Mitglieder ausdrücklich vor der Verordnung von YASMIN, das BAYERs Tochterfirma JENAPHARM auch unter dem Produktnamen PETIBELLE vermarktet.
Schlank und krank
Was YASMIN so gefährlich macht, ist genau diejenige Eigenschaft, die der Pharma-Riese aggressiv bewirbt und dem Pharmazeutikum den zweifelhaften Status eines Lifestyle-Präparates verleiht. Der immer wieder beschworene „Figur-Bonus“ ist nämlich der Thrombose-Malus, denn indem das Dropirenon dem Körper Wasser entzieht, das er durch den anderen YASMIN-Wirkstoff Ethinylestradiol sowie durch körpereigenes Testosteron eingelagert hat, macht es zugleich das Blut zähflüssiger und steigert so die Embolie-Gefahr.
Aber auch sonst ist der Stoff nicht ohne. So ist er imstande, den Kalium-Spiegel auf einen gesundheitsgefährdenden Wert zu erhöhen. Zudem besteht chemisch eine enge Verwandtschaft mit der Substanz Spironolakton, das sich in Tierversuchen als krebserregend erwiesen und bei klinischen Erprobungen Gesundheitsstörungen verursacht hat, weshalb die Anwendung nun starken Einschränkungen unterliegt. Darüber hinaus löst das Drospirenon in Tateinheit mit dem Ethinylestradiol überdurchschnittlich oft Bauchspeicheldrüsen-Entzündungen aus. Auch Schlaganfälle und Krebserkrankungen sind verzeichnet. Wegen dieses umfangreichen Krankheitskataloges gibt es in den USA schon vier Klagen von YAZ- und YASMIN-Geschädigten, und es dürften noch mehr werden. Das arznei-telegramm hat das Unheil kommen sehen und warnte schon frühzeitig. „Wir raten von der Verordnung ab“, schrieb das Fachblatt über YASMIN.
Leider befolgten MedizinerInnen diesen Rat nicht. Sie verschrieben das Medikament fleißig und ließen so im letzten Jahr den Umsatz des Global Player mit Pillen der YASMIN-Familie um über 17 Prozent auf 1,22 Milliarden Euro steigen. Damit sind YASMIN & Co. nicht nur BAYERs Top-Seller im Pharma-Bereich – sie nehmen auch die Spitze des gesamten Verhütungsmittel-Weltmarktes ein. Über die Gründe für diesen Erfolg bestehen kaum Zweifel. „Es sind alles Lifestyle-Faktoren, weshalb die Mädchen die Pille verlangen“, so Franziska Maurer-Marti von der „Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe“.
Gezielte Werbeverstöße
Darum stellt BAYER auf den websites der Pillen auch den „Beauty-Effekt“, den „Feel-good-Faktor“ oder den „Figur-Bonus“ als Verkaufsargument heraus. Bei der Markteinführung von YASMIN im Jahr 2000 erhielt der Global Player für diese Strategie breite publizistische Unterstützung. „Neue Antibabypille macht sogar schlank“, jubilierte die BZ. Da mochten weder die Taz – „schlanker und fitter“ – noch die Ärztezeitung nachstehen, die „Verhütung ohne Gewichtszunahme“ attestierte. Desweiteren schneidet der Pharma-Riese seine Werbe-Aktionen passgenau auf eine junge Zielgruppe zu. Er hält kleine Herzen zum Herunterladen aufs Handy bereit und übt sich in Verpackungskunst. So erhielt Céline die für sie so unheilvollen YASMIN-Tabletten von ihrem Arzt in einem neckischen rosa Täschchen überreicht. Genau diese gesundheitsgefährende Geschäftsstrategie das YASMINELLE-Opfer Felicitas Rohrer. „Fatal an dieser Pille ist, dass sie sich gezielt an junge Mädchen richtet. Die erste Packung kommt in einem schicken, silberfarbenen Schächtelchen mit Schminkpinsel daher. Zusammen mit dem angeblichen Vorteil, dass man nicht an Gewicht zunimmt, erhöht das die Akzeptanz bei jungen Frauen natürlich enorm. Aber sie erfahren nichts davon, dass sie damit ein höheres Risiko für Thrombosen und Embolien haben.“, so Rohrer in der Presse-Information der CBG.
