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SWB 04/2022

RNA-Interferenz

BAYERs neue Gentechnik

BAYER & Co. setzen seit einiger Zeit auf eine neue Gentechnologie, die sogenannte RNA-Interferenz (RNAi). Bisher kommt sie nur in Pflanzen zum Einsatz, aber die Konzerne arbeiten auch an Pestiziden auf Basis dieses Mechanismus’, der nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen ist.

Von Judith Düesberg (GEN-ETHISCHES NETZWERK)

„Aktuell wird in den Laboren von BAYER & Co. eine Biotechnologie weiterentwickelt, die große Hoffnungen der Konzerne weckt. Es handelt sich um den Prozess der sogenannte RNA-Interferenz (RNAi). Der Begriff steht für eine Vielzahl von Möglichkeiten, mithilfe von RNA-Sequenzen die Entstehung von Proteinen in Organismen zu beeinflussen. Die Entwicklung der Organismen kann dadurch gehemmt, Eigenschaften verstärkt und abgeschwächt oder ihr Tod herbeigeführt werden. Im Gegensatz zur DNA handelt es sich bei RNAs um kurzlebige bewegliche Moleküle. Sowohl in ihren Bausteinen als auch ihrer Funktion unterscheiden sie sich von der DNA. Lange wurde angenommen, dass sie vor allem für den Transport von DNA-Sequenzen aus dem Zellkern in das Zellplasma und für die Proteinbildung zuständig sind. Heute sind eine Vielzahl weiterer Funktionen bekannt.

Als Entdecker des RNAi-Mechanismus gelten der US-amerikanische Biologe Andrew Fire und der Biochemiker Craig Mello. 2006 bekamen sie dafür den Medizinnobelpreis. Hans Jörnvall, Sprecher des Nobelkomitees, sagte damals über die Arbeit der beiden Forscher: „Das Pfiffige an ihrer Entdeckung ist, dass sie die Mittel der Natur selbst zur Anwendung bringt. Dies eröffnet fantastische Möglichkeiten. Natürlich dauert es noch etliche Jahre, bis wir daraus Arzneimittel bekommen werden. Aber die Prinzipien sind klar.“(1)
Die Euphorie überträgt sich auch auf den Agrarbereich – Konzerne und WissenschaftlerInnen wittern hier ebenfalls Anwendungsmöglichkeiten. In der Landwirtschaft sind zwei Verfahren von besonderer Bedeutung: Gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen, die den RNAi-Mechanismus nutzen, um Schadinsekten oder Viren fernzuhalten und neuerdings auch Stoffe zur äußerlichen Anwendung. Letzteres Verfahren steckt noch in den Kinderschuhen, aber die ersten Vorbereitungen zur Vermarktung und Anwendung im freien Feld laufen bereits.

Was ist RNAi?
Die RNA-Interferenz ist natürlicherweise vor allem ein Mechanismus zur Abwehr von Viren. Beobachten lässt er sich in den Zellen von Lebewesen, die einen Zellkern besitzen. Viren injizieren ihre doppelsträngige RNA (dsRNA) in Zellen, um die dortigen biochemischen Komponenten zur Synthese ihrer Proteine zu nutzen und sich zu vermehren. Erkennt die Zelle dsRNA, bearbeitet sie diese, blockiert damit die verbleibende Viren-RNA und verhindert somit die Entstehung von Viren-Proteinen. Da Zellen zudem selbstständig dsRNA produzieren, kann der gleiche Mechanismus auch zur eigenen Genregulierung verwendet werden. RNAi ermöglicht das Stoppen oder Hemmen der Genexpression und wird daher auch Gene-Silencing – also Gen-Verstummung – genannt.

Ganz neu ist das nicht, ein ähnlicher Prozess der Genregulierung ist von Bakterien bekannt und wurde schon in Nutzpflanzen eingebaut. Einige der ersten gv-Pflanzen, wie die Tomate FlavrSavr oder die Kartoffel Amflora, basieren auf diesem Mechanismus. Durch die RNAi-Technologie kann jetzt aber nicht nur die Genregulation des eigenen Organismus verändert werden, sondern auch diejenigen anderer Organismen, die mit der Pflanze Kontakt haben. So wurde in Brasilien eine gv-Bohne entwickelt, die durch RNAi gegen das Golden-Mosaik-Virus resistent ist. Ein weiteres Anwendungsgebiet von großem Interesse ist der Schutz von Pflanzen vor pflanzenfressenden Insekten.
Der langjährige MONSANTO-Mitarbeiter James Baum veröffentlichte zusammen mit anderen WissenschaftlerInnen 2007 einen Artikel, der als ein Meilenstein in der Entwicklung von RNAi-Pflanzen gilt.(2)

