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SWB 01/2023

130 Jahre Pestizide

BAYERs Giftschrank

Der Leverkusener Multi produziert bereits seit über 100 Jahren Agro-Chemikalien und setzt alles daran, diese unheilvolle Tradition fortzusetzen – allen Risiken und Nebenwirkungen zum Trotz.

Von Jan Pehrke

Mit der Fabrikation von Farbstoffen begann die Geschichte der deutschen Chemie-Industrie. Dem BAYER-Konzern jedoch gelang es schon recht bald nach seinem Start im Jahr 1863, „der Landwirtschaft mit Forschungsergebnissen aus der Chemie zu helfen.“ 1892 brachte er mit Antinonnin das erste synthetische Anti-Insektenmittel heraus, ein Mittel gegen die Nonnen-Raupe. 1915 folgte das Saatgut-Beizmittel Uspulon. Vier Jahre später kamen die Insektizide Certan und Venetan auf den Markt, 1920 das Fungizid Solbar. Im selben Jahr baute das Unternehmen dann eine eigene Landwirtschaftsabteilung auf, und 1924 nahm in Leverkusen das „Biologische Institut der Pflanzenschutz-Versuchsabteilung“ seine Arbeit auf.

Der nächste Entwicklungsschub erfolgte erst in den 1940er Jahren und musste einen teuflischen Umweg nehmen. Der Chemiker Gerhard Schrader experimentierte mit einer Kombination aus Phosphor-Verbindungen und Zyanid, um ein Mittel gegen Insekten zu entwickeln, aber der Gift-Mix erwies sich als zu stark. Der Multi jedoch stoppte das Projekt nicht etwa, sondern suchte nach einer anderen Verwertungsmöglichkeit – und fand sie schließlich auch. Er diente die Labor-Erzeugnisse den Nazis als Chemie-Waffen an. Unter den Bezeichnungen Tabun und Sarin erlangten sie traurige Berühmheit. Schrader aber ließ nicht locker und schaffte es dann schließlich doch noch, die Phosphor-Bestandteile zu zähmen und einen Pestizid-Wirkstoff zu synthetisieren: Parathion, später bekannt geworden als E 605.

Die globale Nr. 2
Sein Wissen über die „Double Use“-Eigenschaften von Chemikalien ersparte Schrader nach 1945 eine Anklage bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen. Die US-Army wollte von den Erkenntnissen des BAYER-Forschers profitieren und nahm ihn mit in die Vereinigten Staaten, wo er im „Chemical Corps“ des Militärs wirkte. In den 1950er Jahren kehrte Schrader nach Deutschland – und zu seinem alten Arbeitgeber zurück, der nach der halbherzigen Zerschlagung der IG Farben bald schon wieder zur alten Größe zurückgefunden hatte. Verlässlich gehörte BAYER zu den Top 10 der Agrar-Konzerne. Einen entscheidenden Einschnitt nahm der Multi bald nach der Jahrtausendwende vor. Im Jahr 2003 sicherte er sich mit dem Erwerb der Landwirtschaftssparte von AVENTIS den Zugriff auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Das erlaubte es ihm, seine Ackergifte in Kombination mit den Gen-Konstrukten zu vermarkten. Durch das Schlucken mehrere Saatgut-Firmen und vor allem dem Erwerb von MONSANTO im Jahr 2018 wuchsen diese Möglichkeiten noch einmal beträchtlich. Die Transaktion machte den Konzern zwischenzeitlich sogar zur globalen Nr. 1 im Agro-Business. Aber durch Auflagen der Kartellbehörden musste er sich von einigen Geschäften trennen, sodass das Unternehmen heute hinter SYNGENTA die Position 2 einnimmt.

Seit dem Mega-Deal hat es nur noch kleinere Veränderungen gegeben. Der Leverkusener Multi trennte sich 2022 von der Sektion „Environmental Science“ mit den Pestiziden für nicht-landwirtschaftliche Bereiche wie Forstwirtschaft, öffentliche Grünanlagen, Golfplätze und Gleis-Anlagen und kaufte das Start-Up TARGENOMIX, das an Herbiziden auf molekular-biologischer Basis arbeitet.
Im Jahr 2021 betrug der Umsatz seines Agrar-Ressorts 20 Milliarden Euro. 8,7 Milliarden davon entfielen auf die USA und 5,1 Milliarden auf Lateinamerika. An der Spitze der Verkaufsliste standen jeweils Kombi-Packs aus Pestiziden wie Glyphosat und Genpflanzen mit eingebauten Resistenzen gegen diese Mittel. Solche Komplett-Pakete sind in den Ländern, die gentechnisch veränderte Organismen zulassen, das Erfolgsmodell der Branche.

Topseller Glyphosat
Die Agrochemie-Sparte allein genommen, brachten die Herbizide mit 5,3 Milliarden Euro am meisten ein, Fungizide erlösten 2,9 Milliarden und Insektizide 1,4 Milliarden. „Bei den Herbiziden stieg der Umsatz aufgrund von Preissteigerungen, insbesondere bei unseren glyphosat-haltigen Produkten in allen Regionen“, merkt der Geschäftsbericht dazu erfreut an.

