Hamburger Abendblatt, 18.2.2007, Seite 1
Gifttransport durch Hamburg
Wo die Giftfracht rollen soll…
Ein australischer Chemie- und Sprengstoffhersteller will giftigen Müll in Nordrhein-Westfalen verbrennen lassen. Die Fracht soll per Bahn transportiert werden. Umweltschützer befürchten: Die Züge rollen durch Hamburg.
Von Axel Tiedemann
Es war eine E-Mail aus Sydney, die deutsche Umweltschützer erst auf die Giftfracht aufmerksam machte: Die australische Umweltorganisation National Toxics Network (NTN) meldete sich vor einigen Wochen bei dem Verein „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ in Nordrhein-Westfalen: Vier Schiffsladungen mit gefährlichem Sondermüll seien demnächst auf dem Weg nach Deutschland, stand da in knappen Worten. Der Müll solle in Anlagen des Leverkusener Chemiekonzerns Bayer verbrannt werden, warnten die Australier. Der mit dem krebserregenden Hexachlorbenzol (HCB) belastete Abfall werde voraussichtlich im Mai das erste Mal in Brunsbüttel anlanden. Am 4. Februar griff die „Welt am Sonntag“ das Thema auf: „Giftmüll aus aller Welt nach NRW“, titelte die Zeitung. „Da war uns hier in Brunsbüttel noch gar nicht bewusst, dass wir auch betroffen sind“, sagt Jürgen Ruge, Grünen-Politiker im schleswig-holsteinischen Kreis Steinburg.
Immer mehr Details über den Sondermüll sickerten durch
Doch dann sickerten über einen regen E-Mail-Austausch zwischen Sydney, Leverkusen und Brunsbüttel immer mehr Details über einen riesigen Sondermüll-Deal durch: Innerhalb von zwei Jahren will der australische Chemie- und Sprengstoffhersteller Orica 22 000 Tonnen dieses hochgiftigen Sondermülls in den modernen Anlagen Deutschlands verbrennen lassen: Die Hälfte gleich in Brunsbüttel, der Rest soll zu den Bayer-Anlagen in Nordrhein-Westfalen transportiert werden. Auf dem „Schienenweg“, wie Jürgen Ruge sagt.
Umweltschützer und Grüne machen daher jetzt mobil in Brunsbüttel. Jürgen Ruge: „Es ist doch ökologischer Irrsinn, das Zeug über 16 000 Kilometer hierher zu bringen.“ Australien sei ein „hochtechnisiertes“ Land, das sich selbst um seine gefährlichen Industrieabfälle kümmern müsse, sagt Ruge und sieht sich damit in Übereinstimmung mit australischen Umweltschützern.
Das National Toxics Network versuche gerade, die Genehmigung für den Müllexport noch zu stoppen. Die australischen Umweltschützer verlangen, dass die 22 000 Tonnen vor Ort unschädlich gemacht werden. Allerdings ohne Verbrennung. Was nicht weiter verwunderlich ist: Der Müllexport aus Australien ist längst kein spektakulärer Einzelfall mehr. Wegen besonders strenger Umweltgesetze gelten deutsche Müllverbrennungsanlagen auch als besonders modern, während viele andere Länder veraltete oder gar keine Anlagen besitzen.
Paradoxe Folge für Deutschland: Immer mehr Giftmüll aus aller Welt wird hier verbrannt, vorzugsweise in Anlagen in Nordrhein-Westfalen, wie die „Welt am Sonntag“ schreibt. Munitionsabfälle, Pestizide, Asbest-Schutt oder wie jetzt aus Australien eben HCB-haltige Lösungsmittelrückstände. Allein im Jahr 2005 kamen danach 401 Tonnen aus Südafrika, 1500 Tonnen aus dem Iran, 4000 Tonnen aus Polen und satte 1,57 Millionen Tonnen aus dem Nachbarland Holland.
Der lange Transport ist ökologisch unsinnig und gefährlich
Für die Betreiber der Anlagen ist das ein lohnendes Geschäft, das sie in der Regel genehmigt bekommen: Allein der Müll-Deal mit Australien soll 22 Millionen Euro Umsatz bringen, wie der „Spiegel“ jetzt in seiner neuesten Ausgabe schreibt. Willkommenes Geld. Denn oft haben die Hightech-Öfen in Deutschland mit teuren Überkapazitäten zu kämpfen.
Schon lange werde daher auch in der Sonderabfall-Verbrennungsanlage SAVA in Brunsbüttel Müll aus ganz Europa verbrannt, sagt Grünen-Politiker Jürgen Ruge. Das Geschäft mit Australien sei jetzt nur ein „erschütternder Entfernungsrekord“. Ruge: „Wobei ich davon ausgehe, dass der Sondermüll sauber verbrannt wird; ökologisch unsinnig und gefährlich ist vor allem der lange Transport.“ Auf welchen Bahn-Strecken der Sondermüll von Brunsbüttel dabei bis ins Ruhrgebiet gefahren wird, versucht die Bahn geheimzuhalten: Aus Sicherheitsgründen gebe es keine Auskunft über die „Laufwege von Gefahrgut“, sagt Bahn-Sprecher Ole Constantinescu. Allerdings gibt es kaum Alternativen zur Strecke über die Güterumgehungsbahn quer durch Hamburg. Selbst Atommülltransporte aus Brunsbüttel sind dort schon entlang gerollt.