In ihrer Studie nutzten sie spezifische dsRNA, um Schadinsekten auszuschalten. Dazu verwendeten sie dsRNA, das einem überlebenswichtigen Protein von Käfern nachempfunden ist. Mit dem Verzehr gelangt die künstliche dsRNA in die Zellen und startet dort den RNAi-Verteidigungsmodus, der neben der künstlichen RNA auch die RNA des Tiers zerstört. Das überlebenswichtige Protein wird nicht mehr gebildet, und der Käfer stirbt. Auf Grundlage dieser Untersuchung entwickelte MONSANTO den gv-Mais MON87411, der in den USA und Kanada zum kommerziellen Anbau und 2019 in der EU als Lebens- und Futtermittel zugelassen wurde.

BAYERs „Monster-Mais“
Noch 2022 erwartet die BAYER AG die Zulassung eines ihrer neuen Gentech-Produkte auf dem US-Markt. Bei der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde EPA läuft momentan das Genehmigungsverfahren für den Mais Smartstax PRO, der bisher in Brasilien, Kanada und Japan für den Anbau zugelassen ist. Der Mais ist eine Weiterentwicklung von MONSANTOs (jetzt BAYER) Genmais der Smartstax-Produktreihe, der sechs verschiedene, für Insekten giftige Bt-Toxine produziert sowie Resistenzen gegenüber Glypohsat und Glufosinat besitzt. Nun soll der PRO-Mais zudem auch noch die für den Käfer „Westlicher Maiswurzelbohrer“ giftige dsRNA aus dem MON87411 produzieren.

Die sogenannte Stapelung von verschiedenen gv-Eigenschaften wie unterschiedlichen Bt-Toxinen und dsRNA soll der Resistenzentwicklung bei Insekten entgegenwirken. Allerdings wurde schon beim SmartStax-Mais von Nichtregierungsorganisationen kritisiert, dass mögliche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Toxinen sowie zwischen den Toxinen und den Herbizid-Rückständen weder in den Studien noch in der Risikoprüfung der EU beachtet werden. So bestätigten Pestizid-ExpertInnen der EFSA, dass es zu wenig Daten gibt, um die Sicherheit der Glyphosatrückstände in gv-Pflanzen zu bewerten.(3) Leider stimmen die Gentechnik-Abteilung der EFSA und die EU-Kommission dieser Einschätzung nicht zu und scheinen auch weitere Kritik an der momentanen Risikoprüfung von gv-Pflanzen nicht ernstzunehmen. Somit konnte BAYER-Chef Werner Baumann auf der Hauptversammlung 2022 auch getrost verlauten lassen: „Bei CROPSCIENCE überprüfen wir während der Entwicklungsphase alle unsere Produkte in behördlich und international vorgeschriebenen Tests auf ihre Sicherheit für den Anwender, die Umwelt und die Konsumenten.“ Aber gerade diese Tests sind es, die Mängel in der Methodik haben.(4,5)

RNAi-Pestizide
Alle die bis hierher genannten Produkte haben gemeinsam, dass durch gentechnische Verfahren Gene in Pflanzen eingebaut wurden, die über RNAi auf die Pflanze selbst oder andere Organismen wirken. Diese Pflanzen gelten daher als gv-Organismen und fallen dementsprechend unter die Gentechnik-Regulierung. Damit sie auf den Markt gebracht werden dürfen, müssen sie in den meisten Ländern ein Zulassungsverfahren inklusive Risikoprüfung durchlaufen sowie gekennzeichnet werden – und mit der kritischen Haltung vieler KonsumentInnen leben.
Große Hoffnungen legt die Biotech-Industrie daher in die Entwicklung von rein äußerlichen RNAi-Anwendungen zum Pflanzenschutz. Diese werden bisher nämlich nicht als Gentechnik eingestuft, da sie keine Veränderungen der DNA bewirken sollen. Aus diesem Grund wird in den Staaten, die diese Anwendung bereits diskutieren, eine äußerliche RNAi-Anwendung voraussichtlich als Pestizid behandelt. Neben den USA, Australien und Neuseeland läuft auch innerhalb der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) ein Prozess zur Einordnung und Risikoeinschätzung dieser neuen Anwendungen, der auch richtungsweisend für Deutschland ist.(6) Jack Heinemann, Professor für Genetik an der Universität von Canterbury, kritisierte 2019 die Einschätzung der Neuseeländischen Umweltbehörde. Er verweist in seinem Artikel auf einige Interaktionen zwischen RNA und der Erbinformation, die als Mechanismus und mit ihren unbeabsichtigten Folgen der möglichen Erbgutveränderung nicht beachtet werden in der Risikobewertung. Heinemann plädierte daher für eine strengere Prüfung. (7)