Das Produkt zählt zu den erfolgreichsten Erzeugnissen der Aktiengesellschaft, lediglich zwei Arzneien bringen noch mehr ein, aber auch zu den umstrittensten. Seit die Weltgesundheitsorganisation das Ackergift im Jahr 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat, liefen vor den US-amerikanischen Gerichten fast 150.000 Klagen von Geschädigten auf. Dabei ist das Pestizid beileibe nicht das einzige BAYER-Mittel, das sich Anfechtungen wegen der Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt ausgesetzt sieht. Nach einer Erhebung von Public Eye aus dem Jahr 2020 gehören 36,7 Prozent des Sortiments zu den hochgefährlichen Pestiziden, den Highly Hazardous Pesticides (HHPs).
Selbst wenn diese Substanzen innerhalb der Europäischen Union wegen ihres Risiko-Potenzials keine Zulassung (mehr) haben, vermarktet der Global Player sie in anderen Regionen der Welt ohne Rücksicht auf Verluste weiter. Auch aus deutschen Landen exportiert der Agro-Riese sie. So stellt er etwa Clothianidin und Probineb in Dormagen her und produziert Indaziflam und Ethoxysulfuron in Frankfurt. Nach einer Studie von INKOTA und MISEREOR vertreibt der Leverkusener Multi allein in Brasilien rund ein Dutzend Pestizide ohne EU-Genehmigung. Zudem betätigt er sich dort als Zulieferer und verkauft Wirkstoffe wie Fenamiphos an andere Unternehmen. Und in Südafrika hat BAYER der Untersuchung zufolge sieben Agro-Chemikalien im Angebot, die in der EU nicht auf die Felder dürfen. Nicht weniger als fünf davon zählen zu den HHPs.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) prangert diese Praxis der doppelten Standards auf den Hauptversammlungen des Konzerns bereits seit Langem an. Der Vorstand weist diese Kritik jedoch stets zurück. „Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus und stellt mitnichten einen Doppelstandard dar“, bekundete er der taz gegenüber. Andere Länder – andere Sitten heißt es stattdessen: „Aufgrund der unterschiedlichen Klimazonen, Vegetation und Bodenverhältnisse wird für Produkte, die beispielsweise speziell für den Einsatz im asiatischen Raum entwickelt wurden, nicht die Zulassung in Europa beantragt. Außerdem gibt es in tropischen Ländern eine Vielzahl von Krankheiten und Schädlingen, die nur dort vorkommen.“

Extrem-Lobbyismus
Gegen ein Ausfuhr-Verbot von Clothianidin & Co. wehrt sich BAYER genauso wie gegen andere Bestrebungen, den Umgang mit den Mitteln strenger zu regulieren, vehement. Für das Lobbying am Sitz der Europäischen Union in Brüssel beispielsweise gibt der Leverkusener Multi so viel Geld aus wie sonst nur noch APPLE. 6,5 bis 7 Millionen Euro investierte er dort 2021 in die Pflege der politischen Landschaft. Allein die PR-Agentur RUD PEDERSEN erhielt 1,3 Millionen, um für die Glyphosat-Zulassungsverlängerung zu werben. Aber auch der Green Deal im Allgemeinen und die Pestizid-Politik der EU im Besonderen veranlasst den Konzern zu politischen Interventionen. So opponiert er gegen das Vorhaben der Kommission, den Ackergift-Einsatz in den Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zu senken. Dabei tut das Unternehmen so, als würde es die Ziele Brüssels eigentlich teilen und lediglich einen anderen Weg bevorzugen, was aber ein rein taktisches Manöver ist. „Anstatt über die Verringerung der Mengen zu sprechen, müssen wir uns auf die Verringerung der Umweltauswirkungen konzentrieren“, forderte der Konzern bei einer öffentlichen Konsultation. Sogar mit einer konkreten Zahl konnte der Gen-Gigant bei einem Meeting mit der Generaldirektion Gesundheit schon aufwarten. Er erklärte sich zu einer Verminderung der Risiken und Nebenwirkungen um 30 Prozent bereit. Aber als die Generaldirektion nachhakte und fragte, wie das Unternehmen dies denn genau zu bewerkstelligen gedenke, kamen die ManagerInnen ins Schwimmen: „Das ist noch nicht bekannt.“ Irgendwas mit digitaler Landwirtschaft – viel mehr fiel ihnen dazu nicht ein.

Mit Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten, geliefert von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern, will BAYERs „FieldView“ die Ausbringung von Agro-Chemikalien minimieren, so das Werbe-Versprechen. Belastbare Daten über die Einspar-Effekte liegen allerdings nicht vor. Daneben arbeitet der Konzern noch an Gentech-Pestiziden auf Basis der RNAi-Interferenz, die ein überlebenswichtiges Protein von Insekten blockieren und durch eine größere Zielgenauigkeit für weniger Gift auf den Äckern sorgen sollen. Ob das aber funktioniert und ohne die üblichen Risiken und Nebenwirkungen der Risiko-Technologie abgeht, steht ebenfalls dahin.

Realistischere Möglichkeiten, Glyphosat & Co. vom Acker zu vertreiben, bieten stattdessen BAYER-Mittel wie REQUIEM, dessen Wirk-Mechanismus auf einem biologischen statt auf einem chemischen Wirk-Prinzip beruht. Der Inhaltsstoff Terpenoid ist einer Substanz nachgebildet, mit der sich die Pflanze Epazote, bekannt auch als Mexikanischer Drüsengänsefuß, gegen Insekten wehrt. Mit dem Antiwurmmittel BIOACT, dem Antipilzmittel CONTANS und Stimulanzien wie BAYFOLAN vertreibt das Unternehmen noch weitere Biologika, aber allzu Großes hat es mit den Produkten nicht vor. Als Alternative zu den chemischen Keulen will der Konzern Requiem & Co. nicht aufbauen, er versteht sie lediglich als Komplementär-Angebot. Die „beste Kombination aus chemischen und biologischen Produkten“ strebt er an. Die Gift-Tradition, die in Leverkusen jetzt bereits 130 Jahre währt, wird so schnell also nicht abreißen.