taz NRW vom 10.5.2007
Erkrath schaut in die Röhren
Im Neandertal sollen drei neue Chemie-Pipelines verlegt werden: Sie sollen Erdgas, Propylen und Kohlenmonoxid transportieren. Die Anwohner fürchten einen Unfall. Laut einer Studie wären bei einem Vollbruch 5.000 Menschen gefährdet
Im August 2004 stürzte auf der Autobahn zwischen Köln und Olpe ein Tanklastzug von der Wiehltalbrücke und explodierte. Was würde passieren, so fragen inzwischen viele Erkrather, wenn sich ein ähnlicher Unfall im nächsten Jahr statt auf der A4 auf der A3 im Neandertal ereignen würde? Unten im östlich von Düsseldorf gelegenen Tal verlaufen jetzt schon zwei Rohrleitungen für Gas und Flugbenzin. Das Kerosin wird von der Nordsee zum Frankfurter Flughafen geleitet. Zu den beiden Leitungen sollen in diesem Jahr drei weitere Pipelines hinzukommen, eine für Erdgas, eine für Propylen und eine für Kohlenmonoxid (CO). Besonders letztere, die die Bayer-Werke Uerdingen und Dormagen miteinander verbinden soll, ist bei den Anrainern heftig umstritten.
Im Landkreis Mettmann, durch den die CO-Leitung führen soll, regt sich Widerstand. Norbert Stapper von den Grünen im südlich gelegenen Monheim sagt: „Kohlenmonoxid ist geruchs- und geschmacksneutral, farblos und schon in geringen Konzentrationen tödlich.“ Nicht nur ein Unfall auf der Autobahn könne eine Katastrophe auslösen. Ein Bagger könnte, so der Sprecher des Ortsverbandes, die Röhre, die in 1,40 Meter Tiefe verlegt werden soll, beschädigen. In einer Risikostudie eines Ingenieurbüros, so war bereits in der Rheinischen Post zu lesen, wären bei einem Vollbruch der Leitung 5.309 Gebäude und 29.208 Bewohner in Erkrath gefährdet. Das Gas ist schwerer als Luft, kann sich bei Windstille in Tälern sammeln. Rettungsaktionen gestalten sich äußerst schwierig. Die Feuerwehr müsste nicht nur mit Atemgerät arbeiten. Ein Funke reicht, um ein Gemisch von Luft und Kohlenmonoxid explodieren zu lassen.
„Unsere Feuerwehr ist für solch ein Szenario überhaupt nicht geschult und ausgerüstet“, gibt Stapper zu bedenken. Bayer weigere sich, eine Werksfeuerwehr für die Trasse der Pipeline bereitzustellen. So würden die Kosten für den Katastrophenschutz bei den betroffenen Kommunen entstehen. „Dabei zahlt Bayer durch deren geschickte Abschreibungspolitik in Monheim weniger Steuern als ein Apotheker am Marktplatz“, ärgert sich der Grüne. Auch das Arbeitsplatzargument, vom Chemieriesen ins Feld geführt, will Stapper nicht gelten lassen. Durch die Pipeline könne Bayer sogar eines der beiden CO-Produktionsstätten in Uerdingen oder Dormagen schließen und so Arbeitsplätze streichen. „Wenn beide Werke wie bisher ihr Kohlenmonoxid selbst herstellen, müsste das Gas auch nicht per Straße oder Schiene transportiert werden.“ Bayer beteuert nämlich, dass eine Rohrverbindung viel sicherer sei als ein LKW oder ein Güterzug. Die Grünen in Monheim fragen sich außerdem, ob die rechtsrheinische Trassenführung wirklich besser sei. Sowohl Uerdingen wie Dormagen liegen westlich des Rheines. So muss die CO-Leitung zwei mal den Fluß unterqueren. Statt der etwa 30 Kilometer Luftlinie wird die Pipeline nun etwa doppelt so lang. Ursache der geschlängelten Route sind die ebenfalls geplanten Gas- und Propylenpipelines. Natürlich, das gibt auch Norbert Stoppar zu, sei der Landschaftsverbrauch geringer, wenn man drei Röhren übereinander legt als wenn man drei Schneisen in die Natur walzt.