Eine Umgehung wäre nur über große Umwege möglich
Seit Jahren gibt es an diesem Schienenstrang zwischen Eidelstedt, Hamm und Harburg Anwohnerproteste. Eine Umgehung Hamburgs wäre für die Bahn allerdings nur über große Umwege nach Lübeck, Ratzeburg, Büchen und Lüneburg möglich. Doch auch diese Strecke führt quer durch viele Städte, in denen Menschen dicht an den Schienen wohnen. Für Bahn-Sprecher Ole Constantinescu bleibt die Bahn dennoch „das sicherste Transportmittel“. Die Alternative wäre ein Lkw-Transport, der viel gefährlicher sei, sagt Constantinescu, der dazu auf die vielen Sicherheitsmaßnahmen bei der Bahn verweist. So würden beispielsweise Gefahrguttransporte immer von einem zentralen Koordinator überwacht.
Die Folgen eines Unfalls wären katastrophal
Doch ausgeschlossen sind Unfälle auf der Schiene deshalb nicht, wie erst am 23. Januar der Unfall bei Tornesch vor den Toren Hamburgs zeigte. Dabei strömten auf freier Strecke ätzende Chemiewolken aus den elf verunglückten Waggons. Grünen-Politiker Ruge: „Die Folgen mit diesem Zeug aus Australien wären weit katastrophaler.“
Hamburger Abendblatt, 21. Februar 2007
Keine Genehmigung für die Anlandung von krebserregender Fracht
Ministerium stoppt Giftmülltransport durch Hamburg
Australischer Chemikalien- und Sprengstoffhersteller hat bislang nicht beantwortet, wie sich die giftige Ladung genau zusammensetzt.
Der Widerstand gegen den Transport australischen Giftmülls durch Norddeutschland und Hamburg wächst. Gestern gab das schleswig-holsteinische Umweltministerium bekannt: „Wir haben das Genehmigungsverfahren für die Anlandung des Gifttransportes in Brunsbüttel gestoppt. Das heißt, die Schiffe mit dem Giftmüll dürfen noch nicht einmal in Australien starten“, so Sprecher Christian Seyfert gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Und weiter: „Wir haben die Umweltbehörden in Australien aufgefordert, uns zu bestätigen, dass der Giftmüll nicht vor Ort verbrannt werden kann. Wir haben aber keine Antwort erhalten. Außerdem hat uns die Firma Orica nicht mitgeteilt, welche giftigen Stoffe genau in der Ladung enthalten sind“, so Seyfert.
Anwohner der Güterumgehungsbahnstrecke in Hamburg sowie Umweltschützer und Politiker können nun erst einmal aufatmen. Wie berichtet, will der australische Chemiekalien- und Sprengstoffhersteller Orica 22 000 Tonnen der mit krebserregendem Hexachlorbenzol belasteten Fracht nach Deutschland schaffen und verbrennen lassen: Die eine Hälfte in Brunsbüttel, der Rest soll auf dem Schienenweg zur Firma Bayer nach Nordrhein-Westfalen geschafft werden. Der damit verbundene Transport über die Strecke der Güterumgehungsbahn mitten durch Hamburg, stößt auf Ablehnung bei Politikern, Umweltorganisationen und Anwohnern.
Vier Schiffsladungen mit dem Giftmüll sollten nach Angaben der australischen Umweltschutzorganisation National Toxics Networks in der nächsten Zeit starten und dann im Mai in Brunsbüttel anlanden. Doch dieser Termin kann wohl nicht eingehalten werden: „Erst wenn alle fehlenden Unterlagen und Bestätigungen vorliegen, werden wir das Verfahren wieder aufnehmen. Bis zur Genehmigungsreife kann es dann noch mal einen Monat dauern“, sagt Ministeriumssprecher Seyfert.
Allerdings hat Hamburg selbst keine Möglichkeit, den Gifttransport durch die Stadt zu verhindern, falls dieser doch noch genehmigt werden sollte. Das bestätigte Helma Krstanoski (53), Sprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt: „Wir haben keine rechtlichen Mittel dagegen.“ Der mögliche Giftmülltransport durch Hamburg war gestern auch Thema im Stadtentwicklungsausschuss der Bürgerschaft und bei einer Anhörung der Bezirksversammlung Nord in der Schule Brucknerstraße: Mehr als 300 Bürger kamen, die dort ihre Ablehnung gegen Gifttransporte vor ihrer Haustür deutlich machten.
NDR Info, 21.02.2007
Giftmüll Transport durch Norddeutschland vorläufig gestoppt
Schleswig-Holsteins Umweltministerium hat den Transport eines krebserregenden Stoffes von Australien nach Deutschland vorerst untersagt. Bei dem umstrittenen Vorhaben geht es um 22.000 Tonnen Hexachlorbenzol, die der australische Chemiekalien- und Sprengstoffhersteller Orica nach Brunsbüttel und dann teilweise weiter nach Nordrhein-Westfalen schaffen wollte. „Wir haben das Genehmigungsverfahren für die Anlandung des Giftmülltransportes in Brunsbüttel gestoppt. Das heißt, die Schiffe mit dem Giftmüll dürfen noch nicht einmal in Australien starten“, sagte Ministeriumssprecher Christian Seyfert dem „Hamburger Abendblatt“ am Mittwoch.
Widerstand in Hamburg
In Hamburg hatten sich zuvor nach einem Bericht von NDR 90,3 Umweltpolitiker aller Parteien, Verbände und Bürgerinitiativen gegen den Transport ausgesprochen. Die erste Fuhre sollte dem Bericht zufolge im Mai ankommen, ein Teil der Chemikalie bereits dort verbrannt werden. Der Weg der restlichen Bestände wäre mitten durch Hamburg verlaufen, sehr wahrscheinlich über die Güterumgehungsbahn, so die Spekulationen unter den Gegnern des Transports. Eine internationale Vereinbarung ächte die Herstellung, Anwendung und den Transport von Hexachlorbenzol, hieß es in dem Bericht weiter.