„Süllhöfer vs. BAYER“ – die Fortsetzung folgt
Ein langer Prozess
Es ist das längste Verfahren in der Justiz-Geschichte der Bundesrepublik. Seit nunmehr vierzig Jahren klagt Heinz Süllhöfer gegen BAYER. Der Düsseldorfer wirft dem Leverkusener Multi vor, sich widerrechtlich seine Erfindung einer Kunststoffplatten-Maschine angeeignet zu haben. Immer wieder wollten die RichterInnen die Aktendeckel schließen; immer wieder gelang Süllhöfer eine Wiederaufnahme. So müssen sich die Gerichte auch noch in diesem Jahr mit dem Fall befassen.
Von Jan Pehrke
„Ich schlafe seit 40 Jahren mit der Geschichte ein und wache am nächsten Morgen wieder damit auf“, sagte der Düsseldorfer Erfinder Heinz Süllhöfer in einem dpa-Interview. Diese unendliche Geschichte begann Mitte der sechziger Jahre. Süllhöfer hatte eine Maschine zur Massenherstellung von Isolierplatten aus Polyurethan-Kunststoff konstruiert und bot sie BAYER zum Kauf an. Der Leverkusener Multi prüfte die Offerte lange – und lehnte dann überraschend ab. Später erfuhr der Erfinder, warum. Der Konzern hatte die Apparatur kurzerhand nachgebaut, in Betrieb genommen und in die eigene Produktpalette integriert. Süllhöfer zog umgehend vor Gericht und erwirkte einen Vergleich: Für die Überlassung der Nutzungsrechte hatte BAYER ihm künftig für Verkäufe ins Ausland Lizenzgebühren zu zahlen. Geld erhielt der 81-Jährige allerdings nie. „Zahlen? Wofür? Ach, sie wollen Lizenzgelder? Tja, dann weisen Sie uns erst einmal nach, welcher unserer ausländischen Kunden nach Ihrem Verfahren arbeitet! Und dann sehen wir weiter!“1, beschied ihm damals ein BAYER-Justiziar.
Der Düsseldorfer Erfinder reichte 1973 deshalb erneut eine Klage ein. Er wollte den Pharma-Riesen per Gerichtsbeschluss zwingen, das Ausmaß der Geschäfte mit seinen ausländischen Kunden offen zu legen, um daraus seine Ansprüche abzuleiten. Da Heinz Süllhöfer das mit einer Entschädigungsforderung in dreistelliger Millionen-Höhe verband, unterlag er. 1991 versuchte der Unternehmer es erneut, scheiterte jedoch abermals. Noch 16 Jahre später weigerte sich das Landgericht Düsseldorf, die Akten von 1973 wieder zu öffnen. Süllhöfer ging in Revision und errang einen Erfolg. Im November 2007 ordnete das Oberlandesgericht an, die Berechtigung seiner alten Auskunftsklage, die er in seinem neuerlichen Antrag nicht mehr direkt mit Schadensersatz-Forderungen verknüpfte, zu prüfen.
Hatte das Landgericht Süllhöfers Begehr noch mit dem Hinweis auf Gerichtsschulden und die 1991 doch stattgefunden habende Verhandlung des Falles abgewiesen, so folgten die OLG-RichterInnen der Argumentation des Rechtsanwalts Siegfried Bratke, wonach sein Mandat 1973 ordnungsgemäß einen Gerichtskosten-Vorschuss gezahlt habe und 1991 sein Anliegen nicht einmal habe vortragen können, weil weder der komplette Aktensatz noch überhaupt die Klageschrift vorlag.
BAYER versuchte jetzt auf Zeit zu spielen, um juristischen Schaden vom Unternehmen abzuwenden. „Die Ansprüche sind verjährt, aber auch unbegründet“, argumentierte der Konzernanwalt in verräterischer Logik. Wenn die Ansprüche verjährt sind, dann waren sie nämlich einmal begründet, wenn sie aber unbegründet sind, dann waren sie es von Anfang an. Was der Unternehmensjurist eher unfreiwillig andeutet, spricht der Konzern intern ganz offen aus. „Gegen sein Patent können wir nichts unternehmen, denn wir stehen praktisch da mit patentrechtlich leeren Händen“, hieß es in einem alten Strategiepapier des Chemie-Multis. Deshalb schwante den Patenträubern auch, dass „es bei der derzeitigen Rechtssprechung … durchaus möglich schien, dass Süllhöfer obsiegt, was genau das Gegenteil von dem bewirkt hätte, was wir beabsichtigen, nämlich Süllhöfer zum Schweigen zu bringen“.
Auch auf die Zeit ist vor Gericht allerdings nicht unbedingt Verlass, denn auf die Verjährungsfrist von 30 Jahren kann der Beschuldigte nur hoffen, wenn er sich seit der „Tatzeit“ an die juristischen Spielregeln gehalten und in der Sache nichts Inkriminierendes mehr unternommen hat. Und genau das hat der Global Player nicht. Er hat z. B. mit Manipulationen von Beweismaterial versucht, den Prozess-Ausgang zu seinen Gunsten zu beeinflussen – Beweise für ein solches „Täuschungshandeln“, wie der juristische Fachausdruck heißt, hat Süllhöfer dem Gericht vorgelegt. Diese haben das Düsseldorfer Landgericht offensichtlich nicht unbeeindruckt gelassen. Anfang März lehnten die RichterInnen es in einem Beschluss ab, das Verfahren wg. Verjährung einzustellen. Sie verlangten von den BAYER-Anwälten stattdessen, stichhaltigere Argumente für ihre Position vorzulegen. An Heinz Süllhöfer erging die Aufforderung, seine Schadensersatzansprüche „entscheidungsfest“ zu belegen; fünf offene Fragen bestanden für die JuristInnen noch. Eine Antwort machten sie dem Erfinder jedoch schwer. Sie setzten nämlich den Streitwert auf 500 Millionen Euro fest. Da sich die Kosten der rechtlichen Auseinandersetzung an dieser Summe bemessen, müsste der Kläger nun erst einmal einen Gerichtskostenvorschuss von drei Millionen Euro leisten, um im Verfahren „drin“ zu bleiben. Das kann Süllhöfer nicht – und die Richterin Ulrike Voß wollte es ihm nicht ermöglichen. Sie lehnte den Antrag auf Prozesskostenbeihilfe ab. „Die Rechtsverfolgung hat keine Aussicht auf Erfolg“, begründete Landgerichtssprecherin Christina Schubert. Siegfried Bratke will diesen Beschluss jedoch anfechten. Das Gericht kann nicht gleichzeitig weiteren Klärungsbedarf anmelden und die Bereitstellung der Mittel dafür verwehren. Eine Entscheidung über den Widerspruch ergeht erst nach SWB-Redaktionsschluss. Aber wie sie auch ausfallen mag, das letzte Wort zum Fall „Süllhöfer vs. BAYER“ dürfte die Justiz damit noch nicht gesprochen haben.
1 zit. nach Süllhöfers Angaben in Monique Klinkenberg, Das Patent – Krankheiten, Konzerne und Patentklau, S. 191 (Das Buch ist über den J5A-Versand erhältlich)