BAYERs Krisenmanagement, Teil IV
„Robust in schwierigem Umfeld“
Der Leverkusener Multi hält an dem Ziel fest, mit einer Gewinn-Einbuße von fünf Prozent durch die Krise zu kommen und tut alles dafür: Arbeitsplatzvernichtung, Produktionsstilllegungen, Zusammenlegung von Abteilungen und Effizienz-Programme.
Von Jan Pehrke
„Robust in schwierigem Umfeld“ hielt sich der Leverkusener Multi im 1. Halbjahr 2009 nach Meinung des BAYER-Chefs Werner Wenning. In den Zahlen seines Zwischenberichtes ausgedrückt heißt das: knapp sechs Prozent weniger Umsatz und sieben Prozent weniger Gewinn als im Vorjahreszeitraum. Und im zweiten Jahresviertel blieb der Konzern Wenning zufolge ganz im Soll. „Insgesamt hat das 2. Quartal unsere Erwartungen voll erfüllt“, so der Vorstandsvorsitzende.
Besonders für den Kunststoff-Bereich schienen diese nicht allzu hoch gewesen zu sein. Während die Gesundheitssparte 8,3 Prozent mehr umsetzte und die Landwirtschaftsabteilung 2,7 Prozent, gingen die Zahlen für BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) um mehr als 30 Prozent zurück. Gegenüber dem ersten Quartal zeichnete sich jedoch ein leichter Aufwärtstrend ab, was Wenning als „Anzeichen für eine Bodenbildung“ deutete. Also gab der Ober-BAYER sich weiter zuversichtlich, mit einer Gewinn-Einbuße von fünf Prozent durch die Krise zu kommen. „An unseren ambitionierten Ergebnis-Zielen für das Gesamtjahr 2009 halten wir fest“, verkündete er.
Harte Zeiten bei BMS
Leidtragende dieser Ambitionen sind die Beschäftigten. Besonders hart trifft es dabei die BMS-Belegschaft. Neben temporären kündigte der Konzern auch dauerhafte Stilllegungen von Produktionsanlagen an, um die Auslastungsquote der übrig gebliebenen Fertigungsstätten zu steigern. Die Börse honorierte das umgehend. „Positiv einzuschätzende Anpassungen der Produktionskapazitäten“ veranlassten S&P EQUITY RESEARCH zu einer Kaufempfehlung für die BAYER-Aktie.
Zudem erhöht das Unternehmen den Umfang seines 2007 begonnenen, 300 Millionen Euro schweren Sparprogrammes nochmals um 50 Millionen Euro, womit es auch nicht bei der ursprünglich vorgesehenen Streichung von 1.500 Stellen bleibt.
So kostet etwa die Schließung der Forschungssparte am Standort Krefeld zusätzliche Arbeitsplätze. BAYER will die wissenschaftliche Arbeit in Leverkusen konzentrieren, um eine stärkere Anbindung an das Marketing-Ressort zu gewährleisten, wie es offiziell heißt. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Rationalisierungsmaßnahme. Von den 132 Beschäftigten können nämlich nur 74 nach Leverkusen umziehen. 45 Jobs in den Laboren entfallen für immer, vor allem im Polyurethan-Bereich, denn bei der sich nur über den Preis verkaufenden Kunststoff-Massenware sieht der Chemie-Multi keinen Forschungsbedarf mehr.
Für Krefeld hat die Zusammenlegung weitreichendere Folgen; nach Einschätzung des Betriebsrats hängen noch einmal 40 Posten direkt von der Entwicklungsabteilung ab. Entsprechend wütend fielen die Reaktionen aus. Einen „Aufschrei der Entrüstung“ hat die Ankündigung des Konzerns laut Westdeutscher Zeitung ausgelöst. „Die Auswirkungen auf die Menschen und den Standort Uerdingen wären bei einer tatsächlichen Realisierung der Unternehmensvorstellung fatal“, warnt die Betriebsratsvorsitzende Petra Kohnen. Die Wellen schlagen so hoch, weil die Belegschaftsangehörigen bereits seit längerem das Ende der Niederlassung in Krefeld befürchten. Arbeiteten dort einst 12.000 Beschäftigte, so sind es jetzt gerade noch 1.430. Und ein stärkeres Zeichen dafür, dass BAYER für die Fertigungsstätte keine Zukunft mehr sieht als die Abwicklung der Forschung, gibt es wohl kaum.
Darüber hinaus vernichtet die Sparte auch in anderen Niederlassungen Arbeitsplätze für WissenschaftlerInnen. Zudem verringert sie die Schichtstärken und streicht Jobs im Rechnungswesen und Controlling. BMS-Chef Patrick Thomas hat mehr oder weniger offen den innerbetrieblichen Sozialdarwinismus ausgerufen und setzt auf „Menschen, die sich beweisen wollen, dass sie zu den Gewinnern zählen“.
