15.09.06, Neues Deutschland
Kein Schutz vor Gentech-Reis
Lasche Kontrollen, fehlende Haftungsregeln und Referenzproben
Von Michaela von der Heydt
Auch der jüngste Lebensmittelskandal um gentechnisch veränderten Reis weitet sich aus. Verbraucherinteressen werden indes weder in Brüssel noch in Deutschland ernsthaft berücksichtigt.
Dass der gentechnisch veränderte Reis LL601 des deutschen Bayer-Konzerns, der nirgendwo in der Welt zum Verzehr zugelassen ist, nun offenbar jahrelang unentdeckt in europäischen Supermärkten landete, belegt einmal mehr, dass es keine kontrollierbare Koexistenz mit bewusst gentechnikfreiem Anbau geben kann.
Unterdessen wird die Suche nach LL601-Reis in Baden-Württemberg nach ersten Nachweisen ausgeweitet. Reis-Produkte nahezu aller Handelsketten werden überprüft, teilte das Landesagrarministerium gestern in Stuttgart mit.
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vizepräsident des Agrar-ausschusses im Europäischen Parlament, hält es auch für möglich, dass „ein gezieltes Interesse vorliegt, den Bäuerinnen und Bauern Gentech-Getreide unterzumischen“. Die Gentechindustrie könnte so versuchen, die öffentliche Meinung „zu knacken“, die mehrheitlich gegen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingestellt ist. Die nun verhängte Sonderregelung für Reisimporte aus den USA sei zwar eine vernünftige Reaktion, um jedoch GVO-Kontaminationen nicht verspätet aufzudecken, müsste ständig gewährleistet werden, dass importierte Produkte den Anforderungen des EU-Lebensmittelrechts entsprechen. (…)
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CGB) hat gestern von der Europäischen Lebensmittelüberwachungsbehörde EFSA gefordert, keine Import-Genehmigung für gentechnisch veränderten Reis zu erteilen. Und die Grünen-Fraktion im Bundestag hat einen Importstopp von US-Reis gefordert, zumindest solange, bis durch Verhandlungen garantiert werde, dass es keine Lieferungen von nicht zugelassenem Reis mehr gebe, sagte Fraktionschefin Renate Künast.
Schutz vor GVO-Reis wird es kaum geben. Laut CGB hat Bayer bei der EU eine Import-Zulassung für den GVO-Reis der Sorte LL 62 beantragt.
taz vom 15.9.2006
Gen Reis kam aus Bremen
Kontamination in Tests nicht aufgefallen. Bremer Importeur ruft Reis-Packungen zurück. Gen-Reissorte schon seit 2001 nicht mehr angebaut. Bayer beantragt Zulassung in EU
von Christian Jakob
Nach Gammelfleisch gibt es jetzt Gen-Reis – und zwar aus Bremen. Wie Anfang der Woche bekannt wurde, entdeckten staatliche Lebensmittelkontrolleure in Baden-Württemberg Verkaufsverpackungen mit gentechnisch verändertem Reis, der in Deutschland nicht verkauft werden darf. Seit gestern ist klar: Der Importeur kommt aus Bremen.
Nach Warnungen der US-Regierung vom 18. August waren in Süddeutschland 46 Proben von aus den USA importiertem Reis untersucht worden. In vier Proben stellte das Veterinäruntersuchungsamt Freiburg Bestandteile der gentechnisch veränderten Reissorte „LL601“ fest. In drei weiteren Fällen wurde gentechnisch verändertes Material einer noch unbekannten Entwicklungslinie entdeckt.(…)
LL („Liberty Link“) 601 wurde vom Chemiekonzern Bayer entwickelt und von 1999 bis 2001 auf Versuchsfeldern in den USA getestet. „Liberty“ ist die Vertriebsbezeichnung für das Bayer-Herbizid Glufosinat. Der Gen-Reis LL601 ist gegen das Schädlingsvernichtungsmittel resistent und sollte Bauern im Paket mit dem Insektengift angeboten werden. Aus unbekannten Gründen wurden sämtliche Tests mit LL601 2001 eingestellt.
Das fünf Jahre später dennoch Anteile von LL601 in den Verkauf geraten konnten, bestätigt nach Ansicht der Düsseldorfer „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG), dass sich bei Freilandversuchen gentechnisch verändertes Material unkontrolliert freisetzt. „Konventionelle Anbauflächen werden von den Gen-Äckern durch Pollenflug kontaminiert. Dieser Prozess ist überhaupt nicht kontrollierbar“, so Phillip Mimkes, Sprecher der CBG. Die CBG rief die EU-Behörden gestern dazu auf, einen Bayer-Antrag für die Zulassung einer LL601 verwandten Gen-Reis Entwicklungslinie namens „LL62“ abzulehnen.