Bei seinen verkaufsfördernden Maßnahmen schreckt der Leverkusener Multi nicht einmal vor Rechtsbrüchen zurück. Obwohl das Heilmittelwerbegesetz es untersagt, preisen der Konzern und seine Tochterfirma JENAPHARM YASMIN & Co. im Internet kräftig an. Dabei sorgt der Pharma-Riese auch dafür, dass der Weg vom neutralen GOOGLE-Suchwort „Pille“ directement zu den BAYER-Verhütungsmitteln führt. Allerdings fällt das nicht gleich auf. Die Sites geben sich den Anstrich unabhängiger VerbraucherInnen-Information. Der Hinweis auf den Pharma-Multi als Hersteller findet sich oft nur im Kleingedruckten.
„Da das Verbot der Laien-Werbung (DTC = Direct To Consumer) für verschreibungspflichtige Arzneimittel selbst Anfängern im Pharma-Marketing bekannt ist, gehen wir von einem gezielten Verstoß aus. Offensichtlich soll (…) auch getestet werden, ob das Werbeverbot hierzulande noch durchgesetzt wird“, konstatiert das arznei-telegramm. Mit dem politischen Willen zu einer Durchsetzung steht es beileibe nicht zum Besten, wie die BUKO PHARMA-KAMPAGNE erfahren musste. Die Initiative prangerte ebenfalls BAYERs unlautere Pillen-Reklame an, welche die Kontrazeptiva als Medikamente gegen Akne und das ominöse „premenstruelle Syndrom“ annoncierte sowie YASMIN-Nebenwirkungen wie Brust- oder Gebärmutterkrebs verschwieg. Aber die Behörden interessierte das kaum. Die Bezirksregierung Köln reagierte gar nicht auf den Buko-Hinweis. Auf Nachfrage erhielt die Initiative die Antwort, BAYER plane eine Überarbeitung des Webauftrittes. Diese bestand dann in einer automatischen Weiterleitung von www.yasmin.de auf www.pille.com, außer der Adresse ändert sich jedoch nicht viel.
Das „Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz“ strengte zwar in Sachen VALETTE und PETIBELLE ein Ordnungswidrigkeitsverfahren an, stellte es aber umgehend wieder ein. „Im Vergleich sind die Internet-Seiten der Konkurrenz-Produkte ähnlich aufgebaut“, befanden die VerbraucherschützerInnen. An deren Sehkraft bestehen allerdings Zweifel. So nahmen die Behörden-MitarbeiterInnen eine Umgestaltung der VALETTE-Seite wahr, die gar nicht stattgefunden hatte. Erst nach einem Bericht des SWR-Sendung Odysso tat sich etwas: Die Webpage verschwand aus dem Netz, meldete sich allerdings bald in alter Frische zurück. Erst nachdem sich auch die ZDF-Sendung Frontal 21 der Sache angenommen hatte, war die Seite dann mal weg. Den dort von einer BUKO-Aktivistin heftig kritisierten Werbespruch „Selbst junge Mädchen, die (noch) gar kein Verhütungsmittel benötigen, wenden allein aus dem Grund gern eine geeignete Pille an“ wollte BAYER dann doch nicht mehr auf die Zielgruppe loslassen.
In den USA existieren keine Werbe-Beschränkungen für verschreibungspflichtige Medikamente, BAYER & Co. dürfen ihre Produkte auf allen Kanälen propagieren. Dafür funktioniert die Aufsicht manchmal besser als hierzulande. Die Gesundheitsbehörde FDA ließ es BAYER im Gegensatz zu ihren bundesdeutschen Pendants nicht durchgehen, YAZ als Mittel gegen Akne und das „premenstruelle Syndrom“ zu bewerben und die unerwünschten Arznei-Effekte herunterzuspielen. Letzteres empfand die US-Behörde als „besonders besorgniserregend, weil einige dieser Risiken erheblich, sogar lebensbedrohlich sind“. Also verbot sie nicht nur den entsprechenden TV-Spot, sie zwang den Leverkusener Multi außerdem dazu, den Sachverhalt klarzustellen – bisher einmalig in der FDA-Geschichte. So heißt es in der neuen Pillen-Promotion nun: „Vielleicht haben Sie Werbespots für YAZ gesehen, die nicht ganz klar waren. Die FDA will, dass wir ein paar Punkte in diesen Spots korrigieren“.
