BAYER + SCHERING = – 6.000 Jobs
Pharmadeal mit Nebenwirkungen
Ende März 2006 kaufte der Leverkusener Multi den Berliner Pillen-Produzenten SCHERING für 16.3 Milliarden Euro. Und wie im Wirtschaftsleben üblich, ist das neue Pharma-Ganze weniger als die Summe seiner Teile: BAYER-Chef Werner Wenning kündigte als „Synergie-Effekt“ den Wegfall von 6.000 der 60.000 Arbeitsplätze an.
Von Jan Pehrke
Mit immer weniger Beschäftigten machen die DAX-Unternehmen immer mehr Profit. Durchschnittlich um 30 Prozent stiegen ihre Erlöse im Geschäftsjahr 2005. BAYER lag noch über 100 Prozent darüber und erhöhte den Gewinn von 0,685 Millarden auf 1,597 Millarden Euro. Da fragt sich natürlich: Wohin mit dem Geld? Der Leverkusener Multi tat es EON, LINDE und BASF nach und ging erst einmal auf Shopping-Tour. Ende März erstand er den Berliner Arznei-Hersteller SCHERING. Er überbot den ebenfalls interessierten MERCK-Konzern um 1,7 Milliarden und bekam für 16,3 Milliarden den Zuschlag. Soviel zahlte der Leverkusener Multi noch nie in seiner Firmengeschichte für eine Übernahme.
Im Zuge des LIPOBAY-Skandals hatte er zur Stärkung der angeschlagenen Pillen-Sparte schon einmal einen SCHERING-Kauf erwogen. Der Vorstand entschied sich dann aber doch für ein defensives Krisenmanagement und begann mit dem Rückbau des Gesundheitsbereiches zu einem „mittelgroßen europäischen Pharma-Unternehmen“. Mit dem neuen Deal ist diese Strategie passé. Zum Umsatz von 3,8 Milliarden mit ASPIRIN & Co. kommen jetzt noch 9,1 SCHERING-Milliarden dazu, womit die Arzneimittel-Abteilung sich zur größten innerhalb des Konzerns auswächst und BAYER von Rang 14 auf Rang 12 der Global Player in diesem Segment vorrückt.
Die Berliner machten ihr Geld als die globale Nr. 1 im Markt-Segment „Verhütungsmittel“ sowie mit den umstrittenen Hormon-Präparaten für Frauen in den Wechseljahren und hatten unter anderem Mittel zur Behandlung von Krebs, Mulipler Sklerose, Herz- und Blutkrankheiten im Angebot. Rückschläge in der Forschung hatten den Aktienkurs fallen lassen und SCHERING zu einem Übernahme-Kandidaten gemacht. Die Vorstandsetage legte als Reaktion darauf ein Kostensenkungsprogramm auf und strich 2.000 Arbeitsplätze. Aber wie so oft zahlte sich dieses Opfer für die Belegschaft nicht aus. Die Bosse verkauften schließlich doch, und Wenning als neuer Hausherr kündigte als erste Amtshandlung weitere Rationalisierungsmaßnahmen an. 6.000 der 60.000 Stellen will er streichen. MERCK hätte sich mit einem Minus von 3.000 bis 4.000 Stellen begnügt, aber die von vielen ExpertInnen als überhöht angesehenen Kosten für den Deal haben halt ihren Preis …
Die SCHERING-Beschäftigten reagieren entsprechend. „Die Stimmung ist beschissen. Wie soll sie auch sein, wenn angekündigt wird, dass 6.000 Stellen gestrichen werden sollen“, sagte ein beim Gebäudemanagement-Mitarbeiter einem Journalisten der „Welt am Sonntag“. Für den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Norbert Deutschmann stehen die Gewinner und Verlierer ebenfalls fest. „Die Gewinner sind die Besitzer großer Aktienpakete, diejenigen, die zuletzt noch spekulativ eingestiegen sind, und die Investmentbanken. Verlierer werden erst einmal die Arbeitnehmer sein, in beiden Unternehmen“, so Deutschmann gegenüber der Berliner Zeitung. Sein BAYER-Kollege Thomas de Win stimmte dem Deal dagegen zu: „Wir begrüßen die Transaktion“. Er bezeichnet die Arbeitsplatzvernichtung zwar als „großes Problem“, bekundet aber, damit leben zu können, zumal BAYER die Abwicklung „sozialverträglich“ gestalten will. Nicht einmal das ist allerdings gesichert. In einem Interview ließ Wenning die Frage unbeantwortet, ob es zu betriebsbedingten Kündigungen komme.
Die BELEGSCHAFTSLISTE, eine alternative Gruppe innerhalb der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) im Wuppertaler BAYER-Werk enthielt sich in ihrer Presseerklärung einer eigenen Stellungnahme. Sie sondierte stattdessen die Gemütslage der Beschäftigten und machte ein Meinungsspektrum aus, das von Zustimmung bis zu Ängsten reicht. Zu denen sahen angesichts der Stellenstreichorgie auch die BELEGSCHAFTLER Anlass. Sie fürchten um das Überleben der bislang 19 Produktionsstandorte im Allgemeinen und um das Wuppertaler Pharmazentrum im Besonderen, da das Management eine Verlegung des Health-Care-Hauptsitzes nach Berlin angekündigt hat. Deshalb fordert die Liste von BAYER eine Bestandsgarantie für Wuppertal sowie die Zusage, bis Ende 2012 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten.
