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Neonazis

taz, 22.1.2005

Leverkusen steckt Kopf in den Sand

Leverkusens SPD-Oberbürgermeister Ernst Küchler will nicht gegen den Neonazi-Aufmarsch Ende Januar demonstrieren. Grüne und Antifa warnen vor dem Erstarken der rechtsextremen Szene
VON PATRICK HAGEN

Neonazis wird in Leverkusen ein roter Teppich ausgerollt - zu dieser drastischen Einschätzung kommt zumindest das Leverkusener "Aktionsbündnis gegen den Naziaufmarsch". "Die Ratsparteien" würden nichts gegen die drohende Neonazidemo am 29. Januar unternehmen, so der Vorwurf des Bündnisses.
Zwei Tage nach dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten wollen Neonazis am 29. Januar durch Leverkusen marschieren und "gegen staatliche Repression und Intoleranz" demonstrieren. Angemeldet hat die Demonstration der bekannte Neonazi Axel Reitz.

Aufmarsch nicht verboten
Anders als am 9. November letzten Jahres, als das Verbot der Nazi-Demonstration durch das Kölner Verwaltungsgericht aufgehoben wurde, wird die Leverkusener Polizei diesmal nicht versuchen, den Aufmarsch zu verbieten. "Wir sehen zurzeit keine rechtlichen Gründe, die Demonstration zu untersagen", erläutert Polizeisprecher Georg Kraushaar. Der 29. Januar sei anders als der 9. November kein historisch sensibles Datum. Allerdings müssten die Anmelder wegen der ebenfalls am 29. Januar stattfindenden Bundesligapartie Bayer Leverkusen gegen VfL Bochum mit empfindlichen Auflagen rechnen.
Oberbürgermeister Ernst Küchler (SPD) weist die Vorwürfe des Aktionsbündnisses "schärfstens" zurück. "Uns hinzustellen, als ob wir klammheimlich die Nazis unterstützen würden, ist eine Unverschämtheit." Küchler verweist auf eine Gedenkveranstaltung, die am 27. Januar zum 60. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung stattfindet. Daran sollten möglichst viele Bürger teilnehmen und so "zeigen wo sie stehen", so Küchler. Von einer Gegendemonstration am 29. Januar hält er allerdings wenig. Die Nazis würden dadurch bloß aufgewertet. Bei einem Treffen mit dem Aktionsbündnis hat er sogar versucht, die geplanten Gegenaktionen zu verhindern.
Bei der Leverkusener Antifa stößt Küchler damit auf völliges Unverständnis. Florian Schnaier, Sprecher der "Antifaschistischen Aktion Leverkusen", die Teil des Aktionsbündnisses ist, nennt die Argumentation Küchlers heuchlerisch. Die Gedenkveranstaltung sei ein begrüßenswertes Zeichen, dass allein aber nicht ausreiche. "Es muss klar sein, dass Erinnern auch Handeln heißt", fordert Schnaier. Von den Plänen für Gegenaktionen werde man sich vom Oberbürgermeister nicht abbringen lassen.
Mit seiner Ablehnung einer Gegendemonstration befindet sich OB Küchler auf einer Linie mit CDU und Bürgerliste. CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus Hupperth vertritt die Ansicht, dass "Gegendemonstrationen alles erst richtig schlimm machen". Und Erhard Schoofs von der Bürgerliste, der drittstärksten Fraktion im Leverkusener Rat, findet, dass Gegendemonstranten, die "nicht immer die Friedlichsten" seien, noch "mehr zur Unruhe" beitragen. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Walter Mende will die Nazis am liebsten "ins Leere laufen lassen." An einer Gegendemonstration würde er aber im Gegensatz zu seinem Parteigenossen Küchler teilnehmen.

Neonazis deutlich aktiver
Die Leverkusener Grünen unterstützen hingegen die Gegendemonstration und können die Vorwürfe des Aktionsbündnisses gut nachvollziehen. "Ich verstehe nicht, dass die anderen Parteien sich von Gegenaktionen distanzieren", sagt der Parteivorsitzende Georg Müller. Dadurch könnte durchaus der Eindruck entstehen, in Leverkusen sei es für Neonazis leichter aufzutreten, als anderswo.
Während die Vertreter von CDU, SPD und FDP erklären, dass es in Leverkusen keine beachtenswerte Nazi-Szene gäbe, betont Müller, dass sehr wohl Rechtsextreme in Leverkusen aktiv seien. Eine Einschätzung, die Schnaier von der Antifa bestätigt. So sei die Freie Kameradschaft "Leverkusener Aufbruch", die im rechtsextremen "Aktionsbüro Westdeutschland" organisiert ist, im letzten Jahr deutlich aktiver geworden. Der Leverkusener Aufbruch hatte auch zur Nazi-Demonstration am 9. November aufgerufen.
Bei der Demonstration am Jahrestag der Pogromnacht waren Rechtsextreme mit Parolen wie "Die schönsten Nächte sind aus Kristall" und "Nie wieder Israel" durch Leverkusen gezogen. Der Kölner Rechtsanwalt Eberhard Reinecke hatte daraufhin für die "Coordination gegen Bayer Gefahren" Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet (taz berichtete). Laut Staatsanwaltschaft laufen die Ermittlungen bereits, derzeit werde das Beweismaterial geprüft.
taz Köln Nr. 7571 vom 22.1.2005, Seite 1, 150 Zeilen (TAZ-Bericht), PATRICK HAGEN