In Monheim sind nicht nur Bündnis 90/Die Grünen gegen die CO-Pipeline. Der Bürgermeister Thomas Dünchheim und mit ihm die ganze CDU engagieren sich, um das Bayer-Bauvorhaben zu verhindern. Die Stadt habe, so erklärt der Beigeordnete Roland Liebermann, vor drei Wochen Klage gegen den Bau der Rohrleitung eingereicht. „Die Sicherheitsbelange sind nicht ausreichend berücksichtigt worden. Außerdem sehen wir uns in unserer Planungshoheit beeinträchtigt.“ Desweiteren habe man ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, inwieweit das „Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen“ verfassungsgemäß ist. Wenn jenes von der Landesregierung beschlossene Gesetz Schule macht, drohten jeder Kommune die Enteignung ihrer Grundstücke.
Auch in der Kreisverwaltung in Mettmann versucht man, die Röhre, die den gesamten Kreis in Nord-Süd-Richtung passiert, zu verhindern. Nils Hahnheide, Leiter des Rechts- und Ordnungsamtes erklärt, dass man seitens des Kreises zwei private Kläger finanziell unterstützen will. Zunächst werde noch geklärt, inwieweit diese direkten Anwohner ihre Widersprüche fristgemäß eingereicht haben und ob deren Klagen Aussicht auf Erfolg haben. „Wir prüfen auch, ob ein Eilverfahren sinnvoll ist.“ Damit könnten die bereits durchgeführten Bauarbeiten gestoppt werden. Außerdem will der Kreis bei jeder Straßenquerung der Baustelle die dazu benötigten „Gestattungsverträge“ mit dem Bauherrn verweigern. Eine Flut von Enteignungsverfahren stehen den Beteiligten ins Haus.
So weit ist man im äußersten Nordwesten des Kreises bereits. Schließlich soll nach Willen von Bayer bereits in diesem Jahr das Kohlenmonoxid in der Röhre fließen. „Nach Offenlegung des Planfeststellungsbeschlusses hat es einen Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung gegeben. Im Laufe der Woche erwarten wir die Entscheidung des stellvertretenden Regierungspräsidenten“, erklärt der Baudezernent der Stadt Ratingen Ulf-Roman Netzel. Nördlich der Landeshauptstadt wird also schon munter enteignet. Eine besondere Überraschung erlebte der Baudezernent vor kurzem. Der Firma WINGAS erlaubte er mündlich, mit der Verlegung ihres Gasrohres zu beginnen. „Gegen eine Gasleitung habe ich nichts.“ Als er in die Baugrube schaute, entdeckte er aber noch eine zweite Röhre, und zwar für Kohlenmonoxid. „Mit einem Schreiben an WINGAS habe ich angewiesen, weitere Bauarbeiten zu unterlassen.“ WINGAS, eine Tochtergesellschaft von BASF und dem russischen Energiemulti GAZPROM, betreiben mit der Europeen Pipeline Development Company (EPDC) und dem Unternehmen Bayer eine gemeinsame Projektgesellschaft, die die Bauarbeiten der drei Rohrleitungen durchführt. Mit der Verlegung der CO-Leitung wollte man offensichtlich Fakten schaffen.
Aber sind es wirklich noch drei Leitungen, die auf der Trasse verlegt werden? Durch die Presse ging vor einigen Wochen, dass EPDC auf ihre Propylenröhre verzichten will. Das war drei Tage vor Ende der Klagefrist. Bislang, so versichert Ulf-Roman Netzel, sei bei der Bezirksregierung noch kein Schreiben von EPDC eingegangen, das dies offiziell bestätigt. Die Genehmigungsbehörde sollte man, so der städtische Beamte, doch am schnellsten davon unterrichten, wenn man solch ein Projekt nicht weiter verfolgt. Ist das Ende der Propylenpipeline also nur deshalb in Aussicht gestellt worden, um die Gegner der CO-Röhre zu verunsichern? „Ein Schelm, der Böses dabei denkt“, zitiert Ulf-Roman Netzel ein französisches Sprichwort.
von LUTZ DEBUS
Rheinische Post, 10.05.2007
Ratingen: Bayer will enteignen lassen
VON JOACHIM PREUSS
Kohlenmonoxid-Leitung: Bayer beißt bei der Stadt Ratingen auf Granit. Zu starke Sicherheitsbedenken. Nun will der Chemieriese über den Rechtsweg an die Grundstücke, um mit dem Bau beginnen zu können.
