27.04.2007 , junge Welt
Bayer am Pranger
Der Leverkusener Pharmakonzern lädt heute zur jährlichen Aktionärsversammlung. Wie jedes Mal drohen die Kritiker, dem Vorstand die Show zu stehlen
Das Kräfteverhältnis gleicht dem zwischen David und Goliath: Seit über zwei Jahrzehnten fordern die Kritischen Bayer-Aktionäre Konzernvorstand und -aufsichtsrat des deutschen Chemie- und Pharmagiganten einmal im Jahr auf ganz großer Bühne zum Duell heraus. Zur Neuauflage kommt es am heutigen Freitag, wenn in der Messe zu Köln die jährliche Aktionärsversammlung der Bayer AG steigt. In bester Tradition werden die Kritiker den Konzernherren und Großaktionären auch diesmal die vielen Kehrseiten der Leverkusener Erfolgsstory vor Augen führen, spektakuläre Gegenanträge stellen und für die Nicht-Entlastung des Vorstands plädieren. Und wie noch in jedem der zurückliegenden 26 Jahre werden die Aufmüpfigen »scheitern«.
Denn anders als in der Bibel endet der Kampf Zwerg gegen Riese in der Geschäftswelt in aller Regel standesgemäß. Philipp Mimkes von der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) sieht der nächsten Niederlage denn auch völlig gelassen entgegen: »Mehr als 90 Prozent der Stimmen befinden sich im Besitz von Aktienfonds, Banken und Großaktionären – und die sprechen sich hinter den Kulissen mit dem Bayer-Vorstand ab. Wichtig ist uns, daß in der Hauptversammlung die Kritikpunkte an der Geschäftspolitik dennoch nicht unter den Tisch fallen«, erläutert er gegenüber junge Welt.
Das gelingt den Beteiligten von Jahr zu Jahr besser. Etwa im zurückliegenden, als die CBG gegen Bayer-Boß Werner Wenning vor den Augen Tausender Aktionäre Strafanzeige wegen illegaler Preisabsprachen erstattete. Zwar stellte die Kölner Staatsanwaltschaft das Verfahren später ein, der Schlag hatte aber dennoch gesessen. Mehrere überregionale Zeitungen berichteten seinerzeit von den Vorgängen in der Messehalle 9, sogar die europäische Kartellbehörde begrüßte das Verfahren, wodurch die Galashow für Rekordbilanzen und -dividenden manches an Glanz einbüßte.
Die Zeremonienmeister der Hauptversammlung ziehen deshalb alle Register, um den Kritikern nicht noch einmal die Show zu überlassen. »Bevor man uns überhaupt zu Wort kommen läßt, wird sich der Vorstand gebührend feiern und seine Jubelperser für salbungsvolle Ansprachen vorschicken«, schildert Mimkes den Ablauf der Veranstaltung. Kritische Fragen würden erst am späten Nachmittag, lediglich im Paket und dann auch nur »sehr rudimentär« beantwortet. »Ein großer Teil der anwesenden Aktionäre stimmt dennoch für uns, mehr als 200 haben uns ihre Stimmrechte übertragen«, so der CBG-Sprecher.
Natürlich ändert es nichts, wenn die Konzernbosse mit einem blauen Auge davonkommen. Darauf haben es die Kritischen Aktionäre ohnehin nicht abgesehen. Sie wollen den Laden von innen aufmischen, sie wollen so lange am Lack des Weltkonzerns kratzen, bis sich dessen Macher selbst zur Besserung genötigt sehen. So brachte es die Organisation bis heute zu einigen stattlichen Erfolgen im Kampf gegen Arbeitsplatzvernichtung, Pestizidvergiftungen, Giftmüllverbrennung, Klimakiller und krankmachende Pharmazeutika.
Eine Art Ritterschlag für ihre Arbeit erhielt die CBG 1992 vom Bundesverfassungsgericht. Nach sechsjährigem Rechtstreit entschied Karlsruhe, daß man den Koloß am Rhein ungestraft der »grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten« und der Verletzung »demokratischer Prinzipen, Menschenrechte und politischer Fairneß« bezichtigen darf. Natürlich mußte Bayer deshalb nicht gleich seine Geschäfte einstellen, aber allzu grobe Angriffe gegen Mensch, Natur und Moral trägt der Multi seither lieber im Verborgenen vor.
Denn nichts scheut der Weltkonzern mehr als negative Schlagzeilen. Aktuell macht dem Chemieriesen die Hängepartie um die geplante Verschiffung von Giftmüll aus Australien zu schaffen. Es geht um 4500 Tonnen mit dem krebserregenden Hexachlorbenzol (HCB) kontaminierten Abfalls, die Bayer in seinen deutschen Anlagen verbrennen will. Allein in Nordrhein-Westfalen hatte die CBG gemeinsam mit anderen Umweltverbänden über 11000 Unterschriften gegen den Import gesammelt.
