DER SPIEGEL, 3 6 / 2 0 0 7, 4. September 2007
Zu Gast bei Feinden
Ortstermin: Auf einer internationalen Konferenz in Leverkusen kommen sich junge Umweltschützer und der Bayer-Konzern näher.
An dem Morgen, als Reinier Tinapay auf die andere Seite geht, stellen sich ihm drei junge Männer in den Weg. Sie wedeln mit Flugblättern, er soll lesen, was sie zu sagen haben. Sie wollen, dass er auf ihrer Seite bleibt.
Tinapay ist ein Fremder, er kennt Deutschland nicht, er ist 24 Jahre alt und wurde auf den Philippinen geboren. Ein langer Flug liegt hinter ihm, er transportierte ihn in ein Land, das ihn verwirrt.
Tinapay steht in der Nobelstraße in Leverkusen vor dem Erholungsheim des Bayer-Konzerns und überlegt. Er betrachtet die Männer mit den Flugblättern und die Männer auf der anderen Seite, sie tragen dunkle Anzüge und weiße Hemden, auf deren Kragen „Bay-Security“ steht.
Die Männer mit den Flugblättern rufen: „Stop greenwashing!“ Sie sagen, dass der Konzern sich reinwaschen wolle, und sie glauben, dass er Tinapay benutzt.
Tinapay ist nach Leverkusen gekommen, um zu einem Netzwerk von jungen Menschen zu gehören, die ihre Zukunft retten wollen, ihre Luft, ihr Wasser, ihre Erde. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) hat 150 junge Menschen von überall her nach Leverkusen eingeladen, um Ideen für eine nachhaltige Welt zu entwickeln. Die „Tunza International Youth Conference“ ist das Gipfeltreffen der jungen Umweltschützer, ein kleines Heiligendamm.
Es gibt keinen Metallzaun, keine Wasserwerfer und keine Tornados, die Demonstranten aus der Luft fotografieren, nur ein rotes Absperrband und die Männer von der „BaySecurity“.
Die Umweltschützer vor und hinter der Absperrung wollen eine bessere Welt, doch sie spaltet die Frage, ob ein Konzern, der die Welt mit Pestiziden und gentechnisch verändertem Saatgut überzieht, ihr Partner sein darf. Ob es klug ist, in Räumen zu tagen und in Betten zu schlafen, die Bayer bezahlt. Ob der Konzern sich grüner machen will, als er ist.
„Mit wem sollen wir sonst zusammenarbeiten?“, fragt Achim Steiner, der Unep-Direktor, und blickt in die Gesichter der Konferenzteilnehmer. „Das ist keine monogame Beziehung, wir haben viele andere Partner.“ Die jungen Umweltschützer widersprechen nicht. Sie glauben, dass Promiskuität im Umweltschutz nicht schaden kann. Viele von ihnen leben in Ländern, in denen Flüsse verseucht sind, Wälder gerodet, Tierarten ausgestorben, und sie wissen, dass sie Hilfe brauchen in ihrem Kampf. Sie sehen Deutschland als Vorbild, als ein Land, das angenehm kühl ist, industrialisiert und grün. Sie denken an Aspirin, wenn sie an Bayer denken. Sie sind zu jung, um zu wissen, dass ihr Gastgeber früher für ein Insektenspray mit dem Slogan „Der plötzliche Tod ist eine Spezialität aus Deutschland“ warb.
Tinapay merkte früh, dass etwas kaputt war in seinem Land. Er war zehn, als die Flut kam. Sie spülte das Haus fort, das seine Eltern in Davao-City, einer Küstenstadt im Süden der Philippinen, gebaut hatten. Tinapay erinnert sich, wie er zwischen Baumstämmen im Wasser trieb. Es waren die Reste abgeholzter Regenwälder. Die Familie verlor alles, was sie besaß, und Tinapay verlor seine Freunde. Er musste die Schule wechseln. Tinapay gründete mit Freunden eine Umweltschutzgruppe, sie pflanzten auf den gerodeten Flächen neue Bäume. Irgendwann entdeckten sie am Mount Apo, dem höchsten Berg der Philippinen, eine illegale Bananenplantage. Sie meldeten es dem Umweltministerium, doch nichts geschah.
Tinapay und seine Freunde hatten kein Geld für einen Anwalt, sie zogen vor den Stadtrat von Davao-City und informierten die Presse. Plötzlich stellten sich Tinapay Männer in den Weg und fragten, wer ihn bezahle. Sie verabschiedeten sich mit dem Rat, gut auf sich aufzupassen. Die Umweltschützer ließen sich nicht einschüchtern und gewannen den Kampf.
Bayer wurde auf Tinapay aufmerksam und machte ihn zu einem seiner Umweltbotschafter auf den Philippinen. Seine Freunde fragten ihn, warum er sich mit Bayer einlasse. Er verstand ihre Vorbehalte nicht. „In den Augen des Umweltschützers gibt es keine Vorurteile“, sagt er. „Allein erreichen wir nichts, wir brauchen ein Netzwerk.“
Es gab eine Erfahrung, die Reinier Tinapays Blick auf Bayer hätte verändern können. Ende vergangenen Jahres fielen in der Nähe seiner Heimatstadt Kinder in einer Grundschule in Ohnmacht, weil auf einer nahegelegenen Bananenplantage ein Pflanzenschutzmittel von Bayer versprüht wurde. Es war ein hochgiftiges
Pestizid, das in Deutschland verboten ist. Bayer hatte vor Jahren versprochen, es auch auf den Philippinen vom Markt zu nehmen. Tinapay erfährt es erst hier, an dem Ort, an dem Bayer gesteuert wird. Es macht ihn nachdenklich, doch es ändert an seiner Haltung nichts. „Es macht keinen Sinn, sich zu bekriegen“, sagt er. „Der einzige Weg, deinen Gegner zu besiegen, ist, ihn zu deinem Freund zu machen.“
An seinem ersten Tag in Leverkusen nimmt Tinapay an einem Seminar über „6 degrees of Networking“ teil und hört den Astronauten Gerhard Thiele erzählen, wie dünn die Atmosphäre der Erde von oben aussieht. Abends sitzt Tinapay im Kasino und isst mit Silberbesteck, in das der Name „Bayer“ graviert ist. Dann verlässt er die Bayer-Welt. An Tinapays Hals hängt ein silbernes Kreuz, er ist katholisch. „Ich weiß nicht, ob Bayer praktiziert, was es predigt“, sagt er und blickt auf das Werk. Doch er würde es gern glauben. Mario Kaiser
Gesellschaft