Ein Artikel der F.A.Z. vom 10. September 2008 beschäftigt sich mit den Risiken von Bisphenol A. Größter europäischer Hersteller ist die Bayer AG:
Ein Weichmacher sorgt für verhärtete Fronten
Das in vielen Kunststoffen enthaltene Bisphenol A kommt nicht aus den Schlagzeilen. Über die gesundheitlichen Risiken dieser im Tierversuch hormonartig wirkenden Substanz ist nun ein Streit unter Wissenschaftlern entbrannt.
Setzt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) leichtfertig die Gesundheit von Kindern aufs Spiel? Das befürchtet zumindest Gilbert Schönfelder, Toxikologe an der Universität Würzburg. Gemeinsam mit Andreas Gies vom Umweltbundesamt und Ibrahim Chahoud von der Charité-Universitätmedizin Berlin hat Schönfelder einen Brief nach Parma geschickt, wo die Direktorin der Behörde residiert. Darin fordern die drei Wissenschaftler die zuständige Kommission auf, eine gerade erst veröffentlichte Einschätzung zur gesundheitsschädigenden Wirkung von Bisphenol A zu überprüfen. Nach Ansicht von Schönfelder und seinen Kollegen sind wichtige Studien am Menschen nicht berücksichtigt worden, die Entscheidung des Gremiums stehe im Widerspruch zu bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Der Gegenstand des Konflikts, der schon lange schwelt, ist die Alltagschemikalie Bisphenol A. Sie dient zur Herstellung von Polycarbonat und Epoxidharz-Lacken. Bisphenol A ist deshalb in manchen Trinkflaschen aus Kunststoff – darunter auch Babyflaschen – enthalten und steckt in der Innenbeschichtung von Konservendosen. Auf diese Weise kann die Substanz in geringen Mengen in die Nahrung gelangen. Tierversuche haben gezeigt, dass der Plastikgrundstoff wie ein Hormon wirkt. Bei neugeborenen Tieren kann es zu Fehlbildungen und Veränderungen im Erbgut kommen. Daher steht die Chemikalie unter verstärkter Beobachtung.
Die Europäische Behörde bekräftigt nun in ihrem neuen Gutachten die Einschätzung, dass „die Exposition menschlicher Föten gegenüber Bisphenol A zu vernachlässigen sei, da dieses im Körper der Mutter rasch abgebaut und ausgeschieden wird“. Neue Daten seien berücksichtigt worden. Schönfelder hält dagegen an seiner Meinung fest, aufgenommenes Bisphenol A sei nicht so harmlos. Schon vor sieben Jahren hat er die Substanz im Blut von Schwangeren und Föten nachgewiesen. „Die Grundannahme der Behörde ist einfach falsch“, sagt Schönfelder, „die Substanz wird von der Schwangeren ans Kind weitergegeben.“ Mit dieser Ansicht ist er nicht alleine. Zahlreiche Kollegen etwa in Japan und den Vereinigten Staaten haben inzwischen die Chemikalie im Blut gefunden. Das europäische Gremium würde diese Daten aber ignorieren, klagt Schönfelder.
Nun fällt den drei Kritikern jedoch die eigene Zunft in den Rücken. In einer rasch entworfenen Stellungnahme attestiert die Beratungskommission der Gesellschaft für Toxikologie, dass die Europäische Behörde alles korrekt beurteilt habe. „Mit gesundheitlichen Schäden ist nicht zu rechnen“, heißt es in dem Schreiben aus der vergangenen Woche. Und dann geht die Kommission zum Angriff über. Das nachgewiesene Bisphenol A könnte auch aus Plastikmaterial im Labor stammen, das bei der Probenaufarbeitung benutzt wurde. „Eine Diffamierung unserer Daten“, empört sich Schönfelder. Selbstverständlich habe man nach wissenschaftlichen Standards und auch mit Blindproben gearbeitet. Außerdem zeigten alle bisher veröffentlichten Studien, dass eine Belastung mit der Chemikalie vorliege. Die Vorgehensweise der Kommission befremde ihn, sagt Schönfelder, er könne nur vermuten, dass hier ein Interessenkonflikt vorliege. Offenbar stehen tatsächlich einzelne Mitglieder der Beratungskommission auf der Gehaltsliste von Bisphenol- A-Produzenten.
Die aktuelle Risikobewertung von Bisphenol A beruht auf Tierexperimenten. Der Stoffwechsel von Ratten wurde untersucht und der Einfluss der Substanz auf Fortpflanzung und endokrines System ermittelt. Es kam zu Fehlbildungen und neurologischen Störungen. Allerdings bauen die Labortiere den Plastikgrundstoff langsamer ab als Menschen, die Substanz zirkuliert länger im Körper und wirkt entsprechend stärker. Auf Grund dieser Studien wurde der Wert für die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge von der EFSA im Jahr 2002 zunächst auf zehn Mikrogramm pro Kilogramm Körpermasse festgelegt. Zu Beginn des vergangenen Jahres wurde die Begrenzung dann gelockert, der Wert auf 50 Mikrogramm angehoben, „aufgrund der inzwischen vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse“, so die europäische Lebensmittel-Behörde.
Für normale Erwachsene sei dieser Grenzwert wohl akzeptabel, sagt Schönfelder. Schwangere, Säuglinge und Heranwachsende müssten jedoch besser geschützt werden. Ihr Stoffwechsel funktioniere anders, sie würden die Substanz wahrscheinlich langsamer abbauen und ausscheiden. Er verweist auf Kanada, wo die Gesundheitsbehörde den Plastikgrundstoff vor kurzem als „gefährliche Substanz“ eingestuft hat und wo Babyflaschen aus Polycarbonat verboten werden sollen. Momentan sieht es nicht so aus, als würde sich die Europäische Behörde dieser Haltung anschließen. UTA BILOW