TRASYLOL-Studie verheimlicht
BAYER täuscht US-Gesundheitsbehörde
Naja, das kann ja mal passieren: Da mussten BAYER-ManagerInnen bei der US-Gesundheitsbehörde FDA Rede und Antwort über die Gefährlichkeit der Arznei TRASYLOL stehen und vergaßen in der Aufregung doch glatt eine vom Unternehmen selbst in Auftrag gegebene Studie zu erwähnen, die dem Mittel ein hohes Risiko-Potenzial bescheinigte. Der Leverkusener Multi entschuldigte sich dann auch gleich brav für das kleine Missgeschick, aber den Gremiumsmitgliedern war alles Menschliche fremd: Sie zeigten sich geschockt über die „Irreführung der Behörden“.
Von Jan Pehrke
„Bietet die Gesamtheit der klinischen Daten die Gewähr für einen sicheren und wirksamen Gebrauch von TRASYLOL?“ Das wollte die für Arzneimittelsicherheit zuständige Kommission der US-Gesundheitsbehörde FDA am 21. September diesen Jahres von seinen 18 Mitgliedern wissen. Die Frage stellte sich, weil eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie dem vor allem zur Blutstillung bei Bypass-Operationen vewendeten Mittel lebensgefährliche Nebenwirkungen von Nierenversagen über Schlaganfälle bis zu Herzinfarkten attestiert hatte (siehe Stichwort BAYER 1/06). Die FDA-Runde beantwortete sie trotz dieses belastenden Materials positiv. Offensichtlich hatten die anwesenden BAYER-ManagerInnen Michael Rozycki und Pamela Cyrus mit zwei Medizinern im Schlepptau die ExpertInnen anhand der eingeforderten „neuen Sicherheits- und Wirksamkeitsprofile“ überzeugt, im Zweifel für den Angeklagten zu stimmen. Lediglich ein Vertreter enthielt sich.
Schon am Tag darauf zogen die BAYER-Aktien an der Wall Street kräfig an. Der Höhenflug dauerte allerdings nicht lange. Bei der FDA meldete sich nämlich der Harvard-Professor Alexander Walker und setzte die Behörde darüber in Kenntnis, dass die der FDA vorgelegten „neuen Sicherheits- und Wirksamkeitsprofile“ nicht das Allerneueste waren. Der Mediziner hatte nämlich mit seinen Kollegen im Auftrag BAYERs die Unterlagen von 67.000 Krankenhaus-PatientInnen analysiert und im Falle einer Behandlung mit TRASYLOL eine erhöhte Sterblichkeitsrate sowie ein größeres Risiko für Nierenversagen, Schlaganfälle und Herzerkrankungen festgestellt.
Kleinlaut räumte BAYER ein, die FDA „versehentlich“ nicht über die Arbeit von Walker & Co. informiert zu haben und entschuldigte das mit der Vorläufigkeit der Resultate. Was allerdings an dokumentierten Todesfällen vorläufig sein soll, dafür blieb der Leverkusener Multi die Erklärung schuldig. Entsprechend zurückhaltend war die Reaktion auf das Eingeständnis. „BAYERs schlappe Entschuldigung für das Zurückhalten von Daten (…) überzeugt nicht“, schrieb etwa die New York Times. Auch das Komitee-Mitglied Dr. Michael Lincoff von der Cleveland-Klinik akzeptierte diese nicht. „Wir haben den ganzen Tag darüber gesprochen, dass wir aktuelle Untersuchungen benötigen. Es ist undenkbar, dass die Repräsentanten von BAYER von der Existenz der Studie oder der Relevanz für das Gremium nichts gewusst haben“. Und der Rechtsanwalt Jason Mark meinte, wenn die FDA die Entschuldigung annehme, könne sie sich gleich auflösen und ihre Angestellten auf die Gehaltsliste der Konzerne setzen, dann wüsste wenigsten jeder, woran er ist.
