26. April 08, Leverkusener Anzeiger
Kritische Fragen an den Vorstand
Fast die Hälfte seiner Redezeit verwandte der Vorstandschef auf das Klimathema.
Es dauerte etwas, bis sich die Halle 7 der Kölner Messe gefüllt hatte. Bayer hatte für gut 5000 Besucher Stühle aufgestellt, aber als um 10 Uhr Aufsichtsratschef Manfred Schneider die Anteilseigner zur Hauptversammlung begrüßte, hallte es noch ziemlich. Später pendelte sich die Zahl der Aktionäre bei 4000 ein, und sie wurden in jeder Hinsicht gut versorgt: Das freitägliche Themenspektrum reichte von einem Abwahlantrag für den vormaligen Siemens-Mann Klaus Kleinfeld, der im Bayer-Aufsichtsrat sitzt, über die Bezahlung und sonstige Versorgung der Betriebsräte, die Dividendenpolitik und die Forschungspipeline, den Patentstreit um das Verhütungsmittel Yasmin und seine Ableger, die Gratis-Abordnung von Mitarbeitern in Bundesministerien, Preiskartelle, die Frage, ob Bayer mitverantwortlich ist für die Lebensmittelknappheit in armen Ländern, die Zukunft der Kulturarbeit und der Sportförderung, das geplante Krefelder Steinkohlekraftwerk bis zur Kohlenmonoxid-Leitung von Uerdingen nach Dormagen.
Vorstandschef Werner Wenning hatte noch viel zu tun, nachdem er eine Dreiviertelstunde die Dinge skizziert hatte, die aus seiner Sicht für Bayer besonders wichtig sind. Als da wäre das sehr gute erste Quartal – aber auch der Klimawandel: Schon im vierten Satz kam Wenning auf das Thema zu sprechen, und immer wieder kam er darauf zurück. Er versprach, Bayer werde sein milliardenschweres „Klimaprogramm mit Nachdruck umsetzen und in Zukunft weiter ausbauen“.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis die unterschiedlichen Vorstellungen von Klima- und Umweltschutz zutage traten. Ulrich Grubert vom niederrheinischen Umweltschutzverein verurteilte die „Steinzeit-Technologie“, mit der Bayer seinen Strombedarf im Uerdinger Werk decken will: Das Steinkohlekraftwerk stoße jedes Jahr vier Millionen Tonnen Kohlendioxid aus und sei im Vergleich zu einem Gaskraftwerk eine Dreckschleuder, klagte er. Ein weiteres Reizthema, das schon vor Halle 7 eine Rolle gespielt hatte, kam drinnen bereits nach einer guten halben Stunde zur Sprache. Und es waren nicht die organisierten Kritiker von der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“, die sich ein so frühes Rederecht gesichert hatten: Marlis Elsen und Dieter Donner – beide sind zu Kämpfern gegen die Kohlenmonoxid-Leitung zwischen Uerdingen und Dormagen geworden – appellierten an Wenning, den Plan fallen zu lassen. Angesichts des absehbar langen Rechtsstreits um die Pipeline fragte Donner den Vorstandschef: „Warum setzen Sie sich und Ihr Unternehmen einer so langen Blockade aus?“ Der antwortete: „Es muss möglich sein, im Industrieland Nordrhein-Westfalen eine solche Pipeline zu bauen und zu betreiben.“ Wenning räumte aber ein: „Wir wissen, dass sich solche Projekte nicht ohne gesellschaftliche Akzeptanz verwirklichen lassen.“ Es ist fraglich, ob die sich bis zur nächsten Hauptversammlung eingestellt hat. Oder zur übernächsten. VON THOMAS KÄDING
„Giftgas-Pipeline“ von Bayer unter Beschuss
VON WILLI FELDGEN, 25.04.08, Kölner Stadt-Anzeiger
Ein regionales Thema stand beim Aktionärstreffen des Welt-Konzerns Bayer am Freitag im Mittelpunkt der Aussprache: der von Bayer vorangetriebene Bau einer 67 Kilometer langen Kohlenmonoxid-Pipeline von Dormagen nach Krefeld-Uerdingen. Gegen diese Rohrleitung protestierten Demonstranten schon vor der Messehalle in Köln. Vertreter der Bürgerinitiative „Bau-Stopp der Bayer-Pipeline“ machten auch in der Hauptversammlung selbst auf Gefahren der Pipeline aufmerksam – deren Inbetriebnahme nach einer Gerichtsentscheidung aus Münster vorläufig auch untersagt ist. Bayer will die Leitung, weil die Produktionskapazitäten für Kohlenmonoxid in Krefeld nicht mehr ausreichen und die entsprechende Anlage dort geschlossen werden soll. Die Pipeline würde das Leben vieler Menschen „in Gefahr bringen, um den Konzerngewinn zu maximieren“, sagte Marlis Elsen von der Bürgerinitiative, und Dieter Donner meinte, die Bayer-Pläne für eine „Giftgas-Pipeline“ mache „viele Anwohner betroffen“.