Zu allem Überfluss lösen YASMIN und PETIBELLE das Versprechen einer Gewichtsabnahme kaum ein. Während die Nebenwirkungen der „Pillen-Diät“ in beunruhigender Weise durchschlagen, fällt der fast als Hauptwirkung inserierte „Figur-Bonus“ kaum ins Gewicht. Gerade einmal 300 Gramm weniger als die ProbandInnen der Vergleichsgruppe brachten die armen YASMIN-Schluckerinnen in einer Studie auf die Waage. In einer anderen Untersuchung verloren die Frauen die Pfunde nicht dauerhaft. Aber selbst an diesen geringen Abnehm-Effekten bestehen noch Zweifel. „Es fällt auf, dass in beiden Studien die Frauen in der Drospirenon-Gruppe ein etwas höheres durchschnittliches Ausgangsgewicht haben“, kritisiert das arznei-telegramm das Studien-Design. Frits Roosendaal hat in seiner Arbeit ebenfalls keine diätische Wirkung festgestellt. „Dafür gibt es keine klaren Beweise“, hielt der Mediziner fest.
Nicht nur YASMIN
Die fand er aber für das Gefährdungspotenzial auch anderer BAYER-Mittel; es ist also nicht nur das Drospirenon allein. So übersteigt das Thrombose-Risiko von der Pille DIANETTE, die neben Ethinylestradiol noch das Testosteron bindende Anti-Androgen Cyproteron-Acetat enthält, noch dasjenige von YASMIN. Um das 7fache liegt es über dem, das Frauen tragen, die keine Kontrazeptiva nehmen. Das wurde im Juni dieses Jahres der 33-jährigen Engländerin Helen Schofield zum Verhängnis, die wegen Perioden-Schmerzen und Gewichtszunahme auf DIANETTE umgestiegen war. Wie Tanya Hayes bekam sie kurz nach der Verordnung der Pille, die neben dem Ethinylestradiol noch das Testosteron bindende Anti-Androgen Cyproteron-Acetat enthält, zunächst Husten und erlitt dann wenige Wochen später einen Zusammenbruch – Diagnose: Lungenembolie. Helens Mutter erhob schwere Vorwürfe gegen die Ärztin ihrer Tochter und forderte von der britischen Aufsichtsbehörde eine umgehende Überprüfung der Sicherheit von DIANETTE. „Für einige Menschen mag das ja gut funktionieren, für mich aber ist es ein todbringendes Medikament“, so Kay Schofield.
Den Thrombose-Tod bringen können noch weitere BAYER-Verhütungsmittel der 3. Generation. MELODEN, MELIAN, MYVLAR, GYNERA und MIRELLE schreiben WissenschaftlerInnen ebenfalls ein erhöhtes Thrombose-Risiko zu.
Aber auch ältere Präparate steigern die Embolie-Gefahr. Diese geht hauptsächlich von den in allen Produkten enthaltenen weiblichen Hormonen aus, welche die Produktion von Blut verdickenden Gerinnungsfaktoren in der Leber anregen, was die Wahrscheinlichkeit von Verklumpungen und schließlich Gefäßverschlüssen erhöht. Bereits bis Ende 1989 erhielten die bundesdeutschen Aufsichtsbehörden 119 Meldungen über thromboembolische Nebenwirkungen. Damals besonders in der Kritik: Das von dem heute zu BAYER gehörenden Unternehmen SCHERING produzierte FEMOVAN mit den Hormon-Wirkstoffen Gestoden und Ethinylestradiol. Einer 19-jährigen Engländerin hatte die vom Hersteller als „supersanft“ bezeichnete Pille den Thrombose-Tod gebracht. Als das SCHERING-kritische Netzwerk SCHAN den Fall vor die Hauptversammlung des Jahres 1989 brachte, zeigte sich die Konzern-Spitze ungerührt. „Es gibt kein Medikament ohne Nebenwirkungen“, beschied der Vorstandsvorsitzende Guiseppe Vita den KritikerInnen knapp.