Der Skandal hat die Glaubwürdigkeit der US-Gesundheitsbehörde schwer erschüttert, denn was BAYER recht war, wird anderen Pharmafirmen billig gewesen sein. Ohnehin war in den letzten Jahren immer wieder Kritik an dem viel zu laxen Zulassungsprozedere der FDA laut geworden. Darum fordern Kommissionsmitglieder wie der Mediziner John R. Teerlink, es nicht bei einer Rüge zu belassen und BAYER hart zu bestrafen. Mit Sammelklagen von TRASYLOL-Opfern sieht sich der Pharmariese ohnehin schon konfrontiert, und das Verheimlichen belastenden Materials dürfte seinen Stand vor Gericht nicht gerade erleichtern, wie schon der Konkurrent MERCK im Fall von „VIOXX“ erleben musste. Der Konzern hat in jedem Fall schon einmal vorgesorgt und den „Fehler“ nach bewährter Methode zwei Angestellten in die Schuhe geschoben und beide entlassen. Ob BAYER die RichterInnen mit diesem Bauernopfer besänftigen kann, bleibt abzuwarten.
BAYER hat diese kriminelle Energie für ein Präparat entfaltet, das mit einem Umsatz von 200 Millionen Euro lediglich einen Anteil von drei Prozent am Pharma-Umsatz hatte. Allerdings arbeitet der Multi ständig an Indikationserweiterungen und hat sich von einem positiven FDA-Votum bessere Vermarktungschancen versprochen. Bereits einmal ist das Unternehmen dafür über Leichen gegangen. Mitte der 60er Jahre testete BAYER dem Buch „Gesunde Geschäfte“ zufolge das ursprünglich nur zur Behandlung von Entzündungen der Bauchspeicheldrüse zugelassene Mittel als Therapeutikum für Schockzustände nach Unfällen. Die Ergebnisse versetzten den Auftraggeber in einen Schockzustand: Unter TRASYLOL erhöhte sich die Sterberate signifikant. Aber der Pillenriese blies das Ganze daraufhin nicht etwa ab, sondern manipulierte die Zahlen und holte die Pharma-Opfer statistisch wieder zu den Lebenden zurück – und BAYERs Ausführungen über die „Vorläufigkeit“ der Resultate Walkers ließen ähnliche „Nachbesserungen“ befürchten. Da es bei TRASYLOL „immer das Problem mit negativen Meinungsbildnern“ gab, kaufte sich der Konzern zudem einfach einen positiven. „Der Professor Blümel hat uns sehr geholfen“, packte ein Insider aus, „ …Er hat uns zwar ganz schön gemolken, aber er hat auch etwas getan für uns, das muss man schon sagen“ (1).
Ob die bundesdeutschen Behörden dieser Skrupellosigkeit etwas entgegenzuhalten haben, erscheint zweifelhaft. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) hatte nach den alarmierenden Studien ebenfalls eine neue Sicherheitsbewertung vorgenommen. Die Berichte über Nierenschädigungen veranlassten das Haus aber lediglich, das Anwendungsgebiet der Arznei zu beschränken und die Liste der Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel zu erweitern. Die zahlreichen Überempfindlichkeitreaktionen will es ausgerechnet mit Hilfe BAYERs in den Griff bekommen. „Das BfArM prüft derzeit Vorschläge von BAYER HEALTHCARE, wie die Zahl der Überempflindlichkeitsreaktionen in der EU so weit wie möglich, möglicherweise durch einen obligatorisch durchzuführenden immunologischen Test, gesenkt werden kann“, heißt es auf der Webpage. Für den Leverkusener Multi kann es also nur den PatientInnen selber liegen, wenn es zu Unverträglichkeiten kommt. Eine durchschaubare Strategie, aber für das Bundesinstitut offenbar nicht durchschaubar genug. Es lobt sich im Fall „TRASYLOL“ sogar noch selber dafür, dass es „in der Lage ist, rasch auf neue Informationen über relevante Arzneimittelrisiken zu reagieren und geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen“.
Auf die „neuesten“ neuen Informationen, die BAYER der Institution wie den KollegInnen aus den USA vorenthalten hatte, reagierte das Bundesinstitut bisher allerdings nicht. Eine Anfrage von Stichwort BAYER blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
(1) zit. n. Gesunde Geschäfte, Kurt Langbein et. al., S. 152