14. Januar 2008
POTENZ UND TESTOSTERON
Bayers merkwürdige Männer-Pillen
Bayer will eine Art Jungbrunnen für Männer ab 40 entdeckt haben: Eine Potenzpille und Testosteron sollen Blutgefäße reparieren, Bäuche schrumpfen und Muskeln wachsen lassen. Dass derlei Propaganda rechtlich und medizinisch zumindest fragwürdig ist, scheint den Pharmakonzern wenig zu stören.
Erektionsstörungen, so könnte man glauben, sind für jeden Mann ein mittleres Fiasko. Für den Urologen Aksam Yassin aber sind sie so etwas wie ein Geschenk des Himmels. „Die Erektile Dysfunktion“, sagte der aus Syrien stammende und in Norderstedt praktizierende Arzt kürzlich bei einem Bayer-Pressegespräch in Hamburg, „ist eine Tür zur Gesundheit des Mannes.“ Viele Männer ließen sich ja nur schlecht zum Arztbesuch oder zu gesundem Verhalten bewegen. Verschwinde aber eines Tages das Stehvermögen, sei das Selbstwertgefühl häufig so stark angekratzt, dass der Betroffene vielleicht doch medizinische Hilfe suche. Und genau da, betonte Yassin, „müssen wir die Männer catchen“.
Potenzprobleme seien schließlich oft die ersten Zeichen einer Vielzahl von Störungen, die mit Diabetes und Fettstoffwechsel-Defekten, Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen Hand in Hand gingen. Eine der Hauptursachen, so scheint es an diesem Abend, ist die mit den Jahren nachlassende Produktion an männlichen Hormonen. „Schätzungen zufolge weisen rund zwei Millionen Männer zwischen 40 und 70 erniedrigte Testosteronspiegel auf“, heißt es in dem Pressetext von Bayer.
Offen bleibt zwar, was „erniedrigt“ bedeuten soll. Zu niedrig? Niedriger als mit 20? Niedriger als George Clooney? Doch Yassin lässt keinen Zweifel daran, was ein Mangel bedeuten kann: Nicht nur Libido und Stehvermögen ließen nach, auch die Muskeln würden dünn und schlaff, das Risiko für Depressionen steige und die Müdigkeit nehme zu. „Außerdem schnarchen wir mehr und werden dick.“
Potenzpillen und Testosteron sollen es richten
Was läge da also näher, als das Problem mit einem passenden Medikament zu beheben? Immerhin hat Bayer seit 2003 nicht nur eine Potenzpille auf dem Markt. Seit der Übernahme des Berliner Pillenherstellers Schering verfügt der Leverkusener Konzern auch über zwei Testosteron-Produkte der Schering-Tochter Jenapharm. Mit einer breit angelegten PR-Kampagne versucht Bayer jetzt, sich als „kompetenter und sachkundiger Ansprechpartner für Männer“ zu positionieren.
Unter www.jetzt-lieben.de etwa propagiert der Leverkusener Konzern „sogenannte PDE5-Hemmer“, zu denen auch seine Potenzpille gehört. Öffentliche Werbung für rezeptpflichtige Medikamente wie die Potenzpille von Bayer ist hierzulande zwar gesetzlich verboten. Über Umwege versuchen Arzneimittelhersteller aber, ihre Werbebotschaften dennoch unters Volk zu bringen.
Erwin Filter von der Bayer-Unternehmenskommunikation weiß genau, worauf man dabei als Pharmafirma achten muss: Dadurch, dass auf www.jetzt-lieben.de lediglich eine Wirkstoffklasse, nicht aber der genaue Wirkstoff oder der Handelsname des Bayer-Präparats genannt werde, sei die Website „rechtlich nicht zu beanstanden“, meint er. Im Übrigen, fügt er mit Blick auf die Konkurrenz hinzu, „machen das alle“.
Zahlen „vermutlich aus GQ oder Men‚s Health“
In einer Pressemitteilung lässt Bayer auf der eigenen Homepage den „Fitness- und Lifestyle-Experten“ Michael Despeghel verkünden, dass sich Sexualität dann am intensivsten ausleben lässt, „wenn das Körpergefühl stimmt und die vitalen Körperfunktionen problemlos funktionieren“. Doch daran fehle es „bei acht von zehn Männern“. Woher die überraschenden Zahlen stammen, ist unklar. Auf Nachfrage bei Despeghel stellt sich heraus, dass er es selbst nicht recht weiß. „Vermutlich aus GQ oder Men‘s Health“, gesteht der „Gesundheitsexperte“, der weder Medizin noch Pharmazie studiert hat. Belege aus evidenzbasierten Studien, wie sie für medizinische Informationen Standard sind, hat er nicht.
