taz, 4. März 2006
Das nervige Gewissen der Konzernchefs
Ohne die Kritischen Aktionäre ginge es auf vielen Hauptversammlungen nur um die Höhe der Dividende. Ihr Verdienst ist es, auch Rüstungsexporte, Atompolitik, Lohndumping und Kinderarbeit auf die Tagesordnung gebracht zu haben
Sie sind auf jeder größeren Hauptversammlung (HV) zu finden. Ihre Spezialität: Sie nerven die Firmenleitungen. Verletzen sie die Rechte der Beschäftigten, lassen sie Waffen produzieren oder verschmutzen die Umwelt, dann ist das ein Fall für die Kritischen Aktionäre. Aus der Friedens-, Umwelt- und Dritt-Welt-Bewegung hervorgegangen, mischen sie seit Anfang der 80er-Jahre die Aktionärsversammlungen der großen Börsengesellschaften auf. Manchmal mit nur einer Aktie in der Hand – das genügt, um den Vorstandschefs gegenüberzutreten. Und notfalls den Rücktritt des gesamten Aufsichtsrats zu fordern, falls sich die Unternehmensspitze uneinsichtig zeigt.
Inzwischen übertragen rund 5.000 Aktionäre jedes Jahr ihre Stimmrechte an den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Heute feiert die Dachorganisation ihr zwanzigjähriges Jubiläum. 1986 wurde sie als zentraler Ansprechpartner für Aktionäre gegründet. Wenn es keine eigene konzernkritische Gruppe gibt, tritt sie auch selbst auf HVen auf. Mit einer öffentlichen Fachtagung in Köln wollen die Aktivisten zwei Jahrzehnte Arbeit bilanzieren.
Dabei können sie auf einige Erfolge verweisen: Zwar reichen die 29 Mitgliedsgruppen und 200 Einzelmitglieder des Dachverbands nicht aus, um Mehrheiten gegen die Konzernspitzen und die meist mit diesen verwobenen Großaktionäre zu erreichen. Aber die Auftritte auf den HVen sorgen für Schlagzeilen. So musste die Deutsche Bank nach Protesten der Kritischen Aktionäre 2001 ihre Kreditzusagen für umweltzerstörenden Goldabbau in Griechenland zurücknehmen. Im Jahr 1988 verbesserte die Schering AG die Arbeitsbedingungen in ihrem Werk in Lima in Peru – nachdem Kritische Aktionäre die gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen angeprangert hatten.
Dass ehemalige Zwangsarbeiter auf der Hauptversammlung der IG-Farben-Nachfolgerin Bayer Entschädigung fordern konnten, geht ebenfalls auf die Kritischen Aktionäre zurück. „Wir sind heute integraler Bestandteil der Hauptversammlungen“, so Paul Russmann, Sprecher der DaimlerChrysler-Kritiker. „Wo vorher nur gefragt wurde, warum die Dividende nicht höher ist, mussten die Manager nun beantworten, wie sie umwelt- und gesundheitsschädliche Produkte rechtfertigen wollen“, sagt Henry Mathews, Geschäftsführer des Dachverbandes.
An der inhaltlichen Arbeit der Kritischen Aktionäre hat sich in den zwanzig Jahren erstaunlich wenig geändert. Immer noch geht es um Rüstungsexporte, legale wie illegale, gefährliche Medikamente oder Kinderarbeit. „Viele Themen beschäftigen uns über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte“, sagt Philipp Mimkes von der Coordination gegen Bayer-Gefahren. Aktuell beschäftigen sich die Konzernkritiker auch mit Lohndumping und Arbeitsplatzvernichtung trotz Millionengewinnen. „Die Gewerkschaften tun sich schwer, in Hauptversammlungen aufzutreten, weil sie ja zur Hälfte den Aufsichtsrat stellen“, sagt Mathews. „Es wird noch lange dauern, bis wir uns überflüssig gemacht haben.“ (DIRK ECKERT)
„Öffentlichkeit hilft“
Die Konzernspitzen lieben die Kritischen Aktionäre gar nicht und reagieren oft aggressiv auf deren Beiträge
taz: Herr Mathews, wie reagieren die Firmenleitungen auf Auftritte der Kritischen Aktionäre in ihren Hauptversammlungen?
Henry Mathews: Das kommt auf die Stimmung an, die in der Hauptversammlung herrscht. Wenn wir bei Rheinmetall Rüstungsexporte kritisieren oder bei der Deutschen Lufthansa die Abschiebung von Flüchtlingen, sind die meisten Aktionäre gegen uns. Dann reagiert auch der Vorstand sehr aggressiv. Dass DaimlerChrysler Landminen produziert, sehen dagegen auch viele Aktionäre kritisch, weil sie dachten, eine reine Auto-Aktie zu besitzen. Deshalb muss der Vorstand auf unsere Argumente eingehen, wenn wir das ansprechen.
Wie hat sich das Verhalten der Firmenleitungen über die Jahre verändert?
Vor zwanzig Jahren haben die Vorstände noch versucht, unsere Themen ganz abzubügeln. Inzwischen müssen sie antworten, weil das öffentliche Interesse zu groß ist.
Wird Ihre Arbeit behindert?
Häufig behaupten die Versammlungsleiter, unsere Themen würden nicht zur Tagesordnung gehören, und stellen uns das Mikrofon ab. Aber wir beantragen, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten, und das müssen wir natürlich begründen dürfen. Die Lufthansa hat ihren Aktionären auch einmal das Infomaterial abgenommen, das wir vor der Tür verteilt haben. Das ist natürlich absolut illegal.
Wo sind die Grenzen der Kritischen Aktionäre?
Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass wir eines Tages Abstimmungsmehrheiten in deutschen Hauptversammlungen erreichen, wenn sich uns nur mehr Kleinaktionäre anschließen. Aber die Tatsache, dass uns jährlich 5.000 Aktionäre ihre Stimmrechte übertragen, unterstreicht, dass immer mehr Menschen darüber nachdenken, wie ihre Dividende verdient wird.
INTERVIEW: DIRK ECKERT