Die Dithmarscher Landeszeitung berichtet in der Ausgabe vom 17. März 2008 über den Protest gegen die im Bayer-Werk Brunsbüttel geplanten Kohle- und Müll-Kraftwerke
„Wie viel Dreck müssen wir noch ertragen?“
300 Bürger demonstrieren gegen Kohle- und Müllheizkraftwerke sowie Giftmüllverbrennung
Brunsbüttel – „Lauter, auch der Bürgermeister soll uns hören.“ Erst als Protest-Barde Martin Storm die 300 auf dem Gustav-Meyer-Platz derart anfeuert, stimmen ein paar von ihnen mit in seinen Refrain ein: „Kein Giftmüll hier – noch anderswo – denn hier stehn wir – die das nicht wollen.“
Es war ein ruhiger Protestzug, der sich am Sonnabend zur Mittagszeit durch die Schleusenstadt schlängelte. Dennoch war die Botschaft der Demonstrations-Teilnehmer, die teilweise auch von der anderen Seite der Elbe kamen, deutlich – und ihre Frage unmissverständlich: „Wie viel Dreck müssen wir noch ertragen?“
Bürgermeister Wilfried Hansen war erwartungsgemäß nicht dem Aufruf der Wählerinitiative für reelle Politik (WIR) gefolgt, die gemeinsam mit der Bürgerinitiative für Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe, dem Verein für Umweltschutz in Brunsbüttel und in der Wilstermarsch, dem BUND Schleswig-Holstein, dem NABU Steinburg sowie den Grünen zur großen Demonstration gegen Kohlekraftwerke, Müllheizkraftwerk und Giftmüllverbrennung aufgerufen hatte. Auch WIR-Vorsitzender Dr. Kai Schwonberg hatte nicht mit dem Erscheinen des Verwaltungschefs gerechnet. „Schließlich erzählt Herr Hansen potenziellen Investoren immer, sie könnten gerne hier her kommen, denn hier gebe es nur ein paar Leute, die gegen solche Kraftwerke sind“, ruft Schwonberg den 300 Demonstrierenden zu, die dies mit Pfiffen quittieren.
Dass dem eben nicht so ist und Brunsbüttel sehr wohl Front macht gegen Verbrennung von australischem Giftmüll und die diversen Ansiedlungsvorhaben, dazu sollte die Demo ein Signal nach außen senden. „Nur wenn wir weiterhin Widerstand leisten, können wir eventuell noch etwas verhindern.“ Wachsamkeit sei geboten, das Unternehmen Electrabel stehe schließlich mit dem Kraftwerksbau in den Startlöchern.
Aus Kiel kam der Grünen-Fraktionsvorsitzende Karl-Martin Hentschel in die Schleusenstadt, um gleich mit einer Reihe von „Lügen“ aufzuräumen, wie er erklärte – zum Beispiel mit der, dass regenerative Energien den Verbraucher weit teurer zu stehen kommen als Energien aus fossilen Brennstoffen. Genau das Gegenteil sei der Fall: Kohle, Öl, Gas, Atomstrom – alles werde von Jahr zu Jahr teurer. Die Kraftwerke, die jetzt gebaut werden, stünden die nächsten 50 Jahre – und lieferten entsprechend stetig teurer werdende Energie. Regenerative Energien derweil würden immer günstiger werden. Auch das Arbeitsplatz-Argument will Hentschel nicht gelten lassen. Schon jetzt seien in der Windenergie-Industrie im Land mehr Arbeitnehmer in Lohn und Brot als bei Kohle und Kernkraft.
Hentschel kündigte an, im April im Landtag einen Antrag zu stellen, aus dem Optionsvertrag für Kohlekraftwerke auszusteigen. Unterstützung erhofft er sich dabei nicht nur vom SSW, sondern auch von der SPD, bei der er entsprechende Signale bereits vernommen habe. Die Protestler ermunterte Hentschel, nicht nachzulassen. „Wir sind heute nur ein paar hundert, aber wir werden mehr.“ Immerhin sei man heute schon so weit, dass die Klimafrage weltweit diskutiert wird. „Ich glaube, wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo die Debatte kippt.“ Von Michael Behrendt
14. März 2008, Wilstersche Zeitung
„Mehrheit ist gegen Kraftwerke“
Wilster – Sie kämpfen gegen die geplanten Kohle- und Industrieheizkraftwerke im Wirtschaftsraum Brunsbüttel und sind sich in einem grundsätzlichen Aspekt einig: „Die Mehrheit der Bevölkerung in der Wilstermarsch will diese Kraftwerke nicht!“ Das unterstrichen Dr. Karsten Hinrichsen aus Brokdorf, Stephan Klose aus Wewelsfleth und Werner Zeiss aus Heiligenstedten in einem Gespräch mit unserer Redaktion. Die führenden Mitglieder der Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe rufen deshalb auch die Bevölkerung der Wilstermarsch auf, sich an einer Demonstration in Brunsbüttel zu beteiligen. Sie beginnt am morgigen Sonnabend um 12 Uhr auf dem Brunsbütteler Marktplatz.
„Mit jedem neuen Kohlekraftwerk verschlechtern wir unsere CO2-Bilanz“, warnt Stephan Klose. Der 56 Jahre alte Grafiker sieht es als problematisch an, hier eine Technik einzusetzen, für die man keine Garantie übernehmen könne. Dr. Hinrichsen dazu: „Das ist katastrophal!“ Nach Auffassung des 65 Jahre alten Meteorologen aus Brokdorf sei die Kohlendioxid-Abtrennung genauso problematisch wie ein Atom-Endlager. Die auf dem Meeresgrund abgelagerten CO2-Kavernen könnten zu lebensgefährlichen Gasblasen aufschwimmen. Wenn dann CO2 ausströme, gebe es für die Menschen kein Entrinnen. Hinrichsen: „Sie ersticken einfach.“
Kein Vertrauen haben Hinrichsen, Klose und Zeiss in die Politik. Die Zusage von Minister Austermann, sich für die besten Filter bei den Kohlekraftwerken einzusetzen, sei bisher nicht mehr als heiße Luft. Auch die Forderung von MdL Hans-Jörn Arp nach besten Filtern beim Heizkraftwerk habe nichts gebracht. Das Staatliche Umweltamt könne hier keine Auflagen festsetzen, hieß es. Und Arp soll hinzugefügt haben: „Da kann man eben nichts machen.“
Werner Zeiss kann nicht verstehen, dass Minister Austermann den Widerstand der Wilstermarsch-Bevölkerung in keiner Weise politisch wahrnehme. Der 57-Jährige, der in einer Naturheilpraxis in der Lebens- und Familienberatung tätig ist, bringt es auf den Punkt: „Wir werden zu einem Stromexporteur mit einem Profit, für den die Bürger die Last zu tragen haben.“
Im Zusammenhang mit den Kraftwerksplanungen gehen „Hinrichsen & Co.“ von einer erheblichen Verkehrs-Mehrbelastung aus. Sie werde sich zur Hälfte auf die alte B5 bis St. Margarethen und weiter über Brokdorf zur künftigen A20 und zur anderen Hälfte auf die neue B5 verteilen. Auch deren dreispuriger Ausbau werde zu Lasten der hier lebenden Menschen gehen, warnte Hinrichsen.
Als unverantwortlich bezeichnete er die Konzentration von Kraftwerken auf engem Raum. Die Abgasfahnen würden zusammentreffen, miteinander verwirbeln und teilweise in unmittelbarer Nähe niederschlagen. „Die Planung wird zum Todesstoß für die bäuerliche Struktur in der Wilstermarsch werden“, prophezeit Hinrichsen.