Bittere Pillen
Bittere Pillen hält BAYER auch für die Pharma-Beschäftigten bereit, obwohl der Gewinn vor Steuern im zweiten Quartal 2009 im Vergleich zum Vorjahres-Zeitraum um 12 Prozent auf 1,1 Milliarden stieg. Aber BAYER-SCHERING-Vorstand Andreas Fibig spürt Auswirkungen der Krise auf dem Pillen-Markt. In Ländern, wo die Kranken ihre Medikamente selber zahlen müssen, zwingt die schlechte wirtschaftliche Lage die Menschen, weniger Arzneien zu kaufen. Zudem fahren die Staaten, die viel Geld für die Ankurbelung der Konjunktur ausgegeben haben, ihre Ausgaben im Gesundheitsbereich zurück. Da gerät BAYERs Klassenziel von 32 Prozent Umsatzrendite in Gefahr.
Also plant der Konzern umfangreiche Umstrukturierungen. „Horizon“ heißt das Rationalisierungsprogramm, dessen angebliche Unausweichlichkeit der Multi seinen Beschäftigten auch mit Ausschnitten aus Obama-Reden zur Gesundheitsreform demonstrieren wollte. Wo der US-Präsident beherzt „Yes, we can“ sagt und sich anschickt, für die medizinische Versorgung der Ärmsten der Armen Big Pharma ein wenig zu schröpfen, reagiert BAYER mit einem „Yes, we must“ und verkündet einen Horrorkatalog für die Belegschaftsangehörigen. Aber die Beschäftigen ließen sich nicht so leicht gegen Barack Obama in Stellung bringen. „Wir haben Verständnis für einen Präsidenten, der trotz Krise die Krankenversicherung zumindest für die Kinder seines Landes in Angriff bringen möchte. Kein Verständnis haben wir, dass von BAYER weiter die Shareholder-Ideologie bedient wird, die maßgeblich diese Krise mitverursacht hat“, heißt es in der Juni-Nummer des von linken GewerkschaftlerInnen herausgegebenen BAYER-SCHERING-Info.
„Horizon“ umfasst zahlreiche Ausgliederungsmaßnahmen. BAYER-SCHERING-Chef Fibig hat sich nämlich vorgenommen, die Produktivität vor allem mit Hilfe externer Partner zu steigern. So beabsichtigt der Pharma-Riese, Werkschutz-Aufgaben outzusourcen. Im Sektor „Toxikologie“ möchte er bei den Expertisen den Fremdvergabe-Anteil erhöhen. Gleiches strebt das Unternehmen bei den Pharma-Studien an. Mit der Kölner Universitätsklinik ist es da schon handelseinig geworden, weshalb für die Klinische-Pharmakologie-Abteilungen in Wuppertal und Berlin natürlich weniger zu tun bleibt und eine Zusammenlegung droht. Die Kooperation mit Köln geht dabei noch weit über Arznei-Tests hinaus und umfasst verschiedenste Forschungsbereiche, und mit anderen Bildungseinrichtungen schließt BAYER fast im Wochentakt entsprechende Verträge ab. Das vernichtet nicht nur Forschungsarbeitsplätze innerhalb des Konzerns, sondern gefährdet auch die Unabhängigkeit der Wissenschaft. Wegen dieser Folgewirkungen kritisiert das BAYER-SCHERING-Info die Pläne scharf: „Horizon spiegelt die Ratlosigkeit eines Managements wieder, das den Hals nicht voll kriegen kann (…) Diese Art zu Wirtschaften gefährdet das soziale Gefüge in der Gesellschaft“.
Die Begründung für die Notwendigkeit des Rationalisierungsprogramms kommt dem Blatt auch vertraut vor. Es sei im Wesentlichen das, was der Global Player bei jeder Kostensenkungsrunde vorbringe, nur die Gewinnvorgaben würden immer unbegreiflicher werden, urteilt das Info. Tatsächlich stellt sich manchmal die Frage, ob das noch die Krise ist oder bloß BAYER-Business as usual. Am ehesten wohl beides. Das Unternehmen begreift die momentane ökonomische Situation als günstige Gelegenheit, lang gehegte Effizienz-Projekte zu verwirklichen und steht damit nicht allein. „Jetzt kann man alte Strukturen schleifen“, frohlockte der Managementberater Jörg Hild unlängst in einem Faz-Artikel. Er empfiehlt darin unter anderem den Abbau paralleler Strukturen und die Erhöhung des Automatisierungsgrades – eben das setzt der Chemie-Multi im Kunststoff-Bereich gerade um.