Auch Aksam Yassin scheint es nicht zu stören, dass Testosteronprodukte und Potenzpillen weder als Schlankmacher noch zur Reparatur von Blutgefäßen zugelassen sind. Nur so lässt sich wohl erklären, dass der Mediziner, der im Übrigen seit Jahren mit einem Forscher von Schering und heute von Bayer kooperiert, unbeschwert die segensreichen Nebenwirkungen der Produkte aus dem Hause Bayer preist.
Die Testosteronspritze Nebido etwa, das will Yassin kürzlich in einer eigenen Studie herausgefunden haben, mache die Taille schlanker, verbessere die Blutfettwerte, senke den Blutdruck und verbessere die Regulation des Blutzuckerspiegels. Damit, verkündet der Bayer-Pressetext weiter, wurde „das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich gesenkt“. Ernstzunehmende Belege dafür kann das Unternehmen allerdings selbst auf hartnäckige Nachfrage nicht liefern. Auch bei den Wunderwirkungen der Bayer-Potenzpille auf die Blutgefäße stützt sich Yassin auf selbst produzierte Befunde.
Ergebnisse nicht bestätigt
Ob all diese Effekte tatsächlich eintreten, sei fraglich, sagt der Reproduktionsmediziner Eberhard Nieschlag von der Universität Münster. „Viele Forscher zweifeln noch daran. Als gesichert gelten solche Ergebnisse erst, wenn sie durch andere Teams bestätigt wurden – was bisher nicht der Fall war.“
Christiane Köber von der Wettbewerbszentrale in Bad Homburg sieht zudem rechtliche Probleme: „Wenn Anwendungsgebiete beworben werden, für die das jeweilige Medikament gar nicht zugelassen ist, dann ist das ein Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz“, so die Juristin. Auf die entscheidende Frage, wie man bei Bayer dazu stehe, wartet man vergeblich auf eine konkrete Antwort. Stattdessen schickt die Unternehmenskommunikation seitenweise Material, das irgendwie mit dem Thema zu tun hat – aber die Fragen nicht beantwortet. Auch Yassin hat sich auf Anfrage bisher nicht zur Sache geäußert.
Fest steht: Hormone wie Testosteron können massive Nebenwirkungen haben. Wie man aus Tierversuchen weiß, bringen sie mitunter schlummernde Tumoren zum Wachsen. Und davon hat fast jeder Mann über 55 allein in der Prostata mindestens einen. Sinn machten Rezepte für Testosteron deshalb nur, sagt Nieschlag, wenn ein echter Mangel bestehe – etwa nach einer Hodenentfernung oder aufgrund einer angeborenen Unterfunktion. Als allgemein anerkannter Grenzwert gilt eine Konzentration 12 Nanomol Testosteron pro Liter Blutserum – vorausgesetzt allerdings, es liegen auch relevante Beschwerden vor.
Ursache und Wirkung verwechselt
Die meisten Männer aber können ihre Leistung im Bett selbst beeinflussen. „In 60 bis 70 Prozent der Fälle kommen Erektionsstörungen vom Rauchen“, sagt Nieschlag. Sei die Lunge erst einmal kaputt, „dann hilft auch alles Testosteron dieser Welt nicht mehr“. Hauptrisikofaktor zwei ist Übergewicht. Das fördert nicht nur die Entstehung von Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden. Im Fettgewebe wird auch ein Großteil des Testosterons abgebaut und in sein weibliches Pendant Östrogen verwandelt. Vieles spricht deshalb dafür, dass Forscher schlichtweg Ursache und Wirkung verdrehen, indem sie Testosteronmangel als Wurzel vieler Übel brandmarken.
Wer jedenfalls vom Glimmstängel lässt und einigermaßen schlank bleibt, hat selbst im Alter noch gute Chancen auf einen prächtigen Hormonspiegel. „Rund 90 Prozent aller 60-Jährigen und mehr als zwei Drittel aller 80-Jährigen haben noch genug Testosteron im Blut“, sagt Nieschlag. Der Hormonspiegel sei bei einem 70-Jährigen mit etwa 15 Nanomol vielleicht niedriger als bei einem 20- oder 30-Jährigen, dessen Wert bei 30 Nanomol liegt. „Für eine Erektion reicht das aber völlig aus.“
Von Cornelia Stolze