Der Chemikonzern Bayer will für den umstrittenen Bau der CO-Pipeline die Stadt Ratingen enteignen lassen. Die Verwaltung verweigere die Baugenehmigung auf städtischen Grundstücken, weil man noch „erhebliche Sicherheitsbedenken“ habe, sagte gestern Baudezernent Dr. Ulf-Roman Netzel. Daher habe Bayer ein so genanntes Verfahren zur vorzeitigen Besitzeinweisung eingeleitet. Es gilt als Vorstufe zur Enteignung. Damit wolle sich Bayer juristisch den Weg zu den Grundstücken bahnen, um dort mit der Verlegung der Leitung beginnen zu können. Mit einer Entscheidung der Bezirksregierung sei für Ende der Woche zu rechnen.
Netzel betonte, dass man unter anderem einen Katastrophenschutzplan vermisse: „Unsere Feuerwehr ist auf Unfälle mit dem hochgiftigen, unsichtbaren und geruchlosen Gas gar nicht vorbereitet.“ Auch die Schieberabstände seien mit zehn Kilometern viel zu lang: „Was passiert bei einem Leck mit dem Gas zwischen den Absperrungen?“
Die Stadt verlange unter anderem, dass umfangreiche Vorkehrungen für den Fall der Fälle, nämliche eine hochgefährliche Leckage, getroffen werden. Das sei unter anderem der Einsatz einer Werksfeuerwehr durch Bayer und zusätzliche Ausrüstung der eigenen Wehr. Wie auch immer: Bevor mit dem Bau begonnen werde, müsse ein schlüssiges Sicherheitskonzept vorliegen. Schließlich sei es durchaus möglich, dass Experten doch noch zu dem Schluss kämen, dass bauliche Veränderungen, also zum Beispiel Verkürzung der Schieberabständen nötig würden. Das müsse vor dem Verlegen der Leitung geklärt werden.
Christian Zöller, Sprecher der Bayer Industry Services GmbH, erklärte gestern auf RP-Anfrage: „Bis März haben Verhandlungen bezüglich einer Bauerlaubnis mit der Stadt Ratingen stattgefunden, die nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Daher wurde ein Verfahren zur vorzeitigen Besitzeinweisung eingeleitet, um die Baumaßnahmen zeitgleich mit den parallel laufenden Arbeiten an der Erdgasleitung unseres Projektpartners Wingas durchführen zu können.“ Der Antrag auf „vorzeitige Besitzeinweisung“ beziehe sich auf alle durch den Pipelinebau betroffenen Grundstücke der Stadt Ratingen. Und: „Bezüglich der Sicherheit liegt ein Entwurf für einen Abwehrplan vor, der zurzeit abgestimmt wird. Erste Gespräche mit den Behörden und Feuerwehren haben bereits stattgefunden.“
Zöller sagte, dass die Zeit langsam knapp werde: Wie berichtet, versucht Bayer seine Leitung parallel zur Verlegung der Wingas-Leitung, die bereits begonnen hat, zu vergraben. Sei diese erst einmal verlegt, müsse man seitlich der bestehenden Trasse ins Gelände oder in den Wald ausweichen. Sollte die Bezirksregierung für Bayer entscheiden, sei das erleichternd. Sonst würde es zeitkritisch.
Brigitta Brakmann, Rechtsamtsleiterin, kündigte an, gegen eine Enteignungsentscheidung der Bezirksregierung auf jeden Fall zu klagen. Selbst im Eilverfahren dauere das mindestens ein halbes Jahr für zwei Instanzen, sagte sie.