8. September 2009
Pleon
Andrea Fischer
Theresienhöhe 12
80339 München
Sehr geehrte Frau Fischer,
wir schreiben Ihnen anlässlich der heutigen Auslobung des Aspirin Sozialpreis durch die Bayer AG. Das Konzept für den Preis stammt von der Agentur Pleon. Auch die im Vorjahr von Bayer finanzierte Kampagne zu Kinderarmut wurde von Pleon organisiert. Als Leiterin des Bereichs Health Care bei Pleon waren Sie in die Planung beider Kampagne sicherlich mit eingebunden.
Es geht uns nicht darum, das Engagement der beim Aspirin Sozialpreis teilnehmenden Organisationen in Frage zu stellen. Aber es ist wohl unstrittig, dass es dem Unternehmen Bayer bei solchen aus der Portokasse finanzierten Kampagnen nicht um soziales Engagement geht, sondern um ein verbessertes Image, also letztlich um Werbung. Dies wurde von Pleon gegenüber Studenten einer Fotografie-Klasse, die ursprünglich für die Kinderarmuts-Kampagne gewonnen werden sollten, auch ehrlich formuliert: die geplante Zusammenarbeit sei „Teil einer Social Marketing Kampagne“, die die „Öffentlichkeitsarbeit der Firma Bayer unterstützen“ solle.
Bayer unternimmt seit Jahren große Werbeanstrengungen im Bereich der freiverkäuflichen Schmerzmittel. Aspirin ist unwidersprochen ein hochwirksames Medikament, welches aber, anders als es die Werbung suggeriert, tief in den biochemischen Haushalt des Körpers eingreift und mit teilweise schweren Nebenwirkungen verbunden ist – in den USA sterben mehr Menschen an Acetylsalicylsäure-Nebenwirkungen als an HIV. Das New England Journal of Medicine spricht von einer „geräuschlosen Epidemie“, da 75 Prozent aller Patienten, die regelmäßig Aspirin einnehmen, die Gefahren des Schmerzmittelgebrauchs nicht kennen. Für die meisten Anwendungen stünden risikoärmere Behandlungsmethoden zur Verfügung.
Die Werbekampagnen von Bayer verschweigen die hohen Risiken und ermuntern zu einer übermäßigen Einnahme von Aspirin. In den USA startete Bayer zum Beispiel die Kampagne Expect Wonders, zu der auch die website www.WonderDrug.com gehört. Immer wieder müssen solche Kampagnen von den Behörden gestoppt werden. So wurde im Juni Aspirin-Werbung von der brasilianischen Gesundheitsbehörde ANVISA verboten: die vom Bayer-Konzern initiierte Kampagne Um mundo com menos dor („Eine Welt mit weniger Schmerz“) verleite zu einem unsachgemäßen Umgang mit dem Medikament und verharmlose die Risiken. Im vergangenen Herbst wurde Bayer von der US-Gesundheitsbehörde FDA wegen Werbung für zwei Aspirin-Kombinationspräparaten bestraft. Beide Mittel wurden für Anwendungen beworben, für die keine Zulassung existiert. Und in Deutschland warb Bayer vor einigen Jahren nicht nur für die Behandlung von Erkältungen mit Aspirin, sondern fälschlicherweise auch für deren Prophylaxe – so auf Plakatwänden und kostenlos verteilten Postkarten, auf denen sich ein junges Paar nackt im Schnee wälzt.
Es gibt keine „WonderDrugs“! Bayer gefährdet Patienten durch solche unlauteren Werbe-Aussagen. Wir können den Versuch des Konzerns, Aspirin als Wunderpille zu vermarkten, nur verurteilen.
Und wie sieht es mit der Ankündigung für den Aspirin Sozialpreis aus? Im Konzeptpapier von Pleon heißt es blumig: „Aspirin steht als traditionsreiches Medikament wie kaum eine andere Marke für das Thema Wirksamkeit einerseits und den Ausdruck verlässlicher, mitfühlender Fürsorge andererseits“, und weiter: „Um die gesellschaftliche Relevanz des Preises zu dokumentieren und Aufmerksamkeit sicherzustellen, wird ein hochrangiger Vertreter der Politik als Schirmherr des Aspirin-Sozialpreises angeworben“. Hinweise auf Nebenwirkungen von Aspirin fehlen, wie auch auf der zugehörigen website.
Natürlich ist die Kampagne für Aspirin nur ein Beispiel von vielen unlauteren Marketing-Anstrengungen des Bayer-Konzerns. Wir verweisen aktuell auf die erhöhten Nebenwirkungen des meistverkauften hormonalen Kontrazeptivums, Yasmin. Obwohl Studien belegen, dass das Thrombose-Risiko von Yasmin gegenüber älteren Präparaten fast verdoppelt ist, hält das Unternehmen an dem auf junge Frauen ausgerichteten Marketing fest und verweigert Angaben zur Häufigkeit von schweren Nebenwirkungen und Todesfällen – angeblich um „die Kundinnen nicht zu verunsichern“. Ausführliche Informationen zu Dutzenden weiterer Beispiele finden Sie unter www.CBGnetwork.org.
Das Unternehmen Bayer ging Dutzende von Kooperationen mit Sozialverbänden, medizinischen Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen, etc ein. Die Firma nutzt diese Kooperationen in ihrer Außendarstellung weidlich – auf ihrer homepage, dem Geschäftsbericht, zahllosen Werbebroschüren und nicht zuletzt der heutigen Pressemitteilung. Reale Veränderungen der Geschäftspolitik von Bayer resultieren aus diesen Projekten jedoch nicht.
Patienten brauchen zuverlässige und unabhängige Gesundheitsinformationen, die alle Behandlungsoptionen – auch die der Nicht-Behandlung – einschließen. Die Pharmaindustrie kann aufgrund ihrer kommerziellen Interessen keine unabhängigen Informationen liefern. Die von Pleon für Bayer organisierten Kampagnen sind nicht dazu angetan, die Bevölkerung zu informieren, sondern sollen ein positives Umfeld für die Produkte schaffen und Probleme in anderen Bereichen überdecken.
Kurz nach Beginn Ihrer Amtszeit als Bundesgesundheitsministerin wurden wir von Ihrem damaligen Staatssekretär zu einem Gespräch nach Bonn eingeladen. Darin haben wir uns auch über unlautere Marketingpraktiken der Pharma-Industrie unterhalten. Wir können nicht nachvollziehen, dass Sie heute an eben solchen Praktiken mitwirken.
In Erwartung Ihrer Stellungnahme verbleiben wir mit freundlichen Grüßen
Philipp Mimkes
Hubert Ostendorf