Der am Horizont winkende neue Markt hat dazu geführt, dass bereits viele Start-ups, fast alle außerhalb Europas ansässig, gegründet wurden, um an möglichen Produkten zu arbeiten. Innerhalb der EU forschen die großen Agrarkonzerne an der Technologie. BAYER etwa arbeitet seit Jahren sowohl an gv-Pflanzen als auch an RNAi-Pestiziden. Die Expertise hierfür wurde vor allem durch die Fusion mit MONSANTO gewonnen. Aber andere positionieren sich ebenfalls. So hat SYNGENTA 2012 das in Belgien ansässige multinationale Agrarbiotechnologieunternehmen DEVGEN für 523 Million Dollar aufgekauft, um im Bereich „RNAi-Pestizide“ zu expandieren.

Die Vor- und Nachteile
Für die Konzerne ist das Herumkommen um die Gentech-Regulierung ein Plus. Externe RNAi-Anwendungen haben im Vergleich mit gv-Pflanzen oder chemischen Pestiziden aber durchaus auch ökologische Vorteile. So kann ihr Einsatz zielgenauer erfolgen, nämlich nur dann, wenn ein großes Schadinsekten-Aufkommen zu erwarten ist und sie folglich tatsächlich benötigt werden. Gv-Pflanzen hingegen, die ständig Toxine produzieren, werden immer schon vorsorglich angebaut, so dass diese Substanzen ständig in der Umgebung sind. Dies befördert die Entstehung von Resistenzen bei Insekten und hat einen größeren Einfluss auf ökologische Systeme. Neben der selektiven Ausbringung bieten überdies RNAi-Pestizide noch einen zweiten Vorteil. Sie zerfallen sehr schnell beim Kontakt mit UV-Licht, was für den Pflanzenschutz hinderlich, aber hinsichtlich der Umweltauswirkungen durchaus positiv ist. Allerdings weisen WissenschaftlerIinnen darauf hin, dass sich die Moleküle doch länger im Boden halten könnten als vermutet.(8)

Es wird angenommen, dass Pestizide, die auf RNAi basieren, deutlich spezifischer vorgehen als herkömmliche Insektizide. Viele chemische Insektizide wirken auf das Nervensystem, die Zellmembranen oder hemmen das Wachstum in frühen Entwicklungsstadien. Je ähnlicher die biochemischen Reaktionen in verschiedenen Organismen sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein chemischer Stoff für beide Organismen schädlich ist. Die RNAi soll hingegen auf der art-eigenen mRNA-Sequenz von Proteinen beruhen. Einige Studien mahnen jedoch zur Vorsicht und verweisen auf überraschende Forschungsergebnisse sowie Wissenslücken. So hängt es anscheinend sehr vom Mechanismus der RNAi, der Länge der verwendeten RNA-Sequenzen sowie der Sensibilität der Organismen ab, ob auch Nicht-Ziel-Arten betroffen sein könnten. Überdies kann es innerhalb der Organismen zu Nebeneffekten kommen, die noch wenig verstanden sind. (9,10,11) Problematisch ist zudem, wie bei gv-Organismen oder Pestiziden auch, dass Nebeneffekte immer nur an einer Auswahl von Insekten, die besondere Ähnlichkeiten haben oder als besonders schützenswert gelten, getestet werden.(12)

Systemfrage
Bereits jetzt wird deutlich, dass Insekten und Viren auch gegen diese Art der Bekämpfung Resistenzen entwickeln.(13,14) Somit sind Pestizide, die auf der RNAi-Technologie basieren, wohl nicht die große Lösung – der wichtige, unabdingbare Schritt zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, den BAYER & Co. in ihnen sehen wollen. Vielmehr sind sie wieder nur eine weitere Entwicklungsstufe in der technologischen Tretmühle der industriellen Landwirtschaft. Möglicherweise führt der Einsatz von RNAi-Pestiziden zu einer etwas weniger vergifteten Landwirtschaft, was besser ist als nichts. All die bekannten Defizite des überholten Landwirtschaftsmodells bleiben jedoch bestehen und werden durch eine wissens-, kapital- und materialintensive Technologie weiter verstetigt.