Nach den neuesten Entwicklungen droht der Millionendeal nun allerdings doch über die Bühne zu gehen. Die Opposition im australischen Parlament hat ihren Widerstand gegen den Export aufgegeben. Die erste Ladung könnte bereits im Mai in Deutschland ankommen. Geschlagen geben will man sich bei der CBG deshalb nicht. Ein Gegenantrag der Kritischen Aktionäre zum Thema wird auf der Hauptversammlung zweifellos niedergestimmt werden. Dennoch will die CBG den öffentlichen Druck weiter erhöhen. Mimkes ist überzeugt: »Die Messe ist noch lange nicht gelesen!« Von Ralf Wurzbacher
27.04.2007 , jW
„Die Erfolgsbilanz des Konzerns ist verlogen“
Coordination gegen Bayer-Gefahren nimmt unliebsame Fakten ins Visier. Ein Gespräch mit Philipp Mimkes
Mit welchen Themen wollen Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) und Kritische Aktionäre in diesem Jahr für Aufmerksamkeit auf der Bayer-Hauptversammlung sorgen?
Ein Schwerpunkt ist der Einstieg des Konzerns in den internationalen Handel mit Giftmüll. Aktuell geht es um den geplanten Import von 4 500 Tonnen des krebserregenden Hexachlorbenzols, das mit erheblichen Gefahren für Mensch und Umwelt in hiesigen Anlagen des Bayer-Konzerns verbrannt werden soll. Wir legen außerdem Gegenanträge zum Klimaschutz, zur grünen Gentechnik, zu Störfällen in Bayer-Werken weltweit sowie zur Sicherheit von Pharmazeutika vor. Denn Bayer hat in der Vergangenheit eine Reihe von Medikamenten mit drastischen Nebenwirkungen – bis hin zur Todesfolge – auf den Markt gebracht.
Thema Klimawandel: Wie fällt die Bayer-Bilanz bei der Reduktion von CO2-Emissionen aus?
Die Konzernspitze feiert sich als wahren Musterknaben in punkto Klimaschutz, von diversen unternehmensnahen Stiftungen hat Bayer sogar schon Preise eingeheimst. Allerdings zu Unrecht: Die Behauptung, die Emissionen in den letzten Jahren um 70 Prozent reduziert zu haben, basiert überwiegend auf Rechentricks. Tatsächlich wurde der Ausstoß von Kohlendioxid nur geringfügig gesenkt, der Großteil der besagten 70 Prozent geht auf den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen und die Ausgliederung der einst hauseigenen Energieversorgung zurück. Die CO2-Emissionen der Zulieferer tauchen in Bayers Klimabilanz nicht auf.
Zumal der Konzern nun auch noch ein Steinkohlekraftwerk betreiben will?
Das macht die „Erfolgsbilanz“ noch verlogener. Geplant ist der Neubau eines Steinkohlekraftwerks in Uerdingen, das jährlich über vier Millionen Tonnen CO2 und Tausende Tonnen Stickoxide und Schwefeldioxid ausstoßen würde. Dabei paßt es ins Bild, daß auch diese Emissionen nicht in die Klimabilanz des Konzerns eingehen sollen, weil Bayer die erzeugte Energie vom Kraftwerkseigner, dem Konsortium Trianel, beziehen würde.
Sie weisen immer wieder auf Störfälle in den Bayer-Werken hin. Gibt es dafür aktuelle Beispiele?
Das Thema ist uns auch deshalb so wichtig, weil die CBG Ende der 1970er Jahre aus einer Anwohnerinitiative nach Störfällen im Bayer-Werk Wuppertal hervorgegangen ist. Leider hat sich seither an der Problematik wenig geändert. So gab es allein in den letzten zwölf Monaten gleich mehrere schwere Vorfälle: Im Werk Baytown im US-Bundesstaat Texas wurden infolge einer schweren Explosion krebserregende Chemikalien freigesetzt und 20 Mitarbeiter verletzt. In Uerdingen ist die Kohlenmonoxid-Produktion im November in die Luft geflogen, im Januar kam es in Brasilien zu einem heftigen Unfall in der Pestizid-Herstellung, die Anlage mußte wochenlang geschlossen werden. Die Gefahrenlage für Mitarbeiter und Anlieger der Bayer-Werke ist nach wie vor hoch.
Was auch mit dem massiven Beschäftigungsabbau der zurückliegenden Jahre zusammenhängt?
In der Tat halten wir die Störfallrisiken für zum Teil hausgemacht. Die Belegschaft wird ungebremst ausgedünnt, auch in sicherheitsrelevanten Abteilungen. Mit erhöhter Arbeitsbelastung wachsen die Gefahren, und im Ernstfall fehlt es an geschultem Personal. Mancherorts wurden sogar die Betriebsfeuerwehren stillgelegt und deren Aufgaben an die örtliche Feuerwehr übertragen.
Wie tief ist Bayer ins Geschäft mit der Gentechnik verstrickt?
Der Konzern gehört nach Marktführer Monsanto zu den Größten der Branche. Aktuell sorgt der Fall von gentechnisch verunreinigtem Reis aus den USA für Aufsehen. Bayer hat mehrere Reissorten im Angebot, die gegen das gesundheitsschädliche Herbizid Glufosinat resistent sind. Das zeigt einmal mehr: Es geht dem Konzern bei dem Geschäft mit der Gentechnik nicht darum, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, sondern den Absatz von Herbiziden zu sichern.
* Philipp Mimkes ist Sprecher der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG)
Interview: Ralf Wurzbacher