Sechs Jahre später kamen gleich drei Studien zu bedrohlichen Befunden bei FEMOVAN und anderen Gestoden-haltigen Antibabypillen. Darunter befand sich peinlicherweise auch eine vom Berliner Pharma-Riesen mit fünf Millionen Euro gesponsorte Expertise. Selbst diese kam nicht umhin, eine „sehr leichte Assoziation“ zwischen der „niedrigst dosierte(n) Antibabypille“ (O-Ton SCHERING) und thromboembolischen Ereignissen zu konzedieren. Die bundesdeutsche Gesundheitspolitik beunruhigte das zunächst nicht weiter. Erst als die englischen Behörden Alarm schlugen und eine britische Anwaltskanzlei das Mandat von 200 Geschädigten übernahm, wachte das BfArM auf. „Bundesinstitut warnt vor Antibabypillen – erhöhtes Thromboserisiko?“, meldete damals die Faz. Die Aufsichtsbehörde drohte SCHERING und den anderen Pillen-Produzenten sogar mit einem vorläufigen Entzug der Zulassung. Allerdings blieb es bei der Drohung. Es fanden sich wieder einmal genug willige WissenschaftlerInnen, die Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellten.
Aber wie bei YASMIN beginnt auch bei den anderen Verhütungsmitteln von BAYER die Liste der Risiken und Nebenwirkungen mit „Lungenembolie“ erst. Bei DIANETTE etwa kommen noch „Depressionen“ erschwerend dazu. Nachdem im Jahr 2006 100 entsprechende Meldungen bei dem britischen Arzneiaufsichtsamt eingegangen waren, sah es sich zu einer Examination gezwungen, die jedoch ohne weiterreichende Konsequenzen blieb. Die FEMOVAN-Krankenakte hingegen enthält noch „Herzinfarkt“ und „Schlaganfall“. Damit wartet das Sündenregister von TRIQUILAR (Wirkstoffe: Ethinylestradiol und Levonorgestrel) ebenfalls auf. Der einstige SCHERING-Pharmakologe Michael Briggs wollte diesen Eintrag zwar mittels einer gefälschten Studie löschen, aber der Schwindel flog auf. So findet er sich neben Gebärmuttererkrankungen und Zystenbildungen nach wie vor auf dem Beipackzettel.
Der Grund für diese unsanften Effekte: FEMOVAN & Co. weisen zwar wirklich niedrigere Wirkstoff-Konzentrationen auf, diese bleiben dem Körper dafür jedoch länger erhalten und können durch eine erhöhte Serumkonzentration – bei FEMOVAN lag der Wert um das Vier- bis Fünffache über demjenigen von anderen Pillen – eine Menge Schaden anrichten.
Das kann auch BAYERs Hormonspirale MIRENA. Zu den unerwünschten Arznei-Effekte zählen unter anderem Brustkrebs, Herz/Kreislauf-Krankheiten, Bauchhöhlen-Schwangerschaften, Zysten, Zyklusstörungen und Zwischenblutungen. Die bundesdeutsche MIRENA-Website vermerkt nur einen Bruchteil davon, und das auch noch unter dem verharmlosenden Oberbegriff „Begleiterscheinungen“. In den USA zeigt sich der Konzern nicht auskunftsfreudiger. Darum fordern MIRENA-Geschädigte dort in einem Aufruf bereits, diese Schwarze Liste zu komplettieren.
Der Leverkusener Multi kennt die Nachteile hormoneller Schwangerschaftsverhütung nur allzu gut. Aus diesem Grund hat er sich auch einmal auf die Suche nach Alternativen begeben. Seit geraumer Zeit wickelt er diesen Bereich jedoch ab, wie der BAYER-SCHERING-Forschungschef Andreas Busch in einem Interview erklärte: „Wir werden die laufenden Forschungsprojekte voranbringen, aber wir wollen nicht mehr nach komplett neuen Mechanismen suchen“. Dafür läuft das Geschäft mit den alten Mechanismen offenbar einfach zu gut.
Noch jedenfalls, denn nicht nur Felicitas Rohrer hofft darauf, dass ihr Beispiel eine abschreckende Wirkung entfaltet: „Dass ich noch lebe, ist ein Wunder und auf unglaublich tolle Arbeit der Ärzte und einige glückliche Umstände zurückzuführen. Um zu verhindern, dass weitere junge Frauen ein ähnliches oder sogar tödliches Schicksal erleiden, muss die Problematik publik gemacht werden“.