Berner Zeitung, 13. Juni 2009
Sieben Tote nach Einnahme der Pille Yasmin
Mehrere deutsche Frauen, die das Verhütungsmittel Yasmin geschluckt hatten, sind gestorben. In der Schweiz werden jetzt alle zugelassenen Antibabypillen überprüft.
Seit achteinhalb Jahren ist Yasmin in Deutschland zugelassen. Wie in der Schweiz, wo über 100‚000 meist junge Frauen das Verhütungsmittel täglich einnehmen, ist die Pille der Firma Bayer Schering auch in der Bundesrepublik ein Renner. Was der Öffentlichkeit bislang verschwiegen wurde: Seit der Zulassung Ende 2000 forderte das Präparat in Deutschland vermutlich sieben Opfer.
Sechs Frauen und ein Embryo starben
Durch TA-Recherchen werden diese Fälle nun publik. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erklärt, dass Meldungen eingangen seien zu „sieben Todesfällen im Zusammenhang mit der Anwendung des Arzneimittels Yasmin oder Wirkstoffkombination von Yasmin“. Weiter schreibt das Amt mit Sitz in Bonn: „Einer dieser Fälle bezieht sich auf den Tod eines Embryos in der sechsten Schwangerschaftswoche bei einer Frau, die unter Yasmin schwanger wurde.“
Von den sieben Todesfällen erfuhr die Behörde durch sogenannte Spontanmeldungen über „unerwünschte Arzneimittelwirkungen“ durch Pharmafirmen, Ärzte und Patienten sowie aus der Fachliteratur. Die Zulassungsstelle für Medikamente betont, dass es sich dabei um Verdachtsfälle handelt. „Ein Kausalzusammenhang“ sei „im Einzelfall nicht sicher belegt“. Bayer Schering sind die sieben Todesfälle ebenfalls bekannt. Aktiv darüber informiert hat der Pharmagrossbetrieb aber nicht. Vielmehr verweigerte die Pressestelle Antworten auf entsprechende Fragen und bestätigte die Angaben erst, als diese dem TA schriftlich vorlagen.
Hormonelle Verhütungsmittel erhöhen generell die Gefahr, dass Blutgefässe verstopfen. In seltenen Fällen führen diese Venenthrombosen zu lebensgefährlichen Lungenembolien und zu schweren Schädigungen. Wie jedes so wirksame Medikament birgt auch Yasmin ein winziges tödliches Restrisiko.
Bayer behält Todeszahlen für sich
Deshalb muss sich aber keine Frau ernsthaft Sorgen um ihre Gesundheit machen, sofern sie sich bei der Verschreibung des Medikaments von Fachleuten hat beraten lassen und über keine Risikofaktoren wie erhöhtes Alter, Übergewicht oder eine erbliche Vorbelastung verfügt. Nicht in Erfahrung bringen lässt sich bei Bayer, wie viele Todesfälle weltweit mutmasslich im Zusammenhang mit Yasmin stehen. Sprecherin Astrid Kranz sagt, solche Angaben würden die Kundinnen nur verunsichern. Sie verweist darauf, dass breit angelegte Studien gezeigt hätten, dass Yasmin nicht riskanter sei als andere Pillen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kommt – gestützt auf dieselben Untersuchungen – zu gleichen Erkenntnissen.
Fünf Todesfälle in der Schweiz
In der Schweiz sorgte jüngst das tragische Schicksal mehrerer junger Frauen für Schlagzeilen, die nach der Einnahme von Yasmin schwere gesundheitliche Schäden erlitten. Aufsehen erregte die Geschichte einer zuvor kerngesunden 16-jährigen Schaffhauserin, die seit der Einnahme des hierzulande meistverkauften Verhütungsmittels schwer behindert ist, nicht mehr sprechen kann und künstlich ernährt werden muss.
Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic will nun – wie es mitteilt – medizinische Experten die aktuellsten Daten und Studien sowie wichtige frühere Untersuchungsergebnisse zu Risiken und Nebenwirkungen verschiedener Antibabypillen analysieren lassen. Im Herbst will Swissmedic über Untersuchungssresultate informieren. In der Schweiz starben seit 1990 mindestens fünf Frauen, nachdem sie mit fünf gängigen Präparaten hormonell verhütet hatten. In keinem der Todesfälle spielte Yasmin eine Rolle. Von Thomas Knellwolf.
Berner Zeitung, 28. Mai 2009
Schwerstbehindert – durch die Antibabypille
Nach Einnahme der verbreitetsten Antibabypille der Schweiz erlitt ein Teenager eine schwere Lungenembolie. Seither ist sie gelähmt.
Celine war 16 Jahre alt, Nichtraucherin, kerngesund und lebenslustig, als sie zum ersten Mal das Verhütungsmittel Yasmin einnahm. Vier Wochen später wurden Blutgefässe ihrer Lunge verstopft. Das Herz hörte auf zu schlagen, das Hirn wurde schwer geschädigt. Drei Monate lang hielten die Ärzte die junge Frau im Frühling 2008 künstlich im Koma. Seither ist nichts mehr so wie vorher. Celine kann nicht mehr sprechen, sie wird künstlich ernährt, sie scheint aber geistig alles mitzubekommen.
Donnerstag machte „10 vor 10“ die tragische Geschichte der bald 18-jährigen Schwerstbehinderten publik. Für involvierte Ärzte, Angehörige und für den Anwalt der Familie, die in der Fernsehsendung zu Wort kamen, besteht ein Zusammenhang zwischen der Einnahme des Verhütungsmittels und der bleibenden Schädigung. Die Herstellerfirma Bayer hingegen hält dies nicht für erwiesen. Gegenüber dem Rechtsvertreter der Familie machte sie schriftlich geltend: „Ob die Lungenembolie auf einer Einnahme unseres Präparats Yasmin beruht, ist nicht belegt.“ Trotzdem übernahm das Unternehmen – freiwillig und ohne Rechtspflicht – Celines Pflegekosten von rund 200‘000 Franken.
Schwere Folgen nicht selten
Unbestritten ist, dass viele neuere Antibabypillen ein markant höheres Thromboserisiko mit sich bringen. Dies bestätigt Swissmedic-Sprecher Joachim Gross. Über die vergangenen fünf Jahre seien beim Schweizerischen Heilmittelinstitut rund 50 Meldungen über Nebenwirkungen von Antibabypillen eingegangen – bei einer Dunkelziffer von 90 Prozent. Rund die Hälfte der Meldungen hätten Yasmin betroffen. Das ist viel, auch wenn das Medikament mit 20 Prozent Marktanteil das meistverkaufte chemische Verhütungsmittel der Schweiz ist.
Swissmedic-Sprecher Gross weist darauf hin, dass bei neuen Medikamenten wie Yasmin Nebenwirkungen häufiger gemeldet werden als bei älteren. Bayer betont, Studien „von unabhängigen Forschungsinstituten“ hätten ergeben, dass ihr Kassenschlager nicht riskanter sei als vergleichbare Produkte. Yasmin galt bei seiner Einführung als „Wunderpille der dritten Generation“, versprach sie doch gleichen Schutz wie ältere Mittel, aber ohne dick zu machen wie andere Präparate. Der grossen Hoffnung folgte bald Ernüchterung: 40 Frauen in Europa erlitten in den Monaten nach der Einführung des Medikaments Venenthrombosen. Eine 17-jährige Niederländerin und eine Dänin starben daran. Die Herstellerfirma sprach stets davon, dass die Anzahl Fälle lebensgefährlicher Gefässverstopfungen angesichts Hunderttausender Konsumentinnen gering sei. Für Celine, die nach wie vor in einer Rehabilitationsklinik lebt, kein Trost. Thomas Knellwolf