Bayer-Vorstandschef Werner Wenning ging ausführlich auf das Thema ein: Er wisse, dass sich „ohne gesellschaftliche Akzeptanz derart wichtige Dinge nicht realisieren lassen“. Die Pipeline stoße bei den Nachbarn „auf Unverständnis und Sorge“. Bayer sei aber von ihrer Sicherheit und Notwendigkeit überzeugt. Ohne sie würden sich zudem die Chancen Krefelds als Industriestandort „eindeutig verschlechtern“. Bayer habe jahrzehntelange Erfahrung im sicheren Umgang mit Kohlenmonoxid. Die Sicherheitsvorkehrungen im Fall der Rohrleitung gingen „über die gesetzlichen Vorgaben“ hinaus. Die Kunststoff-Industrie in NRW – sie ist auf das Kohlenmonoxid angewiesen – setze 22 Milliarden Euro im Jahr um. Von ihr lebten 76 000 Beschäftigte und ihre Familien. Die neue Pipeline diene daher sehr wohl dem „Allgemeinwohl“. Sollte der Gerichtsbeschluss aus Münster Bestand haben, sei das „ein sehr negatives Signal für den Wirtschaftsstandort“.
Einzelne Aktionäre und Vertreter von Aktionärsvereinigungen waren mit dem Dividendenvorschlag – Erhöhung von 1,00 auf 1,35 Euro pro Aktie – unzufrieden und forderten angesichts des hohen Jahresüberschusses mindestens 2,00 Euro pro Aktie. Wenning wies das zurück. Der stark gestiegene Jahresüberschuss von 4,7 (Vorjahr 1,7) Milliarden Euro sei überwiegend auf Verkäufe von Unternehmensteilen zurückzuführen. Ein erheblicher Teil davon sei nicht zur Ausschüttung an die Aktionäre, sondern zum Abbau der Verschuldung nach dem Kauf der 17 Milliarden Euro teuren Schering AG verwendet worden.
Wenning nannte eine neue Umsatzzielgröße für das Thrombose-Mittel Xarelto: Allein diesem Mittel traut Bayer künftig einen Spitzenumsatz von zwei Milliarden Euro im Jahr zu. Damit würde es das erfolgreichste Medikament in der Bayer-Geschichte. 2008 will Bayer beim Umsatz währungsbereinigt um fünf Prozent zulegen und das operative Ergebnis (vor Sondereinflüssen, Steuern und Abschreibungen) weiter steigern.
Journalisten sind bei Bayer inzwischen offenbar ein Sicherheitsrisiko: Sie durften das Aktionärstreffen außerhalb des abgeriegelten Pressezentrums nur unter „Begleitschutz“ einer Bayer-Mitarbeiterin live verfolgen.