Sicherheitsrisiken
Dabei leiden die Beschäftigten schon jetzt unter einer unerträglichen Arbeitsbelastung. In Wuppertal musste sogar die Personalabteilung einschreiten, wie die BASIS BETRIEBSRÄTE, eine alternative Gewerkschaftsgruppe im Leverkusener BAYER-Werk, in ihrem Flugblatt vom September 2008 dokumentierten.
„Leider, aus gegebenem Anlass, möchte ich Ihnen das Arbeitszeitgesetz (…) ans Herz legen“, heißt es in einem Schreiben an die SchichtleiterInnen. Die PersonalerInnen sahen sich gezwungen, die Vorgesetzten daran zu erinnern, ihren Untergebenen die gesetzliche vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden zu gewähren. Zudem kritisierten sie die gängige Praxis, die Beschäftigten ausstempeln zu lassen, um sie länger als 10 Stunden im Betrieb halten zu können.
Im Kunststoffbereich führt die Arbeitsverdichtung zu hohen Sicherheitsrisiken. Angesichts von Messwarten-Zusammenlegungen, Personalreduktion und Schichtmeistern, die mitarbeiten müssen statt ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen, stellt sich für einen Belegschaftsangehörigen die Frage, „ob man noch in der Lage ist, Prozesse alle zu beherrschen, und die anstehende Arbeit überhaupt noch bewältigt bekommt“, wobei er auf das abschreckende Beispiel eines Chlor-Austritts verweist. Wer Kritik an diesen Zuständen übt, bekommt sofort Druck, weshalb bei BMS ein Klima der Angst herrscht. Das Fazit des BASIS-Mannes lautet: „Die Sicherheit wird mit Füßen getreten. Es wird sich tot gespart auf Kosten der Mitarbeiter. Hier stellt sich die Frage, wie man dann auf Dauer bei längerer Lebensarbeitszeit diesen immer mehr steigenden Druck aushalten kann“.
Sozialpartnerschaft forever
Und was macht der Gewerkschaftsmainstream der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE)? Er nimmt die Krise und die damit für die Beschäftigten verbundenen neuen Zumutungen keinesfalls zum Anlass, seinen Kuschelkurs mit den Unternehmen in Frage zu stellen. „Der IG BCE bleibt der IG BCE. Wir werden auch in Zukunft unsere Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern pflegen, denn die hat uns erfolgreich gemacht“, bekannte Gewerkschaftsboss Michael Vassiliadis in einem Interview. Und machte sich dann auch umgehend zum Klassensprecher des Leverkusener Multis, indem er mehr Akzeptanz für Bio- und Nanotechnik und Kohlekraftwerke forderte. Dabei scheute er nicht mal davor zurück, die PolitikerInnen in die Pflicht zu nehmen, um solchen umstrittenen Forschungen und Projekten zu einem besseren Ruf zu verhelfen. „Ich wünsche mir, dass Politiker bei konkreten Entscheidungen nicht umfallen. Ich fordere industriepolitische Solidarität“, so Vassiliadis. Als sich in Krefeld zeigte, dass BAYER diese Politik nicht honoriert und trotzdem fleißig durchrationalisiert, war der Katzenjammer groß. „Wir als DGB haben uns nicht so vehement für das geplante Kraftwerk und die CO-Pipeline eingesetzt, um jetzt vom Konzern an der Nase herumgeführt zu werden“, empörte sich der Kreisvorsitzende Ralf Köpke. Aber Sozialpartner dürfte er dennoch bleiben.
Nicht einmal das Ansteigen der Arbeitslosigkeit nach dem Auslaufen des Stillhalte-Abkommens, in dem sich die Konzerne der Politik gegenüber verpflichtet haben, bis zur Bundestagswahl von Entlassungen abzusehen, wird wohl das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Unternehmen belasten. Und das, obwohl Peer Steinbrück prognostiert: „Es wird erhebliche Verteilungskonflikte geben“ und Manager wie der MAN-Chef Hakan Samuelsson bereits einen heißen Herbst ankündigen. „Deutschland ist momentan vor Veränderungen sicher“, sagte er einen Monat vor dem 27. September, „Aber nach der Wahl wird sich die Botschaft ändern“.
Lesen Sie hierzu auch:
· BAYER und die Krise:“Die heutigen Strukturen wird man nicht erhalten können“
· Rekorddividende und Lohnkürzungen – Das Krisenmanagement à la BAYER
· BAYER und die Wirtschaftskrise: „Jetzt die Bremsen lösen“