Die BASIS-BETRIEBSRÄTE, eine andere alternative IG-BCE-Gruppe, haben unter den Beschäftigten sowohl Optimismus als auch Besorgnis und sogar Panik ausgemacht und reihen sich in die Fraktion der Besorgten ein. Um der Belegschaft eine Möglichkeit zum Austausch und vielleicht sogar zum gemeinsamen Handeln zu bieten, haben sie MitarbeiterInnen-Treffs eingerichtet.
Die dritten im Alternativ-Bunde, die KOLLEGEN UND KOLLEGINNEN FÜR EINE DURCHSCHAUBARE BETRIEBSRATSARBEIT, veröffentlichen in ihrem Flugblatt vom März 2006 keinen Artikel zum SCHERING-Thema, geben aber einem Beschäftigten Gelegenheit, seiner Verärgerung über den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Thomas de Win Ausdruck zu verleihen. „Also was macht unser oberster Interessensvertreter? Zuerst begrüßt er mit dem obersten Boss des Unternehmens dessen Absichten, um uns die Suppe auslöffeln zu lassen, die er uns eingebrockt hat. Das ist keine Interessensvertretung, sondern Co-Management, wie es im Buche steht“, ereifert sich der Mann. Dieser Kritik schließt sich eine Beschäftigte im Internet-Forum der BASIS-BETRIEBSRÄTE an. „Die Politiker Merkel und Wowereit schreien auf, weil es wieder 6.000 Arbeitsplätze mehr gibt, und was macht unser Betriebsratsvorsitzender de Win? Der jubelt mit Wenning und sagt: Wir machen weiter wie bisher und bauen sozialverträglich ab“, schreibt die Frau.
Nach Schätzungen der IG BCE plant Bayer, hierzulande „auf die nette Art“ 600 Jobs zu streichen – eine sehr optimistische Schätzung. Die vom Unternehmen angegebenen Baustellen für den Kahlschlag, Verwaltung und Forschungseinrichtungen, sind nämlich zum großen Teil in der Bundesrepublik angesiedelt und entsprechend gefährdet. Zudem will der Global Player zur Finanzierung der Übernahme seine Gesellschaften HC STARCK und WOLFF WALSRODE abstoßen. Nach Lage der Dinge werden wohl bei einem Finanzinvestoren landen, wobei kaum alle aus der Belegschaft an Bord bleiben dürften.
Diese Aussichten bewogen sogar Angela Merkel, einzugreifen. Sie ersuchte Werner Wenning um ein Gespräch und appellierte schon im Vorfeld an ihn, die „Anpassung“, wie die Bundeskanzlerin die Arbeitsplatzvernichtung nennt, doch bitte nicht zu Lasten bundesdeutscher Arbeitsplätze vorzunehmen.
Wie patriotisch oder unpatriotisch BAYER den Stellenabbau letztendlich vornimmt, dürfte allerdings nur Standort-PolitikerInnen interessieren. Auf die Beschäftigten kommen in jedem Fall harte Zeiten zu. Ihnen steht im Zuge der Fusionskonfusion ein gnadenloser Ausscheidungswettkampf bevor. Er vergiftet das Betriebsklima, lässt so die Arbeitsleistungen sinken, produziert 6.000 Überflüssige und setzt die Übriggebliebenen einem erhöhten Druck aus.
Aber die Belegschaften sind nicht die einzigen Übernahme-Verlierer. Auch die Finanzminister schauen in die Röhre, denn BAYER & Co. dürfen hierzulande steuerfrei einkaufen. „In Deutschland können als einzigem Industrie-Land der Welt alle Ausgaben (auch Schuld-Zinsen für Beteiligungen) de facto voll steuerlich abgesetzt werden“, lüften Lorenz Jarass und Gustav M. Obermair in ihrem Buch die „Geheimnisse der Unternehmenssteuern“. BAYERs Finanzabteilung hat auch schon mal durchgerechnet. Mit jährlichen Abschreibungen in Höhe von 800 Millionen bis 2016 will sie die Finanzämter düpieren. Am Stammsitz Leverkusen schreibt der Kämmerer den Multi schon seit einiger Zeit ab. Dank des Erwerbs der rezeptfreien ROCHE-Medikamente und der Landwirtschaftssparte von AVENTIS zaubert der Konzern Verlustvorträge und Ähnliches aus dem Hut und zahlt dort seit fünf Jahren kaum noch Gewerbesteuer.
Bei solchen Steuergesetzen, die überdies zu einem Gutteil hausgemacht sind – BAYERs ehemaliger Finanzchef Heribert Zitzelsberger war unter Rot-Grün als Eichels Staatssekretär so nett – musste der Konzern natürlich zugreifen. Der Multi hat auch nicht viele Wachstumsalternativen. Nirgendwo außer in China tun sich neue Absatzmärkte auf, in den Hochpreis-Pillenparadiesen Japan und Vereinigte Staaten sieht sich der Konzern politischem Druck gegenüber, und aus den eigenen Arznei-Laboren hat er auch keine Blockbuster zu erwarten. So entschloss er sich einfach, Umsatz dazuzukaufen und die Profite durch Rationalisierungsmaßnahmen zu erhöhen. Von 19 auf 25 Prozent will Wenning die Umsatzrendite bei dem neu zusammengesetzten Pharmariesen steigen sehen.