Quellen:

(1) Deutsche Welle (02.10.2006): Nobelpreis an US-Forscher für das Stummschalten von Genen. Online: https://p.dw.com/p/9CBP
(2) Baum, J.A. et al. (2007): Control of coleopteran insect pests through RNA interference. Nat. Biotechnol. Vol:25(11), Seite: 1322-6, DOI: 10.1038/nbt1359
(3) European Food Safety Authority (EFSA) (2019): Review of the existing maximum residue levels for glyphosate according to Article 12 of Regulation (EC) No 396/2005 – revised version to take into account omitted data. EFSA Journal, Vol: 17(10), Seite: 211, HYPERLINK „https://doi.org/10.2903/j.efsa.2019.5862“ DOI:10.2903/j.efsa.2019.5862
(4) Hilbeck, A. et al. (2020): Insecticidal Bt crops: EFSA’s risk assessment approach for GM Bt plants fails by design. Report of the results from the RAGES project 2016-2019. Online: www.testbiotech.org/projekt_rages
(5) Testbiotech (18.10.2019): Das Problem mit der Gentechnik und der unabhängigen Risikoforschung in der EU. Online: https://www.testbiotech.org/content/das-problem-mit-der-gentechnik-und-der-unabhaengigen-risikoforschung-der-eu
(6) OECD (2020): Considerations for the Environmental Risk Assessment of the Application of Sprayed or Externally Applied ds-RNA-Based Pesticides. Online: HYPERLINK „https:www.oecd.org/officialdocuments/publicdisplaydocumentpdf/?cote=env/jm/mono(2020)26&doclanguage=en“ https:www.oecd.org/officialdocuments/publicdisplaydocumentpdf/?cote=env/jm/mono(2020)26&doclanguage=en
(7) Jack, A. H. (2019): Should dsRNA treatments applied in outdoor environments be regulated? Environmental International, Vol: 132, DOI: 10.1016/j.envint.2019.05.050.
(8) Kimberly, M. P. et al. (2019): Environmental Fate of RNA Interference Pesticides: Adsorption and Degradation of Double-Stranded RNA Molecules in Agricultural Soils. Environmental Science & Technology, Vol: 53 (6), S: 3027-3036, DOI: 10.1021/acs.est.8b05576
(9) Chen, J. et al. (2021): Off-target effects of RNAi correlate with the mismatch rate between dsRNA and non-target mRNA. RNA Biol. Vol: 18(11), S:1747-1759. DOI: 10.1080/15476286.2020.1868680.
(10) Taning, C.N.T. et al. (2021): A sequence complementarity-based approach for evaluating off-target transcript knockdown in Bombus terrestris, following ingestion of pest-specific dsRNA. J. Pest. Sci., Vol: 94, Seiten 487–503, DOI: 10.1007/s10340-020-01273-z
(11) Dalakouras, A.; Papadopoulou, K.K. (2020): Epigenetic Modifications: An Unexplored Facet of Exogenous RNA Application in Plants. Plants Vol.9, S.673. DOI: 10.3390/plants9060673
(12) Carstens K. et al. (2014): Surrogate species selection for assessing potential adverse environmental impacts of genetically engineered insect-resistant plants on non-target organisms. GM Crops Food 5, 11–15. DOI: 10.4161/gmcr.26560
(13) Mishra, S., et al. (2021): Selection for high levels of resistance to double-stranded RNA (dsRNA) in Colorado potato beetle (Leptinotarsa decemlineata Say) using non-transgenic foliar delivery. Sci Rep Vol:11, DOI:10.1038/s41598-021-85876-1
(14) Darlington, M. et al. (2022): RNAi for Western Corn Rootworm Management: Lessons Learned, Challenges, and Future Directions. Insects, 13, 57. DOI:10.3390/insects13010057.